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Transparenz in den Institutionen der Gemeinschaft -Rede des Europäischen Bürgerbeauftragten, Jacob Söderman, 10. Jahrestag des Gerichtes der ersten Instanz, Luxemburg, 19. Oktober 1999
Speech - Speaker Jacob SÖDERMAN - City Luxembourg - Country Luxembourg
Sehr geehrter Herr Präsident!
Es ist mir eine große Ehre und Freude, heute auf diesem Seminar vor Ihnen zum Thema Transparenz in den Institutionen der Gemeinschaft sprechen zu dürfen.
Dieses Seminar findet aus Anlaß der 10. Jahrestages des Gerichts der ersten Instanz statt. Zu einer solchen Gelegenheit ist man leicht versucht, die Entwicklung einer Institution mit der eines Menschen zu vergleichen. Ich werde dieser Versuchung jedoch widerstehen, nicht zuletzt aus dem Grund, weil das Amt des Europäischen Bürgerbeauftragten gerade einmal vier Jahre alt ist.
Zu Beginn meines Mandates als erster Europäischer Bürgerbeauftragter habe ich vor dem Gerichtshof ein feierliches Versprechen abgelegt. Damals sagte ich, daß das Gemeinschaftsrecht zur Verwaltungspraxis im wesentlichen im Fallrecht der Gemeinschaftsgerichte verankert ist und daß dieses Fallrecht für den Bürgerbeauftragten eine wahrhafte Fundgrube und Richtschnur seines Handelns darstellen würde. Diese Vorhersage hat sich voll und ganz bestätigt.
Ferner bin ich darauf eingegangen, daß das Amt des Europäischen Bürgerbeauftragten in engem Zusammenhang mit dem im Vertrag von Maastricht verankerten Konzept der Unionsbürgerschaft zu sehen ist. Hinter der Schaffung des Amtes stand der Gedanke, das Konzept der Unionsbürgerschaft weiterzuentwickeln und die Beziehungen zwischen den Bürgern und den europäischen Institutionen durch Förderung einer offenen, rechenschaftspflichtigen und dienstleistungsorientierten Verwaltung zu stärken.
Unionsbürgerschaft
Selbst heute, sechs Jahre nach Inkrafttreten des Maastrichter Vertrages, sind sich meiner Meinung noch nicht alle Mitarbeiter der Gemeinschaftsinstitutionen voll und ganz der Bedeutung der Unionsbürgerschaft bewußt.
Mit der Schaffung der Unionsbürgerschaft wurde das im Fallrecht des Gerichtshofes begründete Prinzip weiter entwickelt, demzufolge nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch deren Bürger Rechtssubjekte der gemeinschaftlichen Rechtsordnung sind. Dieses Prinzip steht in engem Zusammenhang mit dem Verständnis der Gemeinschaftsverträge als Verfassungsurkunde einer Rechtsgemeinschaft(1).
Dabei beschränkt sich die Unionsbürgerschaft nicht nur auf die Rechte gegenüber den Mitgliedstaaten. Sie umfaßt zugleich die Beziehungen zwischen den Bürgern und den Institutionen der Gemeinschaft und beinhaltet Rechte, die die Beteiligung der Bürger am politischen Leben erleichtern sollen. Mit der Schaffung der Unionsbürgerschaft wird somit anerkannt, daß die Union eine Ebene der Verwaltungsstruktur ist, deren Institutionen im Rahmen ihres jeweiligen Kompetenzbereiches gesetzgebende, rechtsprechende und administrative Gewalt ausüben.
Im Vertrag von Amsterdam wird das Konzept der Unionsbürgerschaft durch einen ausdrücklichen Verweis auf die Verfassungsgrundsätze der Union gestärkt: Freiheit, Demokratie, Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie Rechtsstaatlichkeit (Art. 6 EU-Vertrag). In Artikel 1 des Vertrages heißt es darüber hinaus, daß Entscheidungen "möglichst offen" getroffen werden sollten.
Transparenz
Angesichts dieser Prinzipien ist Transparenz in den Beziehungen zwischen den Bürgern und Institutionen der Union ein grundlegendes Erfordernis und keine großmütige Geste. Unter Transparenz verstehe ich dabei, daß:
- - der Prozeß der Entscheidungsfindung nachvollziehbar und offen ist;
- - die getroffenen Entscheidungen begründet sind;
- - die den Entscheidungen zugrundeliegenden Informationen der Öffentlichkeit soweit wie möglich zugänglich sind.
Nur durch Transparenz ist es den Bürgern möglich, die Tätigkeit der öffentlichen Verwaltungen und die Gründe für getroffene Entscheidungen nachzuvollziehen. Somit ist Transparenz ein unabdingbares Erfordernis für Demokratie, eine Grundvoraussetzung für die Rechenschaftspflicht der öffentlichen Verwaltung gegenüber den Bürgern und für die Teilnahme der Bürger am öffentlichen Leben(2). In der Erklärung 17, die dem EG-Vertrag in Maastricht beigefügt wurde, heißt es, daß die Transparenz des Beschlußverfahrens den demokratischen Charakter der Organe und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Verwaltung stärkt.
Im Fall Niederlande gegen Rat(3) hat der Gerichtshof die Bedeutung der Erklärung 17 herausgestellt. In dem kürzlich verabschiedeten Urteil im Fall Heidi Hautala gegen Rat(4) bezieht sich das Gericht der ersten Instanz auf den Schlußantrag des Generalanwaltes Tesauro im Fall Niederlande gegen Rat in dem er erklärt hatte, daß das Recht des einzelnen auf Information auf dem Grundsatz der Demokratie beruhen sollte, auf den sowohl in der Präambel des Maastrichter Vertrages als auch in Artikel 6 des EU-Vertrages Bezug genommen wird(5).
Beschwerden an den Bürgerbeauftragten wegen mangelnder Transparenz
In vielen der beim Bürgerbeauftragten während seiner ersten Amtszeit eingegangenen Beschwerden wurde ein Mangel an Transparenz geltend gemacht. Dabei ging es im wesentlichen um drei Themen: das Verfahren nach Artikel 226 (ex-Artikel 169), Auswahlverfahren von EU-Beamten und Zugang zu Dokumenten.
Das Verfahren nach Artikel 226
In einer Reihe der beim Bürgerbeauftragten anhängigen Beschwerden geht es um fehlende Transparenz in dem Verfahren, mit dem die Kommission Beschwerden über Verstöße von Mitgliedstaaten gegen das Gemeinschaftsrecht nachgeht.
In einer Rechtsgesellschaft darf es keinem - und sei er noch so mächtig - möglich sein, ungestraft gegen Recht und Gesetz zu verstoßen. Die Bürger der Union können mit Fug und Recht erwarten, daß alle öffentlichen Instanzen sowohl auf kommunaler, regionaler, nationaler als auch auf Unionsebene das Gemeinschaftsrecht einhalten. Natürlich ist eine dezentralisierte Durchsetzung des Gemeinschaftsrechtes möglich und auch wünschenswert. Dabei war es der Gerichtshof, der als erste Gemeinschaftsinstitution das Subsidiaritätsprinzip in die Praxis umgesetzt hat, indem er entschied, daß es den Gerichten in den Mitgliedstaaten obliegt, die Rechte des einzelnen nach dem Gemeinschaftsrecht zu schützen.
Gleichzeitig ist es aber nach wie vor wichtig und notwendig, daß die Kommission als "Hüterin des Vertrages" - wie in der Erklärung 19 der Schlußakte des Maastrichter Vertrages(6) unterstrichen wird - für die zentrale Durchsetzung des Gemeinschaftsrechtes sorgt.
Zahlreiche Bürger, die der Aufforderung der Kommission nachgekommen sind und Verletzungen des Gemeinschaftsrechtes durch Mitgliedstaaten(7) angezeigt haben, sind danach beim Bürgerbeauftragten vorstellig geworden und haben sich über die Bearbeitung ihrer Beschwerde durch die Kommission beklagt. Dabei reichen die geltend gemachten Mißstände von übermäßig langen Bearbeitungszeiten über fehlende Information zur laufenden Bearbeitung und zum Ergebnis der Beschwerde bis hin zur Nichtangabe von Gründen, weshalb die Kommission zu der Auffassung gelangt ist, daß kein Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht vorliegt.
Im Ergebnis einer auf Initiative des Bürgerbeauftragten durchgeführten Untersuchung(8) räumte die Kommission, daß den Beschwerdeführer im Vertragsverletzungsverfahren eine Rolle zukommt. Ferner führte sie aus, daß im Vorfeld des Gerichtsverfahrens bestimmte Sicherheitsmechanismen für Beschwerdeführer in das Verfahren eingebaut sind, an deren Weiterentwicklung und Vervollkommnung die Kommission ständig arbeitet. Insbesondere verwies die Kommission darauf, daß alle Beschwerden registriert und bestätigt werden, daß gemäß den internen Regelungen Entscheidungen zur Schließung der Akte oder zur Einleitung eines offiziellen Vertragsverletzungsverfahrens normalerweise innerhalb eines Jahres zu fällen sind und daß die Beschwerdeführer über die im Zusammenhang mit ihrer Beschwerde eingeleiteten Maßnahmen und deren Ergebnis in Kenntnis gesetzt werden.
Des weiteren hat sich die Kommission verpflichtet, Beschwerdeführer über ihre Absicht zur Schließung der Akte zu informieren. Damit soll ihnen die Möglichkeit gegeben werden, bevor die Kommission eine endgültige Entscheidung trifft, kritisch zum Standpunkt der Kommission Stellung zu nehmen.
Trotz dieser Verbesserungen ist der administrative Teil des Verfahrens nach Artikel 226 noch immer kein normales und transparentes Verwaltungsverfahren, an dem der Beschwerdeführer als Partei beteiligt ist. Solange dies nicht der Fall ist, wird sich in breiten Kreisen der Bevölkerung der Eindruck halten, daß die Rechtsstaatlichkeit auf Unionsebene durch einflußreiche politische Kräfte willkürlich außer Kraft gesetzt werden kann. Ein solcher Eindruck schwächt jedoch das Vertrauen der Bürger in die Rechtsstaatlichkeit der Europäischen Union.
Auswahlverfahren
Ein weiterer häufiger Anlaß für Beschwerden an den Bürgerbeauftragten ist die Geheimhaltung im Zusammenhang mit Auswahlverfahren. Eine der allerersten Beschwerden kam von einem Teilnehmer an einem Auswahlverfahren, der Einblick in die Reserveliste der erfolgreichen Kandidaten nehmen wollte. In ihrer Erwiderung erklärte sich die Kommission bereit, die Reservelisten bei künftigen Auswahlverfahren zu veröffentlichen(9).
In anderen Fällen ging es den Teilnehmern an Auswahlverfahren darum, die Namen der Mitglieder des Prüfungsausschusses zu erfahren oder Einblick in ihre bewerteten Prüfungsunterlagen zu nehmen.
Im Zuge einer auf eigene Initiative durchgeführten Untersuchung hatte der Bürgerbeauftragte der Kommission zu beiden Fragen Empfehlungsentwürfe unterbreitet. In ihrer Erwiderung erklärte sich die Kommission einverstanden, den Teilnehmern an Auswahlverfahren die Namen der Mitglieder des Prüfungsausschusses mitzuteilen, lehnte es aber ab, ihnen darüber hinaus auch noch Zugang zu ihren eigenen bewerteten Prüfungsunterlagen zu gewähren.
Meiner Meinung nach ist es wichtig, daß die Bürger beim ersten Kontakt mit den Institutionen der Gemeinschaft einen positiven Eindruck bekommen. Wenn Bürger, die für die Europäischen Gemeinschaften arbeiten möchten, im Zweifel darüber gelassen werden, ob ihre schriftlichen Prüfungsunterlagen ordentlich und fair bzw. überhaupt bewertet worden sind, wird das bei ihnen einen negativen Eindruck hinterlassen. Um derartige Zweifel auszuräumen, sollte jedem Kandidaten die Möglichkeit eingeräumt werden, auf ein entsprechendes Ersuchen hin Einblick in seine bewerteten Prüfungsunterlagen zu nehmen.
Aus der auf eigene Initiative eingeleiteten Untersuchung ergaben sich keine Gründe, die die Kommission daran hindern würden, die notwendigen Maßnahmen zur transparenteren Gestaltung der Auswahlverfahren im Interesse einer guten Verwaltungspraxis sofort zu ergreifen. Vor diesem Hintergrund habe ich dem Europäischen Parlament gemäß Artikel 3 (7) des Statuts des Bürgerbeauftragten einen Sonderbericht zu dieser Frage vorgelegt.
Zugang zu Dokumenten
Zahlreiche Beschwerden kommen von Bürgern, denen der Zugang zu Dokumenten verweigert worden ist. In den Beschlüssen des Rates und der Kommission über den Zugang zu Dokumenten(10) ist festgelegt, daß der Antragsteller im Falle eines abschlägigen Bescheids über die Möglichkeit einer Klageerhebung bzw. einer Beschwerde beim Bürgerbeauftragten in Kenntnis gesetzt werden muß.
Bei der Bearbeitung der mir in meiner Funktion als Bürgerbeauftragter vorgelegten Beschwerden bin ich in der glücklichen Lage auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichtes der ersten Instanz zurückgreifen zu können. In einem Fall hat sich der Rat bei seiner Entscheidung, einem Antragsteller nicht alle angeforderten Dokumente zur Verfügung zu stellen, z.B. auf eine Bestimmung zu "Mehrfachanträgen" und "sehr umfangreichen Dokumenten" berufen(11). Dabei hatte der Antragsteller jedes Dokument nur einmal beantragt und keines der Dokumente war für sich genommen sehr umfangreich.
Nach geltender Rechtsprechung müssen Ausnahmeregelungen, die in Abweichung von einem allgemeingültigen Prinzip festgelegt werden, so streng ausgelegt und umgesetzt werden, daß sie der Anwendung des allgemeinen Prinzips nicht zuwiderlaufen(12). Angesichts dieser Rechtslage deutete alles darauf hin, daß die entsprechende Bestimmung nicht auf das Ersuchen des Antragstellers anwendbar war. Vom Bürgerbeauftragten wurde diesbezüglich eine kritische Bemerkung an den Rat gerichtet, der die Angelegenheit daraufhin noch einmal überprüfte und dem Antragsteller den Zugang zu allen gewünschten Dokumenten ermöglichte(13).
In einem anderen Fall vertrat ein Beschwerdeführer die Ansicht, daß der Beschluß der Kommission über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten auch für Komitologiedokumente gelte(14). Ich erfuhr, daß beim Gericht der ersten Instanz ein Fall zu genau dieser Frage anhängig war und habe meine Untersuchung zu diesem Aspekt der Beschwerde daher bis zur Urteilsverkündung des Gerichtes ausgesetzt(15). Im Anschluß daran konnte ich dem Beschwerdeführer mitteilen, daß der von ihm geltend gemachte prinzipielle Aspekt vom Gericht der ersten Instanz nunmehr eindeutig geregelt war.
Sehr geehrter Herr Präsident!
Häufig wird die Ansicht vertreten, daß die nordischen Länder unter Transparenz die Offenlegung eines jeden Dokumentes verstehen. Diese Ansicht ist jedoch falsch.
In jeder demokratischen Gesellschaft müssen bestimmte Informationen vertraulich behandelt werden. Die besten Beispiele dafür sind Sicherheits- und Verteidigungsinformationen, Betriebsgeheimnisse, deren Offenlegung gegenüber Wettbewerbern für die Unternehmen schädlich wäre, sowie vertrauliche persönliche Daten. Darüber hinaus ist es für das effektive Funktionieren einer jeden Verwaltung unerläßlich, daß sie politische Initiativen erst einmal intern vorbereiten kann, bevor sie damit unter Angabe der entsprechenden Hintergrundinformationen und Begründungen an die Öffentlichkeit tritt.
Transparenz erfordert allerdings auch, daß die möglichen Gründe, aus denen der Zugang zu Dokumenten verweigert werden kann, den Bürgern vorab in Form von veröffentlichten Regeln bekanntgegeben werden. Im Rahmen der Institutionen der Gemeinschaft haben die Kommission und der Rat mit ihrem gemeinsamen Verhaltenskodex ein Beispiel für einen solchen "Transparenzstandard" gesetzt. In der Rechtssache Niederlande gegen Rat hat der Gerichtshof bestätigt, daß - solange der Gemeinschaftsgesetzgeber keine allgemeine Regelung über das Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu den Dokumenten, die im Besitz der Gemeinschaftsorgane sind, erlassen hat - diese entsprechende Regelungen aufgrund ihrer internen Organisationsgewalt verabschieden können, um das reibungslose Arbeiten ihrer Dienststellen im Interesse einer ordnungsgemäßen Verwaltung zu gewährleisten.
Durch diesen Aspekt des Urteils in der Rechtssache der Niederlande sah ich mich veranlaßt, auf eigene Initiative eine Untersuchung in die Wege zu leiten, um zu prüfen, inwieweit es anderen Organen und Institutionen der Gemeinschaft möglich ist, selbst Regeln über den Zugang zu den ihnen vorliegenden Dokumente aufzustellen. Diese Untersuchung ergab, daß nahezu alle Institutionen und Organe bereits entsprechende Regelungen verabschiedet haben.
Im Rahmen einer im April diesen Jahres durchgeführten Nachfolgeuntersuchung informierte mich die Europäische Zentralbank, daß sie ebenfalls Regeln für den Zugang zu ihr vorliegenden Verwaltungsdokumenten festgelegt hat. Vom europäischen kriminalpolizeilichen Zentralamt Europol wurde ich über die bestehenden Regelungen hinsichtlich des Zugangs von Einzelpersonen zu den Europol über sie vorliegenden Angaben unterrichtet. Darüber hinaus plant Europol noch vor Ablauf dieses Jahres Regelungen über die Einsichtnahme der Öffentlichkeit in Dokumenten zu verabschieden.
Der Vertrag von Amsterdam
Bei der Beschränkung des Rechts auf Zugang zu Dokumenten ist in erster Linie der Artikel 255 des EG-Vertrages zu beachten, in dem die allgemeinen Grundsätze und Einschränkungen für die Ausübung des Rechtes auf Zugang zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission verankert sind.
Dabei sollte die Liste der Ausnahmeregelungen kürzer und konkreter ausfallen, als das im derzeitigen Verhaltenskodex der Fall ist. Insbesondere sollte die Bestimmung zur "Urheberschaft des Dokuments", die in der vergleichbaren Gesetzgebung der Mitgliedstaaten unbekannt ist, abgeschafft werden. Wichtig wäre zudem eine gesetzliche Regelung, die das Führen von Registern über alle verfügbaren Dokumente vorschreibt. Vom Rat wurde bereits ein öffentliches Register über all seine Dokumenten erstellt. Auch die Kommission ist offensichtlich mit dem in einem Empfehlungsentwurf des Bürgerbeauftragten(16) angeregten Prinzip der Registerführung einverstanden.
Hin und wider entsteht noch immer der Eindruck, daß die Institutionen der Gemeinschaft ihre Dokumente so lange als geheim erachten, bis ihnen der Bürger vor Gericht das Gegenteil beweist. Wer den Bürger ernst nimmt, muß aber genau den entgegengesetzten Ansatz wählen. Er muß das Recht auf Zugang zur Regel und die Geheimhaltung zur Ausnahme machen, wobei geltend gemachte Ausnahmen ausdrücklich zu begründen sind. Entsprechende gesetzliche Regelungen können helfen, dies allen Mitarbeitern der Institutionen und Organe der Gemeinschaft klar zu machen.
Dabei darf auch nicht vergessen werden, daß sich Transparenz nicht nur auf den Zugang zu Dokumenten beschränkt. Vor dem Hintergrund der Umsetzung der im Amsterdamer Vertrag verankerten Prinzipien der Offenheit und Demokratie sollte insbesondere der Rat darüber nachdenken, bei Legislativsitzungen die Öffentlichkeit zuzulassen. Dies gilt vor allem dann, wenn Rechtsakte der Gemeinschaft verabschiedet werden, die für alle europäischen Bürger verbindlich sind.
Sehr geehrter Herr Präsident!
Bei der Durchsicht der Rechtsprechung des Gerichtes der ersten Instanz zum Thema Transparenz habe ich mich an die großartige Arbeit des Obersten Gerichtshofes der Vereinigten Staaten erinnert gefühlt, der sich in den fünfziger und sechziger Jahren unermüdlich für die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten eingesetzt hat, während andere staatliche Institutionen diesen Fragen damals gleichgültig oder sogar feindlich gegenüber zu stehen schienen.
In meinen Augen hat Ihr Gericht in den ersten 10 Jahren seines Bestehens eine ähnliche Funktion in Fragen der Transparenz wahrgenommen. Ich glaube, daß die europäischen Bürger Ihre Rolle bei der Wahrung der Transparenz der Gemeinschaftsinstitutionen mit gebührendem Respekt zur Kenntnis genommen haben.
Selbstverständlich liegt die Verantwortung für die Schaffung einer modernen, rechenschaftspflichtigen und dienstleistungsorientierten Verwaltung beim Gesetzgeber und bei der Verwaltung der Gemeinschaft selbst. Hier muß noch mehr getan werden. Doch die Fortschritte seit Maastricht belegen, daß sowohl der Gesetzgeber als auch die Verwaltung in der Lage sind, die ihnen zugedachte Rolle auszufüllen. Mit der Umsetzung von Artikel 255 EG-Vertrag durch gut durchdachte und umfassend diskutierte Rechtsakte wäre ein weiterer großer Schritt getan, um die Transparenz sowohl in den Amtszimmern der Verwaltung als auch in den Gerichtssälen - und damit im Leben der europäischen Bürger - Realität werden zu lassen.
Sehr geehrter Herr Präsident des Gerichtes der ersten Instanz!
Lassen Sie mich Ihnen, Ihren Kollegen und all Ihren Mitarbeitern herzlich gratulieren zu der ausgezeichneten Arbeit, die Sie in den ersten zehn Jahren des Bestehens des Gerichtes auf dem Gebiet der Stärkung der Rechte der europäischen Bürger und der Wahrung der Rechtsstaatlichkeit in unserer europäischen Gesellschaft geleistet haben.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(1) Siehe z.B. Stellungnahme 1/91 zum Entwurf der Vereinbarung zwischen der Gemeinschaft auf der einen Seite und den Ländern der Europäischen Freihandelsassoziation auf der anderen Seite bezüglich der Schaffung des Europäischen Wirtschaftsraumes [1991] Slg. I-6079; Rechtssache 294/83 Parti écologiste Les Verts gegen Parlament [1986] Slg. 1339.
(2) Allgemein zu diesem Thema siehe Europarat, The Administration and You: a handbook, 1996, S. 1.8.
(3) Rechtssache C-58/94 Niederlande gegen Rat, *1996* Slg. I-2169.
(4) Rechtssache T-14/98, Urteil vom 19. Juli 1999.
(5) [1996] Slg. I-2171, Randnummer 19.
(6) Absatz 2 der Erklärung 19:
"Die Konferenz fordert die Kommission auf, in Wahrnehmung der ihr durch Artikel 155 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft übertragenen Zuständigkeiten darauf zu achten, daß die Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen nachkommen. Sie ersucht die Kommission, für die Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament regelmäßig einen umfassenden Bericht zu veröffentlichen."
Gemäß Artikel 211 EG-Vertrag (ex-Artikel 155) obliegt es der Kommission "für die Anwendung dieses Vertrages sowie der von den Organen aufgrund dieses Vertrages getroffenen Bestimmungen Sorge zu tragen".
(7) Ein aktualisiertes Beschwerdeformular wurde am 30. April 1999 im Amtsblatt (ABl. C119/5) veröffentlicht.
(8) 303/97/PD, siehe Jahresbericht des Bürgerbeauftragten 1997, S. 270.
(9) Beschwerde 16/17.1.95/GS/IT, siehe Jahresbericht des Bürgerbeauftragten 1997, S. 191.
(10) Gemeinsamer Verhaltenskodex des Rates und der Kommission (ABl. 1993 L 340/ 41), umgesetzt durch den Beschluß des Rates vom 20. Dezember 1993 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Ratsdokumenten (ABl. 1993 L 340/43) und den Beschluß der Kommission vom 8. Februar 1994 über den Zugang der Öffentlichkeit zu den der Kommission vorliegenden Dokumenten (ABl. 1994 L 46/58).
(11) Artikel 3 (2) des Beschlusses 93/731:
"Die zuständigen Dienststellen des Generalsekretärs bemühen sich um eine angemessene Lösung bei Mehrfachanträgen und/oder Anträgen, die umfangreiche Dokumente betreffen."
(12) Rechtssachen T-194/94, John Carvel and the Guardian Newspapers gegen Rat, [1995] Slg. II- 2765; T-105/95, , World Wide Fund for Nature (WWF) gegen Kommission, [1997] Slg. II-313!!; Rechtssache T-174/95 Svenska Journalistförbundet gegen Rat [1998] Slg. II-2289.
(13) Beschwerden 1053/96/IJH und 1087/96/IJH.
(14) Beschwerde 633/97/PD.
(15) Rechtssache T-188/97 Rothmans International BV gegen Kommission, Urteil vom 19. Juli 1999.
(16) In Zusammenhang mit der Beschwerde 633/97/PD.
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