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Entwurf einer Empfehlung des Europäischen Bürgerbeauftragten an die Europäische Kommission zur Beschwerde 1874/2003/GG
Recommendation
Case 1874/2003/GG - Opened on Friday | 17 October 2003 - Recommendation on Thursday | 15 July 2004 - Decision on Tuesday | 14 December 2004
DIE BESCHWERDE
VorgeschichteDie Beschwerdeführerin ist eine deutsche nichtstaatliche Organisation (NGO), die auf dem Gebiet der humanitären Hilfe tätig ist. Die vorliegende Beschwerde steht in Zusammenhang mit einer im Jahr 2002 eingereichten Beschwerde (589/2002/GG). Diese Beschwerde betraf ein Projekt in Kasachstan unter der Bezeichnung „Organisation des Zentrums für vorbeugende, medizinische und diagnostische Hilfe für Kinder und ihre Mütter, die mit Virushepatitis infiziert und Virusträger sind (Hilfe bei Virushepatitis)“, welches von der EU mitfinanziert wurde. Der dazugehörige Vertrag (“LIEN-Vertrag 97-2011”) wurde am 28. April 1998 von der Beschwerdeführerin und der IBF (einer Organisation mit Sitz in Brüssel) in Vertretung der Europäischen Kommission unterzeichnet. Mit der Überwachung des Vorhabens war eine Organisation für technische Hilfe, das „Centre Européen du Volontariat" (CEV) in Brüssel betraut worden.
Im Frühjahr 1999 wurde das Vorhaben einer Überprüfung unterzogen. Am 1. Oktober 1999 informierte die IBF die Beschwerdeführerin über die Entscheidung der Kommission, das Vorhaben von diesem Tag an einzustellen.
In einem nicht datierten Brief, der offenbar im Oktober 2001 abgeschickt wurde, erklärte die Kommission ihre Absicht, die Beschwerdeführerin aufzufordern, die Summe von 37 741,07 €, d.h. die Differenz zwischen der Vorauszahlung (50 902 €) und den von der Kommission bereits genehmigten Kosten in Höhe von 16 451,16 € ,zurückzuerstatten.
In ihrer Beschwerde an den Bürgerbeauftragten vom März 2002 vertrat die Beschwerdeführerin die Ansicht, dass dieses Vorgehen der Kommission einen Missstand in der Verwaltungspraxis darstelle.
Am 14. Oktober 2002 legte der Bürgerbeauftragte einen Vorschlag für eine gütliche Lösung vor, demzufolge die Kommission erwägen sollte, ihren Beschluss, die Beschwerdeführerin zur Rückzahlung der Summe von 37.741,07 € aufzufordern, zu revidieren.
In ihrer Antwort erklärte die Kommission, sie sei bereit, ihre Forderung aufzugeben, wenn nachgewiesen werden könne, dass die Gelder im Interesse der Begünstigten des betreffenden Vorhabens verwendet wurden. Zu diesem Zweck müsse die Beschwerdeführerin einen ausführlichen finanziellen Rechenschaftsbericht über das Vorhaben vorlegen, der es den Dienststellen der Kommission ermöglichen würde, die Verwendung der bereits ausgezahlten Beträge zu überprüfen.
Unter diesen Umständen vertrat der Bürgerbeauftragte die Ansicht, dass eine gütliche Lösung der Beschwerde zwischen der Europäischen Kommission und der Beschwerdeführerin ausgehandelt worden sei und schloss den Fall am 21. März 2003(2) ab.
Die vorliegende BeschwerdeWährend die vorstehend genannte Beschwerde vom Bürgerbeauftragten geprüft wurde, ersuchte die Beschwerdeführerin die Kommission um Zugang zu ihrer den relevanten Vertrag betreffenden Akte. Am 8. Juli 2002 übermittelte die Kommission der Beschwerdeführerin ein Bestandsverzeichnis der in ihrer Akte enthaltenen Dokumente. Es gab drei Akten, die Dokumente und Korrespondenz enthielten, sowie eine vierte Akte, die nach Angaben der Kommission aus internen Dokumenten einschließlich des Schriftverkehrs zwischen der Kommission und den externen Büros IBF und CEV bestand.
Die Kommission gewährte Zugang zu allen in den Akten 1 bis 3 enthaltenen Dokumenten mit Ausnahme derjenigen, die nach Ansicht der Kommission unter Berufung auf Artikel 4 Absatz 3 der Verordnung 1049/2001 nicht zugänglich gemacht werden sollten. Kein Zugang wurde der Beschwerdeführerin zu Akte 4 gewährt.
Weitere Anträge der Beschwerdeführerin auf Einsicht in die übrigen Dokumente wurden abschlägig beschieden.
In ihrer Beschwerde an den Bürgerbeauftragen argumentierte die Beschwerdeführerin, dass die Weigerung der Kommission, umfassenden Zugang zu ihrer Akte betreffend den LIEN-Vertrag 97-2011 zu gewähren, einen Akt der Willkür und einen Verstoß gegen Verordnung 1049/2001 darstelle. Die Beschwerdeführerin erklärte, ihr müsse Einblick in die Dokumente der ersten drei Akten, die ihr von der Kommission vorenthalten wurden, und in die Dokumente der vierten Akte gewährt werden. Die Beschwerdeführerin ersuchte den Bürgerbeauftragten ferner, die betreffenden Akten zu beschlagnahmen.
In einem weiteren Schreiben vom 14. Oktober 2003 wies die Beschwerdeführerin darauf hin, dass sie ein Dokument betreffend den LIEN-Vertrag 97-2011 in der Akte der Kommission zu einem anderen Fall entdeckt habe, das offensichtlich nicht in der den vorliegenden Fall betreffenden Akte enthalten war. Die Beschwerdeführerin übermittelte dem Bürgerbeauftragten eine Kopie dieses Dokuments (eine von der Kommission erstellte „Hintergrundaufzeichnung“ vom 3. August 2001(3)).
DIE UNTERSUCHUNG
Die Beschwerde wurde der Kommission am 17. Oktober 2003 zur Stellungnahme übermittelt. Die Beschwerdeführerin wurde hierüber am gleichen Tag schriftlich informiert. In seinem Schreiben erklärte der Bürgerbeauftragte, dass er nicht befugt sei, Unterlagen zu beschlagnahmen.
Stellungnahme der KommissionIn ihrer Stellungnahme machte die Kommission folgende Ausführungen:
Am 9. März 2002 hatte die Beschwerdeführerin das EuropeAid Co-operation Office der Kommission um Zugang zu den Dokumenten betreffend den LIEN-Vertrag 97-2011 ersucht. EuropeAid habe dies als Antrag auf Identifizierung der Dokumente, aus denen die betreffende Akte besteht, verstanden. Zur Vorbereitung der Akteneinsicht habe die Kommission sich am 22. und 23. April 2002 schriftlich an die Beschwerdeführerin gewandt und vorgeschlagen, ihr ein Bestandsverzeichnis der Akte zuzusenden. Am 8. Juli 2002 habe die Kommission der Beschwerdeführerin das vollständige Bestandsverzeichnis der in der Akte enthaltenen Dokumente übermittelt.
Am 21. und 22. Juli 2002 hätten sich die Kommission und die Beschwerdeführerin über die praktischen Details der Akteneinsicht an Ort und Stelle geeinigt. Diese habe am 26. Juli 2002 stattgefunden.
Zur Behauptung der Beschwerdeführerin, das am 8. Juli 2002 übermittelte Bestandsverzeichnis sei unvollständig gewesen, stellte die Kommission fest, dass die von der Beschwerdeführerin erwähnte Aufzeichnung vom 3. August 2001 in diesem Bestandsverzeichnis als Dokument Nr. 37 der Akte Nr. 3 aufgeführt gewesen sei.
Obwohl grundsätzlich alle Dokumente zugänglich sein sollten, müsse die Institution zwangsläufig die Einsicht in bestimmte Dokumente verweigern, um den vertraulichen Charakter ihrer internen Beratungen zu wahren. Im Bestandsverzeichnis seien deshalb sowohl die zugänglichen Unterlagen als auch die Dokumente, die unter die Ausnahmebestimmungen gemäß Artikel 4 der Verordnung 1049/2001 fallen, genannt worden. Die Verweigerung des Zugangs zu letzteren stütze sich auf Artikel 4 Absatz 3 der Verordnung 1049/2001. Die Kommission sei der Ansicht, dass die Freigabe dieser Unterlagen, die Stellungnahmen für den internen Gebrauch als Teil der Beratungen und Vorabkonsultationen enthalten, den Entscheidungsprozess der Kommission ernsthaft beeinträchtigen würde.
Alle Unterlagen würden jedoch dem Bürgerbeauftragten zur Verfügung gestellt, wenn dieser sich vergewissern wolle, dass der Standpunkt der Kommission ausreichend begründet sei.
Bemerkungen der BeschwerdeführerinIm Schreiben ihres Anwalts vom 24. Februar 2004 und in ihren Briefen vom 25. Februar und 10. März 2004 brachte die Beschwerdeführerin folgende Anmerkungen zur Stellungnahme der Kommission vor:
Schreiben des Anwalts der Beschwerdeführerin vom 24. Februar 2004Nach Ansicht der Beschwerdeführerin war nicht klar ersichtlich, von welchem „Entscheidungsprozess“ die Kommission sprach. Wenn noch keine Entscheidung erlassen worden sei, müsse Artikel 4 Absatz 3 erster Unterabsatz der Verordnung 1049/2001 angewandt werden. Dagegen müsse für den Fall, dass ein Beschluss bereits gefasst worden sei, Artikel 4 Absatz 3 zweiter Unterabsatz gelten. Offensichtlich betreffe der vorliegende Fall einen Beschluss, der bereits gefasst worden sei, da die Kommission beschlossen habe, den fraglichen Vertrag am 1. Oktober 1999 aufzulösen. In diesem Fall sei festzustellen, dass die Kommission nicht erklärt habe, weshalb und unter Berufung auf welchen Entscheidungsprozess die Verbreitung der Dokumente nach wie vor nachteilige Auswirkungen haben könne.
Zweck der Verordnung 1049/2001 sei es, einen größtmöglichen Zugang zu Dokumenten zu gewährleisten (Artikel 1 a der Verordnung). Gemäß Erwägung 11 der Verordnung sollten grundsätzlich alle Dokumente der Organe für die Öffentlichkeit zugänglich sein, wobei der Schutz bestimmter öffentlicher und privater Interessen durch Ausnahmen gewährleistet werden sollte.
In Ziffer 3.4.4 ihres Berichts vom 30. Januar 2004 über die Anwendung der Grundsätze der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (KOM(2004)45 endg.) stellte die Kommmission fest, dass die in Artikel 4 Absatz 3 festgelegte Ausnahme es den Organen gestatte, „ihre internen Beratungen im Vorfeld von Entscheidungen … zu schützen“ und dass diese Ausnahme gewährleisten soll, „dass Entscheidungen ohne Druck von außen getroffen werden“. Obwohl dieses Ziel grundsätzlich verständlich und legitim sei, müsse man sich doch fragen, warum die Kommission befürchten müsse, dass der Beschluss, den sie im Jahr 1999 gefasst habe, vor äußerem „Druck“ geschützt werden müsse. Eine solche Gefahr habe weder zu dem Zeitpunkt bestanden, zu dem der Beschluss gefasst wurde, noch bestehe sie heute.
Im Bericht der Kommission heißt es weiter, dass für die Anwendung der Ausnahme gemäß Artikel 4 Absatz 3 „strenge“ Bedingungen gelten. Der Zugang könne nur dann verweigert werden, wenn die Freigabe den Entscheidungsprozess „ernstlich“ beeinträchtigen würde. Man müsse sich fragen, worauf die Kommission ihre Behauptung stützt, dass die Freigabe ihren Entscheidungsprozess im vorliegenden Fall ernstlich beeinträchtigen würde.
In ihrem Bericht räumte die Kommission ein, dass sich das Vorliegen eines „schweren Schadens“ besonders schwer nachweisen lässt, wenn sich die Ablehnung in Anwendung von Artikel 4 Absatz 3 zweiter Unterabsatz auf einen bereits gefassten Beschluss bezieht. Dazu stellte die Kommission fest: „… obwohl der Entscheidungsprozess eines Organs über ein bestimmtes Dossiers abgeschlossen ist, müsste die Freigabe eines vorbereitenden Dokuments, das im Rahmen der internen Beratungen zu jenem Dossier verfasst wurde, ernstlich die Fähigkeit des Organs beeinträchtigen, künftige Entscheidungen zu treffen. Die Feststellung einer solchen Beeinträchtigung dürfte zu einer allzu abstrakten Übung geraten.“ Man müsse sich also fragen, ob die Kommission im vorliegenden Fall die Frage des Zugangs anhand der in ihrem Bericht genannten Kriterien sorgfältig geprüft oder ob es sich hier lediglich um eine solche „abstrakte Übung“ gehandelt habe.
Beide Unterabsätze von Artikel 4 Absatz 3 verpflichteten die Kommission, sorgfältig zu prüfen, ob ein „überwiegendes“ öffentliches Interesse an der Verbreitung besteht. In ihrem Bericht erläuterte die Kommission, dass dies bedeute, dass der durch die Freigabe potenziell verursachte Schaden und das öffentliche Interesse gegeneinander abgewogen werden müssen. Soweit man dies beurteilen könne, habe eine solche Abwägung jedoch nie stattgefunden, obwohl die Einstellung des Vorhabens das Vertrauens der Regierung in Kasachstan scher erschüttert und für die Beschwerdeführerin einen erheblichen Ansehensverlust bedeutet habe.
Die Kommission habe nur eine knappe Erklärung abgegeben, ohne den Antrag auf Zugang zu den Unterlagen mit der gebotenen Sorgfalt zu prüfen und ohne zwischen der Situation im Jahr 2002 und der heutigen Situation zu unterscheiden.
Schreiben vom 25. Februar 2004Die Beschwerdeführerin stellte fest, dass sie erst nachdem sie Zugang zu der Akte der Kommission erhalten habe beweisen konnte, dass die Kommission sowohl ihr als auch dem Bürgerbeauftragten dreiste Lügen aufgetischt habe. Der Zugang zu den vollständigen Unterlagen werde hoffentlich Aufschluss darüber geben, warum die Kommission ihrer Überwachungsaufgabe nicht in unparteiischer Weise nachgekommen sei.
Es sei merkwürdig, dass die Kommission der Beschwerdeführerin Zugang zu verschiedenen Mitteilungen zwischen der Kommission und ihrer Delegation in Kasachstan gewährt habe, die Einsicht in andere Mitteilungen jedoch verweigert habe. Dies zeige, dass die Kommission nicht im Mindesten bereit sei, sich an die Verordnung 1049/2001 zu halten.
Die Beschwerdeführerin sei seit mehr als zehn Jahren Opfer einer gezielten Diffamierungskampagne seitens mehrerer Generaldirektionen der Kommission.
Die Verordnung 1049/2001 sehe die Freigabe der vollständigen Akte vor. Sie liefere keine Handhabe für die willkürliche Beschneidung des Rechts auf Zugang zur Akte durch eine Kommission, die gegenüber der Beschwerdeführerin eine mehr und mehr feudalistische Haltung erkennen lasse.
Die Erklärung der Kommission, wonach der Zugang zu bestimmten Dokumenten verwehrt werden müsse, um die internen Beratungen der Kommission zu schützen, bestärke nur den Verdacht, dass die Kommission noch mehr zu verbergen habe als die Beschwerdeführerin selbst erwartet habe.
Der Zugang zu den relevanten Akten sei immer da notwendig, wo Verwaltungsabläufe mit Manipulationen, falschen Verdächtigungen und haltlosen Lügen einhergingen.
Es sei unklar, welcher „Entscheidungsprozess“ noch geschützt werden müsse, nachdem die Kommission an ihrer dreisten Forderung festgehalten habe, dass die Beschwerdeführerin die Summe von 37 741,07 € zuzüglich Zinsen zurückzahlen muss.
Die Einstellung des Projekts in Kasachstan habe dem Ansehen der Beschwerdeführerin schwer geschadet. Die Beschwerdeführerin habe deshalb Anspruch auf Einsichtnahme in die von der Kommission zurückbehaltenen Dokumente, um diesen Schaden wieder gut zu machen.
Schreiben vom 10. März 2004Die Beschwerdeführerin machte geltend, der Bürgerbeauftragte selbst habe ihr in seiner Entscheidung vom 17. Oktober 2003 das Recht auf Zugang zu der vollständigen Akte zugestanden. Es sei verdächtig, dass die für den Vertrag zuständigen Dienststellen am 23. September 1999 ein „Informationsersuchen über einen Vertragsnehmer“ an eine andere Generaldirektion der Kommission gerichtet hätten. Dieses Dokument sei unter den Dokumenten gewesen, die auf der Liste für die vierte, nicht zugängliche Akte aufgeführt gewesen seien.
Weitere UntersuchungenNach sorgfältiger Prüfung der Stellungnahme der Kommission und der Bemerkungen der Beschwerdeführerin erschien es erforderlich, weitere Untersuchungen anzustellen.
Prüfung der AkteAm 9. März 2004 überprüften die Dienststellen des Bürgerbeauftragten die Akte der Kommission. Es wurde festgestellt, dass ein Dokument in Akte 1, für das die Ausnahme gemäß Artikel 4 Absatz 3 geltend gemacht wurde, auch faktische Informationen enthielt, und dass mehrere Dokumente in Akte 4 im Bestandsverzeichnis für diese Akte nicht aufgeführt gewesen waren.
Ersuchen um weitere AuskünfteAm 18. März 2004 ersuchte der Bürgerbeauftragte die Kommission, zu erklären, warum sie 1) nicht die Möglichkeit erwogen hatte, einen teilweisen Einblick in die Aufzeichnung von Frau S. vom 30. April 1999 zu gewähren, die in Teil VII des Verzeichnisses der Dokumente in Akte 1 aufgeführt wurde, und 2) der Beschwerdeführerin nicht ein vollständiges Verzeichnis der Dokumente in Akte 4 übermittelt hatte.
Antwort der KommissionIn ihrer Antwort wies die Kommission darauf hin, dass sie zum Zeitpunkt der Ausarbeitung des Bestandsverzeichnisses im Juli 2002 der Ansicht gewesen sei, dass die Aufzeichnung von Frau S. wegen ihres internen Charakters und der darin enthaltenen subjektiven Bemerkungen als nicht zur Freigabe bestimmtes Dokument zu betrachten sei. Dieses Dokument enthielt jedoch auch das Protokoll einer Sitzung vom 29. April 1999, an dem CEV und die Beschwerdeführerin teilgenommen hatten. Die Kommission erklärte sich einverstanden, der Beschwerdeführerin diesen Teil des Dokuments zugänglich zu machen. Im Hinblick auf Akte 4 machte die Kommission geltend, dass die vom Bürgerbeauftragten erwähnten, nicht aufgeführten Dokumente zum besseren Verständnis anderer Dokumente, die im Bestandsverzeichnis aufgeführt seien, in die Akte aufgenommen worden seien. Die Kommission stimmte jedoch zu, dass in dem für Akte 4 erstellten Verzeichnis alle in der Akte enthaltenen Unterlagen aufgeführt sein sollten.
Mit ihrer Antwort übermittelte die Kommission eine Kopie des Dokuments vom 30. April 1999, auf der die Anmerkungen von CEV unleserlich gemacht worden waren, sowie eine ergänzte Liste der Dokumente in Akte 4.
Bemerkungen der BeschwerdeführerinIn ihren Bemerkungen hielt die Beschwerdeführerin ihre Beschwerde aufrecht und ergänzte sie durch folgende weitere Ausführungen:
Bei ihrem Beschluss, das Vorhaben einzustellen, sei die Kommission ihrer Verpflichtung, die Beschwerdeführerin anzuhören, bevor sie eine Maßnahme trifft, die nachteilige Auswirkungen für sie hat, nicht nachgekommen. Die Kommission habe auch gegen Artikel 6 des Europäischen Kodex für gute Verwaltungspraxis verstoßen, da die getroffene Maßnahme in keinem angemessenen Verhältnis zum angestrebten Ziel gestanden habe. Ferner hat die Kommission gegen Artikel 21 des Kodex (Datenschutz) verstoßen.
Der Antrag auf Zugang zu den Unterlagen sei am 9. März 2002 gestellt worden, die Kommission habe aber erst am 29. August 2002 geantwortet. Auch dies sei ein Beispiel schlechter Verwaltungspraxis, das der Bürgerbeauftragte noch nicht in seine Untersuchungen aufgenommen habe.
Die Kommission habe bisher kein vollständiges Verzeichnis der in ihrer Akte enthaltenen Dokumente übermittelt. Dies sei ein weiteres Beispiel für schlechte Verwaltungspraxis.
DIE ENTSCHEIDUNG
1 Einleitende Bemerkungen1.1 Die Beschwerdeführerin ist eine deutsche nichtstaatliche Organisation (NGO), die an einem Projekt in Kasachstan mit der Bezeichnung „Organisation des Zentrums für präventive, medizinische und diagnostische Hilfe für Kinder und ihre Mütter, die mit Virushepatitis infiziert und Virusträger sind (Hilfe bei Virushepatitis)“ gearbeitet hatte, welches von der EU mitfinanziert wurde. Der dazugehörige Vertrag (“LIEN contract 97-2011”) wurde am 28. April 1998 von der Beschwerdeführerin und der IBF (einer Organisation mit Sitz in Brüssel) in Vertretung der Europäischen Kommission unterzeichnet. Mit der Überwachung des Vorhabens war eine Organisation für technische Hilfe, das „Centre Européen du Volontariat“ (CEV) in Brüssel betraut worden. Im Frühjahr 1999 wurde das Projekt einer Überprüfung unterzogen. Am 1. Oktober 1999 informierte die IBF die Beschwerdeführerin über die Entscheidung der Kommission, das Vorhaben von diesem Tag an einzustellen. Die vorliegende Beschwerde betrifft die Frage des Zugangs zur Akte der Kommission betreffend den LIEN-Vertrag 97-2011.
1.2 In ihren Bemerkungen vom 15. Juni 2004 zur Antwort der Kommission auf das Ersuchen des Bürgerbeauftragten um weitere Auskünfte äußerte die Beschwerdeführerin die Ansicht, dass die Entscheidung der Kommission, das Projekt in Kasachstan einzustellen, gegen bestimmte rechtliche Verpflichtungen und einige Bestimmungen des Europäischen Kodex für gute Verwaltungspraxis verstoße. Es sei daran erinnert, dass die vorliegende Beschwerde die Frage des Zugangs zu Akte betrifft. Die Frage, ob die Entscheidung der Kommission, das Projekt in Kasachstan einzustellen, rechtens war, ist Gegenstand einer anderen Beschwerde, die dem Bürgerbeauftragten derzeit vorliegt (Beschwerde 49/2004/GG). Die Kritik der Beschwerdeführerin an der Entscheidung der Kommission, den LIEN-Vertrag 97-2011 aufzulösen, wird deshalb im Rahmen dieser Untersuchung nicht behandelt. Der Beschwerdeführerin steht es jedoch frei, diese Kritik in ihren Bemerkungen zur Stellungnahme der Kommission in der Rechtssache 49/2004/GG vorzubringen.
1.3 In ihren Bemerkungen vom 15. Juni 2004 kritisierte die Beschwerdeführerin darüber hinaus die lange Zeitspanne zwischen dem Zeitpunkt, zu dem sie ihren Antrag auf Zugang stellte (9. März 2002), und dem Zeitpunkt, zu dem der Zugang gewährt wurde (26. August 2002). Der Bürgerbeauftragte ist der Ansicht, dass die Ausdehnung seiner Untersuchungen auf diesen weiteren Beschwerdepunkt seine Entscheidung über die ursprüngliche Beschwerde verzögern würde, und dass dies nicht im Interesses der Beschwerdeführerin liegt. Der zusätzliche Beschwerdepunkt wird demnach nicht im Rahmen dieser Untersuchung behandelt. Die Beschwerdeführerin kann diesen Punkt jedoch, wenn sie dies wünscht, im Rahmen einer neuen Beschwerde vorbringen.
2 Verweigerung des uneingeschränkten Zugangs zur Akte2.1 Die Beschwerdeführerin behauptet, dass die Kommission ihr den Zugang zu ihrer vollständigen Akte betreffend den LIEN-Vertrag 97-2011 verwehrt habe.
2.2 Die Kommission weist darauf hin, dass die Beschwerdeführerin ein Bestandsverzeichnis der Dokumente in allen vier Akten erhalten habe, aus denen sich ihre Akte zusammensetzt. In diesem Bestandsverzeichnis seien sowohl die Dokumente aufgeführt worden, die zugänglich waren, als auch diejenigen Dokumente, für die eine der Ausnahmen gemäß Artikel 4 der Verordnung 1049/2001 galt. Die Weigerung, Zugang zu letzteren zu gewähren, habe sich auf Artikel 4 Absatz 3 der Verordnung 1049/2001 gestützt. Die Kommission ist der Ansicht, dass die Freigabe dieser Dokumente, die Stellungnahmen für den internen Gebrauch als Teil von Beratungen und Vorabkonsultationen enthalten hätten, den Entscheidungsprozess der Kommission ernstlich beeinträchtigt hätte. Ein bestimmtes Dokument, das nach Angaben der Beschwerdeführerin gefehlt habe, sei in ihrem Verzeichnis als Dokument Nr. 37 der Akte Nr. 3 aufgeführt.
2.3 Nach Artikel 1 a) der Verordnung 1049/2001 ist es Zweck dieser Verordnung, den größtmöglichen Zugang zu Dokumenten des Rates, des Europäischen Parlaments und der Kommission zu gewährleisten. Gemäß der Rechtsprechung der Gemeinschaftsgerichte müssen Ausnahmen von diesem Grundsatz streng interpretiert werden(4) Wenn die Kommission eine Ausnahme geltend macht, muss sie, zumindest für jede betroffene Gruppe von Dokumenten, die einzelnen Gründe angeben, aus denen die Verweigerung der Offenlegung der gewünschten Dokumente ihrer Ansicht nach gerechtfertigt ist(5). Die Kommission muss in der in ihrer Entscheidung gegebenen Begründung klarstellen, dass sie eine Bewertung der in dem betreffenden Fall relevanten Dokumente vorgenommen hat(6).
2.4 Im vorliegenden Fall enthält das Schreiben vom 8. Juli 2002, in dem die Kommission auf das Zugangsgesuch der Beschwerdeführerin antwortet, keine Gründe für die Weigerung, bestimmte Dokumente zur Einsicht freizugeben, sondern verweist lediglich auf die Tatsache, dass bestimmte im Bestandsverzeichnis aufgeführte Dokumente nicht freigegeben werden. In dem Bestandsverzeichnis, das diesem Schreiben beigefügt ist, sind 17 Dokumente in Akte 1 und ein Dokument in Akte 3 aufgeführt, zu denen angemerkt wird, dass sie aufgrund der Verordnung 1049/2001 Artikel 4 Absatz 3 nicht zur Einsicht freigegeben sind. Bei einigen dieser Dokumente findet sich zusätzlich, offenbar als Beschreibung des Inhalts, der Vermerk „Teil des Entscheidungsprozesses“. Zu Akte 4, für die 67 Dokumente aufgeführt sind, findet sich in der Kopfzeile lediglich der Vermerk „nicht zur Freigabe bestimmt“.
2.5 Der Bürgerbeauftragte ist der Ansicht, dass diese Begründung eindeutig nicht ausreicht, um es Beschwerdeführerin (und dem Bürgerbeauftragten selbst) zu ermöglichen, zu verstehen, warum kein Zugang zu diesen Dokumenten gewährt werden konnte. Zudem ist festzustellen, dass sich die Kommission in ihrer Stellungnahme darauf beschränkt, den Wortlaut von Artikel 4 Absatz 3 der Verordnung 1049/2001 zu wiederholen, ohne eine genauere Erklärung dafür zu liefern, weshalb die Freigabe der Dokumente ihren Entscheidungsprozess ernstlich beeinträchtigen würde.
2.6 Nichts weist also darauf hin, dass die Kommission für jedes einzelne der betreffenden Dokumente oder zumindest für Gruppen dieser Dokumente geprüft hat, ob die Bedingungen für die Anwendung von Artikel 4 Absatz 3 der Verordnung erfüllt sind. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass die Dokumente, deren Freigabe verweigert wurde, verschiedenen Dokumentenkategorien zuzurechnen sind, wie beispielsweise interne Aufzeichnungen der für den LIEN-Vertrag 97-2011 zuständigen Dienststelle der Kommission, Berichte, Korrespondenz (größtenteils per E-mail) zwischen Kommission, CEV und IBF und andere Schriftstücke (siehe beispielsweise das vom 12. November 1999 datierte und in Akte 4 aufgeführte Dokument, das als „Chronologie der Ereignisse“ beschrieben wird). Ferner ist festzustellen, dass die Kommission, wie die Beschwerdeführerin richtig bemerkt, nicht erklärt hat, warum einige Dokumente, die einer bestimmten Kategorie angehören, zugänglich sind, andere dagegen nicht(7).
2.7 Der Bürgerbeauftragte stellt ferner fest, dass die Kommission sich offensichtlich keine Gedanken darüber gemacht hat, ob die Tatsache, dass ihre Entscheidung zur Auflösung des LIEN-Vertrags 97-2011 bereits 1999 erlassen wurde, Auswirkungen auf die gemäß Artikel 4 Absatz 3 der Verordnung 1049/2001 durchzuführende Prüfung hat. Er stellt ferner fest, dass die Kommission immer noch nicht deutlich gemacht hat, ob sie sich auf den ersten oder den zweiten Unterabsatz dieser Bestimmung stützen will.
2.8 In Anbetracht dessen gelangt der Bürgerbeauftragte zu dem Schluss, dass die Kommission den Antrag der Beschwerdeführerin auf Zugang zu den Dokumenten der Akte betreffend den LIEN-Vertrag 97-2011 nicht ordnungsgemäß bearbeitet hat, und dass dies einen Missstand in ihrer Verwaltungstätigkeit darstellt.
3 SchlussfolgerungIn Erwägung der vorstehend genannten Gründe richtet der Bürgerbeauftragte gemäß Artikel 3 Absatz 6 des Statuts des Bürgerbeauftragten den folgenden Entwurf einer Empfehlung an die Kommission:
EmpfehlungsentwurfDie Kommission sollte den Antrag der Beschwerdeführerin, ihr uneingeschränkten Zugang zu ihrer Akte betreffend den LIEN-Vertrag 97-2011 zu gewähren, erneut prüfen und ihr Zugang zu diesen Dokumenten zu gewähren, sofern sie nicht nachweisen kann, dass für sie eine der in Verordnung 1049/2001 geregelten Ausnahmen gilt.
Die Kommission und die Beschwerdeführerin werden über diesen Empfehlungsentwurf in Kenntnis gesetzt. Gemäß Artikel 3 Absatz 6 des Statuts des Bürgerbeauftragten ist die Kommission gehalten, bis zum 15. Oktober 2004 eine begründete Stellungnahme zu übermitteln. Die begründete Stellungnahme kann in der Annahme der Entscheidung des Bürgerbeauftragten und einer Beschreibung der zur Umsetzung des Empfehlungsentwurfs ergriffenen Maßnahmen bestehen.
Straßburg, den 15. Juli 2004
P. Nikiforos DIAMANDOUROS
(1) Beschluss 94/262 des Europäischen Parlaments vom 9. März 1994 über die Regelungen und Allgemeinen Bedingungen für die Ausübung der Aufgaben des Bürgerbeauftragten, ABl. L 113/1994, S. 15.
(2) Die Beschwerdeführerin hat seitdem eine neue Beschwerde eingereicht, die die Beendigung des LIEN-Vertrags 97-2011 betrifft (Beschwerde 49/2004/GG). Dazu hat die Kommission am 30. März 2004 ihre Stellungnahme übermittelt. Am 22. April 2004 beschloss der Bürgerbeauftragte auf Ersuchen der Beschwerdeführerin, dass die Beschwerdeführerin die Ergebnisse seiner Untersuchungen im Zusammenhang mit der Beschwerde 1874/2003/GG abwarten könne, bevor sie zur Stellungnahme der Kommission in der Rechtssache 49/2004/GG Stellung nimmt.
(3) In ihrem Schreiben vom 14. Oktober 2003 gab die Beschwerdeführerin irrtümlich den „3. September“ 2001als Datum an.
(4) Siehe Rechtssache T-105/95 WWF (UK) gegen Kommission, Slg. 1997, II-313, Randn. 56; verbundene Rechtssachen C-174/98 P und C-189/98 P Niederlande und Van der Wal gegen Kommission, Slg. 2000, I-1 Randn. 27.
(5) Siehe Rechtssache T-124/96 Interporc gegen Kommission, Slg. 1998, II-231 Randn. 54.
(6) Rechtssache T-123/99 JT’s Corporation gegen Kommission, Slg. 2000, II-3269 Randnr. 65.
(7) So waren beispielsweise in Akte 2 zwei gefaxte Mitteilungen der Delegation der Kommission in Kasachstan an CEV (vom 10. Juni und 26. Juli 1999, aufgeführt unter II 5 und 6) für die Beschwerdeführerin zugänglich, eine E-mail der Delegation an CEV (vom 17. oder 19. November 1999, aufgeführt unter III 14) dagegen nicht.
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