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Empfehlungsentwurf des Europäischen Bürgerbeauftragten an den Rat der Europäischen Union in der Beschwerdesache 2097/2002/GG
Recommendation
Case 2097/2002/GG - Opened on Monday | 09 December 2002 - Recommendation on Wednesday | 16 April 2003 - Decision on Thursday | 04 September 2003
DIE BESCHWERDE
Die Beschwerdeführerin, eine deutsche Staatsangehörige, nahm an dem Auswahlverfahren RAT/C/412 für Büroassistentinnen und Büroassistenten (Besoldungsgruppe C5) deutscher Sprache teil. Das Auswahlverfahren bestand aus vier Abschnitten: zwei Tests mit Auswahlfragen (A und B), einer schriftlichen Prüfung am PC (C) und einer mündlichen Prüfung (D). Die schriftliche Prüfung unterteilte sich in drei Tests. Im zweiten dieser Tests (Test b) hatten die Bewerber aus etwa 45 maschinenschriftlich vorliegenden Zeilen, die neben Tippfehlern und grammatikalischen Fehlern handschriftliche Korrekturen und Anmerkungen enthielten, eine gestaltete Reinschrift zu erstellen. Für diesen Text wurden 0 bis 40 Punkte vergeben. Die zu erreichende Mindestpunktzahl betrug 24 Punkte.
Am 12. November 2002 wurde ihr vom Rat mitgeteilt, dass sie bei Prüfung C.b) lediglich 18 Punkte erzielt habe und daher nicht zu den mündlichen Prüfungen zugelassen werden könne.
Mit Schreiben vom 20. November 2002 teilte die Beschwerdeführerin dem Rat mit, dass dies für sie der erste derartige Test gewesen sei, und fügte hinzu, dass sie nach wie vor Interesse an einer Tätigkeit bei der Europäischen Union habe und es für sie sehr hilfreich wäre zu erfahren, aus welchen Gründen sie die Mindestpunktzahl nicht erreicht hatte. Sie bat daher um Einsichtnahme in die Auswertung des betreffenden Tests.
In seiner Antwort vom 27. November 2002 teilte der Rat der Beschwerdeführerin mit, dass der Prüfungsausschuss nach nochmaliger Überprüfung ihrer Arbeit seine ursprüngliche Bewertung aufrechterhalten habe und dass eine Einsichtnahme in die Prüfungsarbeit leider nicht möglich sei.
In ihrer Beschwerde an den Bürgerbeauftragten erklärte die Beschwerdeführerin, dass die Weigerung des Rates, ihr Einsicht in die Auswertung ihres Tests zu gewähren, für sie nicht akzeptabel sei. Die Weigerung sei nicht begründet worden und mache es ihr unmöglich nachzuvollziehen, warum der betroffene Test durch sie nicht erfolgreich abgeschlossen wurde.
DIE UNTERSUCHUNG
Die Stellungnahme des Rates
In seiner Stellungnahme führte der Rat Folgendes aus:
Nach Anhang III Artikel 6 des Statuts der Beamten sind die Arbeiten des Prüfungsausschusses geheim. Wie der Gerichtshof bereits festgestellt habe, sei die Geheimhaltung eingeführt worden, um die Unabhängigkeit der Prüfungsausschüsse für Auswahlverfahren und die Objektivität ihrer Arbeiten dadurch zu gewährleisten, dass die Ausschüsse vor allen äußeren Einmischungen und Pressionen geschützt werden. Die Wahrung der Geheimhaltung verbiete es daher, die Auffassungen der einzelnen Mitglieder des Prüfungsausschusses zu verbreiten und Einzelheiten in Bezug auf die Beurteilung der Bewerber persönlich oder im Vergleich mit anderen aufzudecken.(2) Diese für die Arbeiten des Prüfungsausschusses geltende Geheimhaltung verbiete auch eine Mitteilung der Korrekturkriterien für die Prüfungen des Auswahlverfahrens, die Bestandteil der vergleichenden Beurteilungen sind, die der Prüfungsausschuss hinsichtlich der Verdienste der Bewerber vornimmt.(3)
Die Geheimhaltungspflicht für die Arbeiten des Prüfungsausschusses stehe der Einsichtnahme durch den Bewerber im Wege, da korrigierte Prüfungsarbeiten die Auffassungen der einzelnen Mitglieder des Ausschusses in Bezug auf die Bewertung der Bewerber offenbarten.
Die Mitteilung der in den einzelnen Prüfungen erzielten Noten stelle eine ausreichende Begründung für die Entscheidungen des Prüfungsausschusses dar.
Anmerkungen der BeschwerdeführerinEs gingen keine Anmerkungen der Beschwerdeführerin ein.
DIE ENTSCHEIDUNG
1 Verweigerung des Zugangs zur korrigierten Prüfungsarbeit
1.1 Die Beschwerdeführerin, eine deutsche Staatsangehörige, nahm an dem Auswahlverfahren RAT/C/412 für Büroassistentinnen und Büroassistenten (Besoldungsgruppe C5) deutscher Sprache teil. Nachdem ihr mitgeteilt wurde, dass sie bei einer der schriftlichen Prüfungen dieses Auswahlverfahrens die Mindestpunktzahl nicht erreicht habe, bat sie um Einsichtnahme in ihre korrigierte Prüfungsarbeit. Der Rat lehnte ihre Bitte ab. In ihrer Beschwerde an den Bürgerbeauftragten bezeichnete die Beschwerdeführerin diese Ablehnung als nicht akzeptabel.
1.2 Der Rat machte in seiner Stellungnahme geltend, dass nach Anhang III Artikel 6 des Statuts der Beamten die Arbeiten des Prüfungsausschusses geheim sind und dass diese Geheimhaltung eingeführt worden sei, um die Unabhängigkeit der Prüfungsausschüsse für Auswahlverfahren und die Objektivität ihrer Arbeiten zu gewährleisten. Nach Auffassung des Rates steht die Geheimhaltungspflicht für die Arbeiten des Prüfungsausschusses der Einsichtnahme des Bewerbers in die korrigierte Prüfungsarbeit im Wege, da diese die Auffassungen der einzelnen Mitglieder des Ausschusses in Bezug auf die Bewertung der Bewerber offenbare.
1.3 Im Zusammenhang mit Beschwerdesachen, die die Europäische Kommission(4) und das Europäische Parlament(5) betrafen, ist der Europäische Bürgerbeauftragte bereits in der Vergangenheit der Frage nachgegangen, ob Bewerbern der Zugang zu ihren eigenen korrigierten Prüfungsarbeiten ermöglicht werden sollte.
1.4 Im Anschluss an seine Untersuchungen zu den Einstellungsverfahren der Kommission legte der Bürgerbeauftragte am 18. Oktober 1999 einen Sonderbericht an das Europäische Parlament(6) vor, der die nachstehenden Überlegungen enthält:
„Dem Bürgerbeauftragten ist keine Bestimmung des Gemeinschaftsrechts oder des Fallrechts der Gemeinschaftsgerichte bekannt, die es der Kommission untersagen würde, einem Bewerber bei einer schriftlichen Prüfung Einblick in seine eigene korrigierte Prüfungsarbeit zu gewähren. Artikel 6 von Anhang III zum Beamtenstatut legt fest, dass die ‚Arbeiten des Prüfungsausschusses’ geheim sind. Die Beratungen des Prüfungsausschusses müssen also geheim gehalten werden, aber daraus folgt nicht unbedingt, dass den Bewerbern die Einsichtnahme in ihre eigenen korrigierten Prüfungsarbeiten verwehrt werden muss.
Das von der Kommission zur Rechtfertigung ihrer Ablehnung angeführte Hauptargument betrifft die Natur des Einstellungsverfahrens. Der Kommission zufolge beurteilt der Prüfungsausschuss jeden Bewerber in einem Vergleich zwischen dessen Leistung und der Leistung aller anderen Teilnehmer am gleichen Auswahlverfahren. Daraus folgert die Kommission, dass die Freigabe der korrigierten Prüfungsarbeit zwecklos sei, da sie nur die Beurteilung durch eine Person wiedergebe, die nicht auch alle anderen Kandidaten beurteilt habe.
Die Möglichkeit, seine eigene Prüfungsarbeit zu sehen, ist für den Bewerber jedoch mit einigen Vorteilen verbunden. Erstens hat er Gelegenheit, seine Fehler zu erkennen und so seine künftige Leistung zu verbessern. Zweitens wird das Vertrauen des Bewerbers in die Verwaltung gestärkt. Das ist wichtig, da die Meinung, dass Tests von der Kommission nicht immer richtig bewertet werden und manchmal sogar überhaupt nicht bewertet werden, anscheinend weit verbreitet ist. Drittens kann ein Bewerber, wenn er das Gefühl hat, falsch beurteilt worden zu sein, viel genauer argumentieren, wenn er seine korrigierte Prüfungsarbeit gesehen hat. In jedem Fall sollte der Bürger, der um Auskünfte bittet, und nicht die Verwaltung, darüber entscheiden, ob diese Auskünfte sinnvoll sind.
Die Kommission spricht auch von dem Verwaltungs- und Kostenaufwand, der mit einer Freigabe der korrigierten Prüfungsarbeiten verbunden wäre. Der Bürgerbeauftragte ist überzeugt, dass die Dienststellen der Kommission die Freigabe so organisieren können, dass die Kosten minimiert werden, da es unwahrscheinlich ist, dass alle Bewerber ihre korrigierten Prüfungsarbeiten sehen wollen.
(…)
Die Kommission hat auch Recht, wenn sie darauf hinweist, dass die Rechtmäßigkeit der Tätigkeiten des Prüfungsausschusses der Kontrolle durch die Gemeinschaftsgerichte unterliegt. Dies bedeutet jedoch, dass die Gerichte möglicherweise mit Fragen befasst werden müssen, die man leicht hätte lösen können, wenn der Bewerber Gelegenheit zur Einsichtnahme in die korrigierte Prüfungsarbeit gehabt hätte. Der Bürgerbeauftragte hält dieses Vorgehen für sehr unbefriedigend für die Bewerber. Würde man ihnen jedoch Zugang zu den korrigierten Prüfungsarbeiten gewähren, dürften wahrscheinlich viele Fragen mit geringem Aufwand und in kürzester Zeit gelöst werden können.
(…)
Wie im Vertrag von Amsterdam bestätigt wurde, stellt die Verpflichtung, Entscheidungen so offen wie möglich zu treffen, eines der grundlegenden Prinzipien des Verwaltungsrechts der Europäischen Gemeinschaften dar. Ferner ist es wichtig zu gewährleisten, dass die Bürger einen positiven Eindruck gewinnen, wenn sie erstmals mit den Gemeinschaftsinstitutionen in Kontakt treten. Bürger, die für die Gemeinschaften arbeiten wollen, erhalten einen schlechten Eindruck, wenn sie in Zweifel darüber belassen werden, ob sie fair und korrekt beurteilt wurden. Um solche Zweifel zu zerstreuen, ist es wesentlich, dass jeder Bewerber die Möglichkeit haben sollte, die korrigierte Kopie seiner eigenen Prüfungsarbeit einzusehen. Diese Möglichkeit steht in keinem Widerspruch zu dem Erfordernis, dass die Verfahren des Prüfungsausschusses geheim sein sollen, da sie nicht die Entscheidungen des Prüfungsausschusses betreffen, der die relativen Leistungen eines Bewerbers beurteilt. Die Weigerung der Kommission, ihre Verwaltungsverfahren in dem Sinne abzuändern, dass allen Bewerbern Zugang zu ihren eigenen korrigierten Prüfungsarbeiten gewährt wird, dürfte daher einen Missstand bei der Verwaltungstätigkeit darstellen.“
1.5 Auf der Grundlage dieser Überlegungen empfahl der Bürgerbeauftragte der Kommission, bei künftigen Auswahlverfahren und spätestens vom 1. Juli 2000 an den Bewerbern auf Anfrage Zugang zu ihren eigenen korrigierten Prüfungsarbeiten zu gewähren. Mit Schreiben vom 7. Dezember 1999 teilte der Präsident der Europäischen Kommission dem Bürgerbeauftragten mit, dass die Kommission diese Empfehlung angenommen habe.
1.6 Am 17. November 2000 verabschiedete das Europäische Parlament eine Entschließung(7), in der es den Sonderbericht des Bürgerbeauftragten billigte und die Kommission zu ihrer positiven Reaktion auf die Empfehlung des Bürgerbeauftragten beglückwünschte. Darüber hinaus gab das Parlament seiner Hoffnung Ausdruck, „dass alle anderen europäischen Organe und Institutionen dem Beispiel der Kommission folgen“.
1.7 Am 17. Juli 2000 richtete der Bürgerbeauftragte Empfehlungsentwürfe an das Europäische Parlament, in denen er vorschlug, dass das Parlament den betroffenen Beschwerdeführern Zugang zu ihren eigenen korrigierten Prüfungsarbeiten gewähren sollte. Am 27. November 2000 teilte das Parlament dem Bürgerbeauftragten mit, dass es den Grundsatz akzeptiert habe, Bewerbern eine Kopie ihrer eigenen korrigierten Prüfungsarbeiten zukommen zu lassen, und legte dar, wie es die Empfehlungsentwürfe des Bürgerbeauftragten umzusetzen beabsichtigte.(8)
1.8 Die Argumente des Rates in der vorliegenden Beschwerdesache beziehen sich nicht auf irgendwelche besonderen Merkmale von Auswahlverfahren des Rates, die diese von den Auswahlverfahren des Europäischen Parlaments und der Kommission unterscheiden würden. Daher vertritt der Bürgerbeauftragte die Auffassung, dass die Überlegungen, die er in seinem Sonderbericht zu den Einstellungsverfahren der Kommission angestellt hat, entsprechend auch für Auswahlverfahren des Rates gelten.
2 SchlussfolgerungIn Anbetracht dessen ist der Bürgerbeauftragte der Auffassung, dass die durch den Rat erfolgte Ablehnung der Einsichtnahme der Beschwerdeführerin in ihre eigene korrigierte Prüfungsarbeit einen Missstand in der Verwaltungstätigkeit darstellt.
Deshalb richtet der Bürgerbeauftragte gemäß Artikel 3 Absatz 6 des Statuts des Bürgerbeauftragten folgenden Empfehlungsentwurf an den Rat:
EmpfehlungsentwurfDer Rat der Europäischen Union sollte der Beschwerdeführerin Zugang zu ihrer eigenen korrigierten Prüfungsarbeit gewähren.
Der Rat und die Beschwerdeführerin werden von diesem Empfehlungsentwurf in Kenntnis gesetzt. Gemäß Artikel 3 Absatz 6 des Statuts des Bürgerbeauftragten hat der Rat bis zum 31. Juli 2003 eine mit Gründen versehene Stellungnahme zu übermitteln. Diese mit Gründen versehene Stellungnahme könnte in der Annahme der Entscheidung des Bürgerbeauftragten und einer Beschreibung der Maßnahmen zur Umsetzung des Empfehlungsentwurfs bestehen.
Straßburg, den 16. April 2003
P. Nikiforos DIAMANDOUROS
(1) Beschluss des Europäischen Parlaments Nr. 94/262 vom 9. März 1994 über die Regelungen und allgemeinen Bedingungen für die Ausübung der Aufgaben des Bürgerbeauftragten, ABl. L 113 vom 4.5.1994, S. 15.
(2) Rechtssache 89/79, Francesco Bonu gegen Rat, Slg. 1980, S. 553, Randnummer 5.
(3) Rechtssache C-254/95 P, Europäisches Parlament gegen Angelo Innamorati, Slg. 1996, S. I-3423, Randnummer 29.
(4) Initiativuntersuchung 1004/97/(PD)/GG.
(5) Beschwerden 457/99/IP, 610/99/IP, 1000/99/IP und 25/2000/IP.
(6) ABl. C 371 vom 22.12.1999, S. 12.
(7) ABl. 2001 Nr. C 223, S. 352, 368.
(8) Vgl. die Entscheidungen des Bürgerbeauftragten vom 11. Mai 2001 zu den Beschwerden 457/99/IP, 610/99/IP, 1000/99/IP und 25/2000/IP, die auf der Website des Bürgerbeauftragten abgerufen werden können (http://www.ombudsman.europa.eu).
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