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Empfehlungsentwurf an das Europäische Amt für Personalauswahl in der Beschwerdesache 2097/2003/(ADB)PB
Recommendation
Case 2097/2003/(ADB)PB - Opened on Thursday | 27 November 2003 - Recommendation on Monday | 25 October 2004 - Decision on Thursday | 08 September 2005
DIE BESCHWERDE
Die Beschwerdeführerin nahm an dem Auswahlverfahren COM/C/2/02 teil, das zur Erstellung einer Reserveliste für deutschsprachige Schreibkräfte durchgeführt wurde. Die Schreibmaschinen-Prüfung und die mündliche Prüfung, Prüfungen (f) und (g), wurden nacheinander am selben Tag durchgeführt. Die Beschwerdeführerin erreichte 8 Punkte in Prüfung (f) und verfehlte daher die zum Bestehen erforderliche Mindestpunktzahl von 10 Punkten. Am 30. Juli 2003 richtete die Beschwerdeführerin ein Schreiben an die Kommission, in dem sie um Erläuterung ihrer Note und die Überprüfung der Prüfung bat. Sie bat um die Erläuterung der Auswahlkriterien und um eine Kopie ihrer Prüfungsarbeit.
Am 16. Oktober 2003 leitete das Europäische Amt für Personalauswahl (EPSO) der Beschwerdeführerin eine Kopie des Bewertungsbogens ihrer Prüfung zu und teilte ihr mit, dass ihre Prüfung nach Vollständigkeit, Layout, Formatierung und Tippfehlern beurteilt worden sei. Ferner teilte EPSO der Beschwerdeführerin mit, dass es weder die Prüfungsarbeit noch die vom Prüfungsausschuss bei der Prüfung angewandten Korrekturkriterien offen legen könne. EPSO vertrat die Auffassung, dass entsprechend der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens im Amtsblatt die Schreibmaschinen-Prüfung Teil der mündlichen Prüfung gewesen sei, und dass deshalb die Arbeiten des Prüfungsausschusses gemäß Artikel 6 von Anhang III des Beamtenstatuts der Geheimhaltungspflicht unterliegen. EPSO zufolge sei dieses Prinzip vom Europäischen Bürgerbeauftragten in seiner Entscheidung 481/2001/IP bestätigt worden. Abschließend teilte EPSO der Beschwerdeführerin mit, dass etwa 75% der Kandidaten zumindest die erforderliche Mindestpunktzahl in Prüfung (f) erreicht hatten.
Die Beschwerdeführerin war mit der Antwort von EPSO unzufrieden und reichte daher eine Beschwerde beim Europäischen Bürgerbeauftragten ein. Sie machte zusammenfassend geltend, dass EPSO es versäumt habe, ihr Zugang zu einer Kopie der Prüfungsarbeit zu gewähren und ihr die Korrekturkriterien der Prüfung mitzuteilen. Sie forderte, dass ihr Zugang zu einer Kopie ihrer korrigierten Prüfungsarbeit gewährt und ihr die Korrekturkriterien der Prüfung mitgeteilt werden. Sie bezog sich auf den Empfehlungsentwurf des Bürgerbeauftragten in der Beschwerdesache 2097/2002/GG(2) und erklärte, sie fordere Zugang, um ihre Leistung bei künftigen Einstellungsverfahren verbessern zu können.
DIE UNTERSUCHUNG
Die Beschwerde wurde EPSO zwecks Abgabe einer Stellungnahme übermittelt. Die Stellungnahme, die der Bürgerbeauftragte erhielt, wurde indes von der Europäischen Kommission verfasst.
Stellungnahme der KommissionDie Kommission stellte fest, dass der Beschwerdeführerin der Bewertungsbogen zugeleitet worden war, aus dem hervorgehe, dass die Prüfung der Beschwerdeführerin in Bezug auf Layout, Formatierung und Maschineschreiben als unzureichend erachtet worden war.
Betreffend den Antrag der Beschwerdeführerin auf Zugang zu einer Kopie ihrer korrigierten Prüfungsarbeit und den Korrekturkriterien („critères de correction“) erklärte die Kommission, dass diese Dokumente fester Bestandteil der mündlichen Prüfung seien, und dass diese daher der Geheimhaltung gemäß Artikel 6 von Anhang III des Beamtenstatuts unterliegen. Ferner wurde Bezug genommen auf die Entscheidung des Bürgerbeauftragten zur Beschwerde 481/2001/IP, in der, nach Auffassung der Kommission, die Geheimhaltungspflicht bestätigt worden sei.
Die Kommission nahm die Bezugnahme der Beschwerdeführerin auf den Empfehlungsentwurf des Europäischen Bürgerbeauftragten in der Beschwerdesache 2097/2002/GG zur Kenntnis, und bemerkte, dass die Beschwerdeführerin den Bewertungsbogen für ihre praktische Prüfung und die Anmerkungen des Prüfungsausschusses erhalten hatte. Der Kommission zufolge enthalte der Bewertungsbogen sämtliche Erläuterungen der gemachten Fehler, was der Beschwerdeführer ermögliche, solche Fehler in Zukunft zu vermeiden.
Die Kommission erklärte, auf zwei Punkte sollte hingewiesen werden:
(i) Die praktische und die mündliche Prüfung fanden am selben Tag statt, und die Beratungen hätten daher der den Prüfungsausschüssen zustehenden Geheimhaltung unterlegen;
(ii) Ferner war die Korrektur direkt auf dem Original der Prüfungsarbeit vorgenommen worden. Die Korrekturen und mögliche, während der Korrektur hinzugefügte Anmerkungen seien daher ein fester Bestandteil der Prüfungsarbeit selbst gewesen.
Der Kommission zufolge sei es geltende Rechtsprechung, dass die Begründungspflicht nicht beinhalte, dass Kopien der Prüfungsarbeit, welche die Korrekturen des Prüfungsausschusses enthalten, den Bewerbern übermittelt werden sollten. Die Kommission verweist auf die Entscheidung des Gerichtshofes im Innamorati- Fall(3).
In Bezug auf den Empfehlungsentwurf des Bürgerbeauftragten in der Beschwerdesache 2097/2002/GG erklärte die Kommission, die Beschwerdeführerin habe nicht erwähnt, dass die Kommission sich für Einstellungsverfahren bereits auf den routinemäßigen Zugang zu Prüfungsarbeiten ab dem 1. Juli 2000 verpflichtet hatte. Nach Angaben der Kommission würden bei dieser Verfahrensweise die einzelnen Bewertungsbögen, auf denen die verschiedenen Prüfer ihre Note vermerken, von dem endgültigen Bewertungsbogen, auf den sich der Prüfungsausschuss geeinigt hat, getrennt. Zugang zu diesem würde Bewerbern, die dies verlangen, gewährt. Diese Verfahrenweise sei, nach Angaben der Kommission, im vorliegenden Falle beachtet worden.
Anmerkungen der BeschwerdeführerinDie Stellungnahme der Kommission wurde der Beschwerdeführerin zugeleitet. Der Bürgerbeauftragte hat von der Beschwerdeführerin keine Anmerkungen erhalten.
DIE ENTSCHEIDUNG
1 Einleitende BemerkungenDie Beschwerde betrifft eine Weigerung des Europäischen Amtes für Personalauswahl (EPSO), Zugang zu Dokumenten und Informationen zu gewähren. Die Beschwerde wurde daher EPSO zwecks Abgabe einer Stellungnahme übermittelt. Die Stellungnahme wurde von der Europäischen Kommission vorgelegt, d. h. dem Organ der Gemeinschaft, das für das betreffende Auswahlverfahren ursprünglich zuständig war. Der Bürgerbeauftragte hält es für zweckmäßig, die Untersuchung auf Grundlage der Stellungnahme der Kommission weiterzuführen. Die Beschwerdeführerin hat dagegen keinen Widerspruch eingelegt. Angesichts der Tatsache, dass EPSO der Beschwerdeführerin den Zugang verweigerte und dass EPSO jetzt maßgeblich für die Durchführung von Einstellungsverfahren zuständig ist, ist der Bürgerbeauftragte jedoch der Ansicht, dass EPSO der relevante Adressat für die Feststellungen und den Empfehlungsentwurf in diesem Fall sei.
2 Angebliche Weigerung, Zugang zur Prüfungsarbeit zu gewähren2.1 Die Beschwerdeführerin nahm an dem Auswahlverfahren COM/2/02 teil, das zur Erstellung einer Reserveliste für Schreibkräfte durchgeführt wurde. In der praktischen Prüfung erreichte sie die zum Bestehen erforderliche Punktzahl nicht. Die Beschwerdeführerin hat den Ausrichter des Auswahlverfahrens, die Europäische Kommission, gebeten, ihr die Korrekturkriterien und eine Kopie ihrer Prüfungsarbeit zur Verfügung zu stellen. Sie erhielt Antwort von dem neu gegründeten Europäischen Amt für Personalauswahl (EPSO), das ihr eine Kopie des endgültigen Bewertungsbogens des Prüfungsausschusses übermittelte, ihr aber den Zugang zu einer Kopie ihrer Prüfungsarbeit und zu Informationen zu den Korrekturkriterien verweigerte.
2.2 Die Beschwerdeführerin machte geltend, dass EPSO es versäumt habe, ihr Zugang zu ihrer Prüfungsarbeit zu gewähren.
2.3 Die Kommission erklärte, der Beschwerdeführerin könne keine Kopie ihrer Prüfungsarbeit übergeben werden, welche die schriftlichen Bewertungen und Anmerkungen der Prüfer enthalten.
2.4 Die Kommission verwies auf Artikel 6 von Anhang III des Beamtenstatuts, der den geheimen Charakter der Arbeit des Prüfungsausschusses begründet, sowie auf die Entscheidung des Gerichthofes in der Rechtsache Innamorati(4). Die Kommission wies ferner darauf hin, dass die praktische Schreibmaschinen-Prüfung und die mündliche Prüfung am selben Tag durchgeführt wurden, und dass die Beschwerdeführerin deshalb eine Kopie ihrer Prüfungsarbeit nicht erhalten könne. Die Kommission verwies zur Verteidigung ihrer Handlungsweise auf die Entscheidung des Europäischen Bürgerbeauftragten zur Beschwerde 481/2001.
2.5 Die Kommission erklärte ferner, dass die routinemäßige Gewährung des Zugangs zu Dokumenten von Auswahlverfahren beinhalte, dass Zugang zu dem endgültigen Bewertungsbogen – wie im vorliegenden Fall – gewährt wird.
2.6 Als Erstes ist festzustellen, dass die Entscheidung des Bürgerbeauftragten zur Beschwerde 481/2001/IP bestätigte, dass das Protokoll der mündlichen Prüfung in jenem Fall verweigert werden durfte. Im vorliegenden Falle geht es jedoch nicht um das Protokoll der mündlichen Prüfung, sondern um eine Kopie der abgelegten Prüfungsarbeit. Die Tatsache, dass die praktische und die mündliche Prüfung am selben Tag durchgeführt wurden, beweise nicht, dass sie untrennbar sind. In Teil B. der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens werden die praktische und die mündliche Prüfung als zwei verschiedene Bewertungsphasen (‚f‘ und ‚b‘) mit unterschiedlichen Inhalten und Bewertungsmethoden bezeichnet.
2.7 Betreffend die Verpflichtung der Kommission, Zugang zu den Dokumenten des Auswahlverfahrens zu gewähren, weist der Bürgerbeauftragte darauf hin, dass diese Verpflichtung wie folgt formuliert ist: „Die Kommission begrüßt die Empfehlungen, die Sie vorgelegt haben,... und wird die notwendigen rechtlichen und organisatorischen Vorkehrungen treffen, um Kandidaten vom 1. Juli 2000 an auf Anfrage Zugang zu ihren eigenen korrigierten Prüfungsarbeiten zu gewähren“ (Schreiben vom 7. Dezember 1999 von Kommissionspräsident Prodi an den Bürgerbeauftragten). Der Bürgerbeauftragte hat sich in der Folge mit Fällen befasst, in denen die Bewerber Kopien ihrer Prüfungsarbeiten durch die routinemäßige Anwendung der neuen Bestimmungen(5) der Kommission erhalten haben.
2.8 Im vorliegenden Fall hat die Kommission geltend gemacht, dass die Korrektur der praktischen Prüfung direkt auf dem Original der Prüfungsarbeit vorgenommen worden war, und dass die Korrekturen und mögliche, während der Korrektur hinzugefügte Anmerkungen daher ein fester Bestandteil der Prüfungsarbeit selbst seien.
2.9 Der Bürgerbeauftragte weist darauf hin, dass das betreffende Auswahlverfahren zwei Jahre, nachdem die Kommission Bewerbern erstmals Zugang zu ihren Prüfungsarbeiten gewährte, durchgeführt wurde. Es ist Aufgabe der Kommission, die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, damit Zugang gewährt werden kann. Dies beinhalte die Pflicht, korrigierende Maßnahmen zu ergreifen, wenn solche Vorkehrungen nicht getroffen wurden. Im vorliegenden Fall hätte der praktische Umstand, den die Kommission als Grund für die Verweigerung des Zugangs nennt, sie nicht davon abhalten sollen, Maßnahmen zu ergreifen, welche die Erfüllung der obigen Pflicht gewährleisten.
2.10 In Anbetracht dessen ist der Bürgerbeauftragte der Auffassung, dass die Kommission es versäumt habe, in Übereinstimmung mit der Pflicht der Kommission, Bewerbern Zugang zu ihren korrigierten Prüfungsarbeiten zu gewähren, zu begründen, warum der Bewerberin eine Kopie ihrer Prüfungsarbeit nicht zur Verfügung gestellt wurde. Dies stellt einen Missstand der Verwaltungstätigkeit dar, und der Bürgerbeauftragte macht deshalb den Empfehlungsentwurf (siehe unten).
3 Angebliche Weigerung, der Beschwerdeführerin die Korrekturkriterien mitzuteilen3.1 Die Beschwerdeführerin machte geltend, dass EPSO es versäumt habe, ihr die Korrekturkriterien der Prüfung mitzuteilen. Sie forderte, dass ihr die Korrekturkriterien der Prüfung mitgeteilt werden, und verwies auf den Empfehlungsentwurf des Bürgerbeauftragten in der Beschwerdesache 2097/2002/GG. Sie erklärte, sie fordere Zugang, um ihre Leistung bei künftigen Einstellungsverfahren verbessern zu können.
3.2 Die Kommission erklärte, dass die Korrekturkriterien fester Bestandteil der mündlichen Prüfung seien und sie daher der Geheimhaltung unterliegen, die in Artikel 6 von Anhang III des Beamtenstatuts festgelegt ist. Ferner erklärte die Kommission, es sei geltende Rechtsprechung, dass die Begründungspflicht der Einstellungsentscheidungen erfüllt ist, wenn dem betreffenden Bewerber seine Note mitgeteilt wird. Die Kommission verwies auf die Entscheidung des Gerichtshofes im Innamorati- Fall (1996)(6).
3.3 Der Bürgerbeauftragte hat bereits die Frage des Zugangs zu Korrekturkriterien in seinem Empfehlungsentwurf in der Beschwerdesache 2028/2003/(MF)PB, die bei EPSO am 7. Oktober 2004 (noch anhängig) eingereicht wurde, geprüft. In jenem Fall hatten EPSO und die Kommission die Auffassung vertreten, dass die Entscheidung in der Rechtsache Innamorati sie gemäß Artikel 4 Absatz 3(ii) von Verordnung 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission(7) dazu verpflichte, den Zugang zu den Korrekturkriterien zu verweigern. In seinem Empfehlungsentwurf machte der Bürgerbeauftragte folgende Anmerkungen:
„Betreffend die Auffassung der Kommission, dass sie den Zugang angesichts der Entscheidung in der Rechtsache Innamorati habe verweigern müssen, hält es der Bürgerbeauftragte für nützlich, die folgenden Absätze des Urteils zu zitieren:
‚29 Die vom Prüfungsausschuss vor den Prüfungen festgelegten Korrekturkriterien sind Bestandteil der vergleichenden Beurteilungen, die der Prüfungsausschuss hinsichtlich der Verdienste der Bewerber vornimmt. Sie sollen nämlich im Interesse der Bewerber eine gewisse Homogenität der Beurteilungen des Prüfungsausschusses gewährleisten, insbesondere, wenn es sich um eine große Zahl von Bewerbern handelt. Diese Kriterien fallen daher ebenso wie die Beurteilungen des Prüfungsausschusses unter das Beratungsgeheimnis.
30 Die vergleichenden Beurteilungen, die der Prüfungsausschuss vornimmt, spiegeln sich in den Noten wider, die der Ausschuss den Bewerbern erteilt. Sie sind Ausdruck der Werturteile über jeden von ihnen.
31 In Anbetracht der Geheimhaltung, die für die Arbeiten des Prüfungsausschusses gelten muss, stellt die Mitteilung der in den einzelnen Prüfungen erzielten Noten eine ausreichende Begründung für die Entscheidungen des Prüfungsausschusses dar.‘ (Hervorhebung nur hier.)
Aus Obigem wird deutlich, dass die Rechtsache Innamorati ausschließlich für die Begründungspflicht für individuelle Entscheidungen gilt, die in Zusammenhang mit Einstellungsverfahren getroffen werden. Die Entscheidung in der Rechtsache Innamorati gilt daher nicht für die Frage des Zugangs zu Dokumenten. Nach Auffassung des Bürgerbeauftragten könne die Entscheidung in der Rechtsache Innamorati nicht als rechtlicher Präzedenzfall, der die Organe zur Geheimhaltung der Auswahlkriterien gemäß Verordnung 1049/2001 verpflichte, geltend gemacht werden.
Der Bürgerbeauftragte erklärt, dass die Entscheidungen des Gerichts Erster Instanz diese Feststellung offensichtlich bestätigen. In der Rechtsache Pyres(8) und in der Rechtsache Alexandratos und Panagiotou(9) entschied das Gericht Erster Instanz, dass dies, obwohl die Mitteilung der Note der Bewerber in den einzelnen Prüfungen eine ausreichende Begründung der Entscheidungen des Prüfungsausschusses darstelle, nicht beinhalte, dass einem Kandidaten, der dies wünscht, die Auswahlkriterien des Prüfungsausschusses nicht mitgeteilt werden könnten.
Ferner erklärt der Bürgerbeauftragte, die Gewährung des Zugangs zu den Auswahlkriterien stehe im Einklang mit der Politik und der Gesetzgebung der Europäischen Union zu Transparenz und Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten, die sich seit der Entscheidung des Gerichts in der Rechtsache Innamorati 1996 wesentlich entwickelt hätten.
1997 wurde der Vertrag über die Europäische Union durch den Vertrag von Amsterdam ergänzt, und der folgende Grundsatz wurde in Artikel 1 der Gemeinsamen Bestimmungen jenes Vertrags eingefügt:
‚Dieser Vertrag stellt eine neue Stufe bei der Verwirklichung einer immer engeren Union der Völker Europas dar, in der die Entscheidungen möglichst offen und möglichst bürgernah getroffen werden.‘ (Hervorhebungen nur hier.)
Mit dem Vertrag von Amsterdam wurde ferner Artikel 255 in den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften eingefügt. Artikel 255 des Vertrags legt fest:
‚Jeder Unionsbürger sowie jede natürliche oder juristische Person mit Wohnsitz oder Sitz in einem Mitgliedstaat hat das Recht auf Zugang zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission vorbehaltlich der Grundsätze und Bedingungen ...‘.
Artikel 255 Absatz 2 legt fest: ‚Die allgemeinen Grundsätze und die aufgrund öffentlicher oder privater Interessen geltenden Einschränkungen für die Ausübung dieses Rechts auf Zugang zu Dokumenten werden vom Rat binnen zwei Jahren nach Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam gemäß dem Verfahren des Artikels 251 festgelegt.‘
Auf Grundlage dieser Bestimmung nahmen der Rat und das Parlament die Verordnung 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit am 30. Mai 2001(10) an.
Die Präambel der Verordnung 1049/2001 bekräftigt: ‚Transparenz... gewährleistet eine größere Legitimität, Effizienz und Verantwortung der Verwaltung gegenüber dem Bürger in einem demokratischen System‘ (Erwägung 2, Hervorhebungen nur hier) sowie: ‚Grundsätzlich sollten alle Dokumente der Organe für die Öffentlichkeit zugänglich sein‘ (Erwägung 11). Artikel 1 b) legt ausdrücklich fest, dass mit Verordnung 1049/2001 beabsichtigt wird, ‚Regeln zur Sicherstellung einer möglichst einfachen Ausübung dieses Rechts aufzustellen‘.
In Anbetracht dessen ist der Bürgerbeauftragte der Auffassung, dass die Annahme von EPSO und der Kommission, dass die Entscheidung in der Rechtsache Innamorati sie verpflichte, den Zugang zu den Auswahlkriterien gemäß Artikel 4 Absatz 3 (ii) Verordnung 1049/2001 zu verweigern, falsch gewesen sei. EPSO und die Kommission versäumten es daher, die Verweigerung des Zugangs ausreichend zu begründen. Dies stellt einen Missstand der Verwaltungstätigkeit dar, und der Bürgerbeauftragte macht deshalb den Empfehlungsentwurf (siehe unten).
Ferner möchte der Bürgerbeauftragte anfügen, der Ausnahmefall, der in Artikel 4 Absatz 3(ii) enthalten ist, sei offensichtlich nicht auf die betreffende Dokumentenkategorie anwendbar. Artikel 4 Absatz 3(ii) gilt für ‚Dokumente mit Stellungnahmen‘. Nach Auffassung des Bürgerbeauftragten könne ein Dokument, das Auswahlkriterien enthält, nicht als ein ‚Dokument mit Stellungnahmen‘(11) betrachtet werden.“
3.4 In Anbetracht dessen unterbreitet der Bürgerbeauftragte folgenden Empfehlungsentwurf:
„EPSO sollte seine Weigerung, der Beschwerdeführerin Zugang zu den vom Prüfungsausschuss festgelegten Auswahlkriterien zu gewähren, neu erwägen, und Zugang gewähren, es sei denn, es gibt gemäß einer der Ausnahmefälle von Verordnung 1049/2001 über Dokumente des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission triftige Gründe, die eine Offenlegung nicht zulassen.“
3.5 Im vorliegenden Falle stellt der Bürgerbeauftragte fest, dass eine ausdrückliche Bezugnahme auf Verordnung 1049/2001 über den Zugang zu Dokumenten nicht gemacht worden sei. Allerdings sei der vorliegende Disput offensichtlich weder von der Beschwerdeführerin noch von der Kommission ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Begründungspflicht geführt worden. Die Beschwerdeführerin nahm ausdrücklich auf den Empfehlungsentwurf 2097/2002/GG des Bürgerbeauftragten Bezug, der zum Teil auf der Entwicklung zu größerer Transparenz in der Union beruhte, insbesondere der Pflicht, Entscheidungen möglichst offen zu treffen (Absatz 1.4 des Empfehlungsentwurfs). Die Kommission wies ihrerseits auf ihre neue, transparentere Verfahrensweise in Zusammenhang mit Einstellungsverfahren hin, die offensichtlich nicht zwecks Ausweitung der Begründungspflicht eingeführt wurde.
3.6 Der Bürgerbeauftragte ist deshalb der Auffassung, dass die Feststellungen in seinem Empfehlungsentwurf an EPSO in dem oben erwähnten Fall in gleicher Weise relevant für und anwendbar auf den vorliegenden Fall seien.
3.7 In Anbetracht dessen ist der Bürgerbeauftragte der Auffassung, dass die Weigerung, der Beschwerdeführerin die Korrekturkriterien mitzuteilen, unzureichend begründet worden sei. Dies stellt einen Missstand der Verwaltungstätigkeit dar, und der Bürgerbeauftragte macht deshalb den Empfehlungsentwurf (siehe unten).
4 SchlussfolgerungAngesichts des Obigen macht der Bürgerbeauftragte, in Überseinstimmung mit Artikel 3 Absatz 6 des Statuts des Bürgerbeauftragten, folgenden Empfehlungsentwurf an EPSO:
1. EPSO sollte der Beschwerdeführerin eine Kopie ihrer abgelegten Prüfungsarbeit zur Verfügung stellen.
2. EPSO sollte ferner seine Weigerung, der Beschwerdeführerin Zugang zu den Korrekturkriterien zu gewähren, neu erwägen und Zugang gewähren, es sei denn, es gibt triftige Gründe, welche ihre Offenlegung nicht zulassen.
EPSO und der Beschwerdeführerin wird dieser Empfehlungsentwurf mitgeteilt. In Übereinstimmung mit Artikel 3 Absatz 6 des Statuts des Bürgerbeauftragten, wird EPSO ersucht, eine detaillierte Stellungnahme bis zum 31. Januar 2005 zu übermitteln. Die detaillierte Stellungnahme könne die Annahme der Entscheidung des Bürgerbeauftragten sein und eine Beschreibung der Maßnahmen, die zur Umsetzung des Empfehlungsentwurfs ergriffen werden.
Strasbourg, den 25. Oktober 2004
P. Nikiforos DIAMANDOUROS
(1) Beschluss 94/262 des Europäischen Parlaments vom 9. März 1994 über die Regelungen und allgemeinen Bedingungen für die Ausübung der Aufgaben des Bürgerbeauftragten, Amtsblatt 1994 Nr. L 113, S. 15.
(2) Der Empfehlungsentwurf des Bürgerbeauftragten in jenem Fall lautete: „Der Rat der Europäischen Union sollte der Beschwerdeführerin Zugang zu ihrer eigenen korrigierten Prüfungsarbeit gewähren.“
(3) Rechtssache C-254/95 P Innamorati [1996] Sammlung der Rechtsprechung I-3423.
(4) Rechtssache C-254/95 P Innamorati [1996] Sammlung der Rechtsprechung I-3423.
(5) Entscheidung zur Beschwerde 324/2004/MF und Empfehlungsentwurf 2028/2003/(MF)PB.
(6) Rechtssache C-254/95 P Innamorati [1996] Sammlung der Rechtsprechung I-3423.
(7) Amtsblatt 2001 L 145, S. 43.
(8) Rechtsache T-72/01, Pyres, Urteil vom of 25. Juni 2003, Absätze 70 - 71.
(9) Rechtsache T-233/02, Alexandratos und Panagiotou, Urteil vom 17. September 2003, Absatz 31.
(10) Amtsblatt 2001 L 145, S. 43.
(11) Andere Sprachfassungen von Verordnung 1049/2001 bestätigen offensichtlich die Feststellung des Bürgerbeauftragten, z. B. „des avis“ (französisch), „opinions“ (englisch), „yttranden“ (schwedisch), „meningstilkendegivelser“ (dänisch), „opiniones“ (spanisch), „riflessioni“ (italienisch).
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