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Konsultation der nationalen Bürgerbeauftragten zu ethischen Grundsätzen für EU-Beamte

Straßburg, 21. April 2010

1 Hintergrund

Aus meiner Erfahrung als Europäischer Bürgerbeauftragter weiß ich, dass die europäischen Bürger hohe ethische Maßstäbe an das Handeln aller mit EU-Angelegenheiten befassten Personen auf sämtlichen Ebenen der Union anlegen. Daher wies ich im Februar 2009[1] darauf hin, dass ein Dokument von Nutzen wäre, in dem die ethischen Grundsätze für die Behandlung von EU-Angelegenheiten in komprimierter und gut verständlicher Form niedergelegt sind.

Im April 2009[2] teilte ich den nationalen Kolleginnen und Kollegen meine Absicht mit, eine Erklärung ethischer Grundsätze speziell für EU-Beamte auszuarbeiten. Ich bat sie um Mithilfe, damit erfolgreiche Praxisbeispiele aus den Mitgliedstaaten in der Erklärung umfassend berücksichtigt werden können. Meine Kolleginnen und Kollegen erklärten sich freundlicherweise bereit, an einer künftigen Befragung zu nationalen Erklärungen ethischer Grundsätze im öffentlichen Leben teilzunehmen und dieses Thema 2011 auf unserem Treffen in Kopenhagen zu erörtern.

2 Bitte um Anmerkungen und Informationen

Im vorliegenden Konsultationspapier möchte ich die Ergebnisse meiner ersten Überlegungen zu Umfang und Inhalt einer Erklärung ethischer Grundsätze für EU-Beamte vorstellen.

Anhang 1 enthält eine Aufstellung einschlägiger Dokumente, die von internationalen Organisationen und von der Europäischen Kommission herausgegeben wurden.

Ich wäre den Kolleginnen und Kollegen sehr dankbar, wenn sie

(a) zu meinen Vorschlägen für Umfang und Inhalt einer künftigen Erklärung ethischer Prinzipien Stellung nehmen würden, darunter insbesondere zu den fettgedruckten Kernpunkten; und

(b) mich über alle nationalen Dokumente oder weiteren internationalen Dokumente informieren würden, aus denen ich bei der Ausarbeitung der Erklärung Anregungen beziehen könnte. Ich würde mich freuen, wenn Sie mir Kopien solcher Materialien übermitteln und/oder entsprechende Links nennen könnten.

Es wäre mir eine große Hilfe, wenn Ihre Antwort bis zum 30. Juni 2010 bei mir eingehen könnte.

3 Ethische Grundsätze für EU-Beamte ‑ Umfang und Inhalt

Für die Arbeit der EU-Beamten[3] gilt ein allgemeiner Grundsatz des öffentlichen Handelns, der in der Europäischen Union zunehmend Anerkennung findet: der Grundsatz der „accountability“ („Rechenschaftspflicht“, auch „Verantwortlichkeit“). In den nachfolgenden Ausführungen möchte ich

- den Zusammenhang zwischen ethischen Grundsätzen und Rechenschaftspflicht herausstellen;

- erklären, inwiefern sich solche ethischen Grundsätze von vorhandenen Dokumenten (wie dem Beamtenstatut, dem Europäischen Kodex für gute Verwaltungspraxis und der Charta der Grundrechte) unterscheiden würden;

- einige inhaltliche Orientierungen für die Erklärung ethischer Grundsätze vorschlagen.

Rechenschaftspflicht (accountability)

Mit „Rechenschaftspflicht“ meine ich die Pflicht, sein Verhalten zu erklären und zu begründen, verbunden mit der Möglichkeit nachteiliger Konsequenzen, falls das Ergebnis der Rechenschaftslegung nicht zur Zufriedenheit ausfällt. Die nachteiligen Konsequenzen können je nach Art der Rechenschaftsbeziehung von formellen Sanktionen bis hin zu informeller Kritik reichen.

Aufgabe des öffentlichen Dienstes ist es, Maßnahmen zugunsten des Allgemeininteresses zu konzipieren und durchzuführen sowie Dienstleistungen für Bürger zu erbringen. In einer Demokratie verbinden sich damit vielfältige, teils ineinandergreifende Rechenschaftsbeziehungen. Hier sollen nur drei davon genannt werden:

(i) die Rechenschaftspflicht der öffentlich Bediensteten[4] gegenüber den Einrichtungen des öffentlichen Dienstes, bei denen sie tätig sind;

(ii) die Rechenschaftspflicht der öffentlich Bediensteten gegenüber den Bürgern;

(iii) die Rechenschaftspflicht der Mandatsträger gegenüber den Wählern.

Die erste dieser Rechenschaftsbeziehungen ist in der Regel rechtlich verankert. Im Fall von EU-Beamten wird sie durch das Beamtenstatut und die Haushaltsordnung geregelt. Bei Verstößen gegen diese Bestimmungen können Disziplinarverfahren angestrengt und formelle Sanktionen verhängt werden.

Die zweite Rechenschaftsbeziehung ist weniger klar umrissen, und öffentliche Diskussionen und Kritiken spielen hier meist eine wichtigere Rolle als formelle Sanktionen. Damit diese Rechenschaftspflicht wirksam durchgesetzt werden kann, müssen mehrere Voraussetzungen gegeben sein, darunter vor allem Pressefreiheit, Meinungsfreiheit und Transparenz. Natürlich gelten diese Voraussetzungen auch für die dritte Rechenschaftsbeziehung, d. h. die politische Rechenschaftspflicht der Mandatsträger gegenüber den Wählern.

Obwohl sich diese drei Arten von Rechenschaftsbeziehungen voneinander unterscheiden, weisen sie Querverbindungen auf und können auch miteinander in Konflikt geraten. So kommt es z. B. bei den Regelungen für die Meldung von Missständen durch öffentlich Bedienstete darauf an, die Erfordernisse von (i) mit denen von (ii) und (iii) abzugleichen.

Meiner Ansicht nach sollten ethische Grundsätze für EU-Beamte nur in Bezug auf die zweite der genannten Rechenschaftsbeziehungen aufgestellt werden, d. h. die Rechenschaftspflicht der öffentlich Bediensteten gegenüber den Bürgern. Das Ziel sollte darin bestehen, grundlegende Verhaltensgrundsätze für Beamte festzulegen, deren Einhaltung durch die Rechenschaftspflicht gegenüber den Bürgern abgesichert wird.

Das Verhältnis der ethischen Grundsätze zu den vorhandenen Instrumenten

Ein selbstverständliches Erfordernis ist, dass die Einrichtungen und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes die Rechte des einzelnen Bürgers achten, darunter die Menschenrechte und die Grundrechte. Dies ist ein wesentlicher Aspekt der Rechtsstaatlichkeit. Zu den Individualrechten gehören auch Rechte im Ergebnis der Anwendung verwaltungsrechtlicher Grundsätze, die das Verhalten von öffentlichen Einrichtungen und Beamten, darunter insbesondere die Wahrnehmung von Ermessensbefugnissen, regeln und bestimmte Grenzen setzen. Beispiele dafür sind Grundsätze wie Verhältnismäßigkeit, Gleichbehandlung und Vertrauensschutz. Bei den Institutionen der Union haben die Bürger außerdem ein Grundrecht auf gute Verwaltung.

Allgemeine Erklärungen zu Menschen- und Grundrechten sind bereits in einer Reihe von Rechtsinstrumenten enthalten, so unter anderem in der Europäischen Menschenrechtskonvention und in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Auf diese rechtsverbindlichen Dokumente können sich die Bürger vor Gerichten oder Bürgerbeauftragten berufen.

Es gibt noch weitere Instrumente, die jedoch nicht rechtlich bindend sind. Dazu gehören Verhaltenskodizes, wobei vor allem der Europäische Kodex für gute Verwaltungspraxis zu nennen ist. Bei der Abfassung dieses Kodex (wie auch bei der Charta der Grundrechte) wurde darauf geachtet, dass ihm künftig ein rechtsverbindlicher Status verliehen werden kann. Insbesondere sind die darin enthaltenen Pflichten so formuliert, dass sie jeweils einem konkreten Individualrecht entsprechen.

Die obengenannten Instrumente bilden zweifellos eine entscheidende Grundlage für die Rechenschaftspflicht der EU-Beamten gegenüber den Bürgern, auch wenn die Rechenschaftsmechanismen, die den Bürgern die Berufung auf die betreffenden Bestimmungen ermöglichen, auf Institutionen und nicht auf den einzelnen Beamten ausgerichtet sind.

Im Beamtenstatut und in der Haushaltsordnung geht es in erster Linie um die Rechenschaftspflicht der EU-Beamten gegenüber den Institutionen, bei denen sie tätig sind. Allerdings enthält das Beamtenstatut auch einige Bestimmungen, die inhaltliche Bezüge zur Rechenschaftspflicht der EU-Beamten gegenüber den Bürgern aufweisen.[5]

Eine Erklärung ethischer Grundsätze für EU-Beamte würde eine Ergänzung zu den anderen Instrumenten darstellen, denn im Gegensatz zu diesen sollte sie weder rechtsverbindlich sein noch so abgefasst werden, dass sie später für rechtsverbindlich erklärt werden kann.

Sie sollte sich darauf konzentrieren, in welchem Sinn das Gesetz und andere anwendbare Regeln zu verstehen und anzuwenden sind, und Denkanstöße für den Fall bieten, dass eine Situation anscheinend weder vom geltenden Recht noch von sonstigen anwendbaren Vorschriften erfasst wird. Das ist deshalb sinnvoll, weil ethische Grundsätze zwar die Einhaltung von Vorschriften beinhalten, sich jedoch nicht auf diese Einhaltung beschränken. Mit gutem Gewissen sagen zu können „Ich habe keine Vorschriften verletzt“, ist somit eine notwendige, aber keine ausreichende Bedingung für ethisches Handeln.

Die Frage, die sich ein Beamter stellen muss, ehe er ein bestimmtes Vorgehen ins Auge fasst, lautet also nicht „Tue ich das Mindestnotwendige, um den ethischen Grundsätzen nachzukommen?“, sondern „Wäre dies die Verhaltensweise, die ein vernünftig denkender Mensch in Anbetracht der ethischen Grundsätze von einem Beamten erwarten würde?“

Inhaltliche Fragen

Zum wesentlichen Inhalt ethischer Grundsätze für EU-Beamte ist zu sagen, dass meine ersten Überlegungen durch mein Verständnis der Aufgaben des Europäischen Bürgerbeauftragten beeinflusst wurden, zu denen es gehört, durch den Dialog zwischen Bürgerinnen und Bürgern und der Europäischen Union Vertrauen aufzubauen.

Eine Voraussetzung für Vertrauen ist der Glaube an die Integrität der Beamten, deren Verhalten daher stets der kritischen Prüfung durch die Öffentlichkeit standhalten muss – eine Pflicht, der durch bloße Gesetzestreue nicht Genüge getan wird.

Vertrauen erfordert auch, dass die Empfehlungen und Entscheidungen eines Beamten ausschließlich den Interessen der Union und ihrer Bürger dienen und nicht dem eigenen Vorteil oder dem Vorteil von Familienangehörigen oder befreundeten Personen.

Darüber hinaus setzt Dialog voraus, dass die Beamten bereit sind, ihre Maßnahmen zu erläutern, ihr Handeln zu begründen und ihr Verhalten von der Öffentlichkeit kontrollieren zu lassen.

Es ist darauf hinzuweisen, dass die erste und die dritte der vorstehenden Aussagen eine Arbeitsdefinition für die Rechenschaftspflicht der Beamten gegenüber den Bürgern darstellen. Dennoch möchte ich den Begriff „accountability“ in der Erklärung der ethischen Grundsätze nach Möglichkeit nicht verwenden, weil es in mehreren Sprachen schwierig ist, eine befriedigende Übersetzung dafür zu finden.

Abschließend möchte ich noch bemerken, dass ich mich sehr auf Ihre Beiträge zur Erarbeitung einer Erklärung ethischer Grundsätze für EU-Beamte freue, die wie der Europäische Kodex für gute Verwaltungspraxis auch anderen als Anregung dienen könnte.


Anhang 1: Internationale Kodizes und sonstige Dokumente zum Thema ethische Standards

Vereinte Nationen

Internationaler Verhaltenskodex für Amtsträger

Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen A/RES/51/59, 82. Plenarsitzung, 12. Dezember 1996. Anlage zu Resolution 51/59: Maßnahmen gegen die Korruption

http://www.un.org/Depts/german/uebereinkommen/ar51059.pdf

http://www.un.org/ga/documents/gares51/gar51-59.htm

Europarat

Model code of conduct for public officials; Anhang zur Empfehlung Nr. R (2000) 10, vom Ministerkomitee auf dessen 106. Sitzung am 11. Mai 2000 angenommen

Empfehlung CM/Rec(2007)7 des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten über eine gute Verwaltungspraxis

Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE)

Best practices in combating corruption, insbesondere Kapitel 6 „Building and maintaining an ethical public administration“

http://www.osce.org/publications/eea/2004/05/13568_67_en.pdf

Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD)

Recommendation on Improving Ethical Conduct in the Public Service, 23. April 1998, http://www.oecd.org/dataoecd/60/13/1899138.pdf

Recommendation on Guidelines for Managing Conflict of Interest in the Public Service, Juni 2003, http://www.oecd.org/dataoecd/13/22/2957360.pdf

Europäische Kommission

Communication from Vice-President Kallas to the Commission on enhancing the environment for professional ethics in the Commission (SEC(2008) 301 final, 5. März 2008) http://ec.europa.eu/commission_barroso/kallas/doc/com2008_0305_ethic_en.pdf

Report on the implementation of the Ethics Action Plan with respect to the Statement of Principles of Professional Ethics (internes Dokument, abrufbar im Intranet der Kommission)

Practical Guide to Staff Ethics and Conduct (internes Dokument, abrufbar im Intranet der Kommission).



[1] Bei einer öffentlichen Anhörung zu Problemen und Perspektiven der Unionsbürgerschaft, die der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres des Europäischen Parlaments am 16. Februar 2009 durchführte.

[2] Auf dem Siebten Seminar der nationalen Bürgerbeauftragten der EU-Mitgliedstaaten und Kandidatenländer, das vom 5.-7. April 2009 in Paphos (Zypern) stattfand.

[3] Der Begriff „Beamte“ wird hier im breitesten Sinne verwendet, d. h. er bezieht sich auf alle Personen, die unter das Beamtenstatut der Union oder unter besondere Regelungen für die Beschäftigten bestimmter Institutionen wie der Europäischen Zentralbank fallen.

[4] Dieser Begriff wird hier im breitesten Sinne verwendet, d. h. er bezieht sich auf alle Personen, die in Einrichtungen des öffentlichen Dienstes tätig sind.

[5] Insbesondere Artikel 11 bis 13.