- Export to PDF
- Get the short link of this page
- Share this page onTwitterFacebookLinkedin
Schreiben: des Europäischen Bürgerbeauftragten zur Einleitung der Untersuchung (OI/3/2003/JMA)
Correspondence - Date Wednesday | 19 November 2003
Case OI/3/2003/JMA - Opened on Wednesday | 19 November 2003 - Decision on Wednesday | 04 July 2007
Straßburg, 19-11-2003
Herrn Romano Prodi
Präsident
Europäische Kommission
B - 1049 Brüssel
Sehr geehrter Herr Präsident,
gemäß Artikel 195 des Vertrages über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft ist der Bürgerbeauftragte befugt, von sich aus Untersuchungen zu möglichen Missständen bei der Tätigkeit der Organe oder Institutionen der Gemeinschaft durchzuführen. Ausgehend davon eröffne ich hiermit eine Untersuchung zu der Frage der Integration von Menschen mit Behinderungen, insbesondere im Hinblick auf die von der Europäischen Kommission durchgeführten Maßnahmen, mit denen eine Diskriminierung dieser Personengruppe im Umgang mit der Kommission verhindert werden soll.
1 Die Gründe für die Untersuchung
Menschen mit Behinderungen machen einen erheblichen Teil der Bevölkerung der Gemeinschaft aus. Wie sowohl die europäischen Institutionen als auch die Mitgliedstaaten öffentlich erklärt haben(1), ist diese Gruppe mit einer Vielzahl von Beeinträchtigungen konfrontiert, die sie an der Erlangung der Chancengleichheit, der Unabhängigkeit und der vollen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Eingliederung hindern. Die Gemeinschaft ist daher aufgefordert worden, sich verstärkt für die Chancengleichheit von Behinderten einzusetzen, um deren Eingliederung in die Gesellschaft zu gewährleisten. Es hat dazu auf Gemeinschaftsebene verschiedene Initiativen gegeben.
Am 10. Mai 2000 verabschiedete die Kommission eine Mitteilung mit dem Titel „Auf dem Weg zu einem Europa ohne Hindernisse für Menschen mit Behinderungen", Vom Europäischen Parlament wurde einstimmig eine ähnliche Entschließung verabschiedet(3).
Am 3. Dezember 2001 beschloss der Rat, das Jahr 2003 zum „Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderungen" zu erklären(4). Er erkannte an, dass die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen nach wie vor weit verbreitet ist, was oftmals auf das Informationsdefizit zu dieser Problematik und die Frage der Einstellung zurückzuführen ist. Durch die Ausrufung des Europäischen Jahres der Menschen mit Behinderungen wollte der Rat die Gesellschaft stärker für die Rechte, die Bedürfnisse und das Potenzial dieser Personengruppe sensibilisieren und das Zusammenwirken aller Partner fördern, um letztendlich einen besseren Informationsfluss und einen Austausch bewährter Praktiken zu erreichen.
In jüngerer Zeit wurde die spezielle Situation dieser Menschen und die Notwendigkeit unterstützender Maßnahmen in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union angesprochen. In Artikel 26 der Charta heißt es:
„Die Union anerkennt und achtet den Anspruch von Menschen mit Behinderungen auf Maßnahmen zur Gewährleistung ihrer Eigenständigkeit, ihrer sozialen und beruflichen Eingliederung und ihrer Teilnahme am Leben der Gemeinschaft."
Interne Maßnahmen der Organe und Institutionen der Gemeinschaft
Eingedenk der Probleme, mit denen Behinderte möglicherweise konfrontiert werden, wenn sie Beamte der EU werden möchten oder als solche eine Weiterentwicklung ihrer Laufbahn anstreben, nahmen die europäischen Institutionen 1998 einen „Kodex beispielhaften Verhaltens bei der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen" an, der eine eindeutige Aussage zur Politik der europäischen Institutionen auf diesem Gebiet enthält, und sie erstellten einen diesbezüglichen Leitfaden für ihre Dienststellen(5). Der Kodex sieht verschiedene Aktionen zu folgenden Fragen vor:
- Einstellung: Es sollten alle angemessenen Maßnahmen getroffen werden, damit gewährleistet ist, dass Menschen mit Behinderungen zu den gleichen Bedingungen wie andere Bewerber an Auswahlverfahren teilnehmen können.
- Laufbahnen: Bei Beamten mit Behinderungen ist während der gesamten Laufbahn dafür Sorge zu tragen, dass keine Anforderungen gestellt werden, die nicht auf den Aufgabenbereich bezogen sind und die zu einer Ausgrenzung führen könnten.
- Arbeitsumfeld: Es sollten alle angemessenen Schritte unternommen werden, um Probleme beim Zugang zu Gebäuden sowie zu Büroräumen und -ausstattungen so gering wie möglich zu halten.
- Information und Sensibilisierung: Der Verhaltenskodex ist an alle Mitarbeiter zu verteilen. Für die Mitglieder der Prüfungsausschüsse sind Fortbildungskurse durchzuführen, in denen sie unter anderem für Behindertenfragen sensibilisiert werden.
- Überwachung: Jede Institution ernennt einen Beamten oder ein Gremium, dem die Verantwortung für die Umsetzung des Verhaltenskodex obliegt.
In ihrer Mitteilung vom 10. Mai 2000 bekräftigte die Kommission die im Verhaltenskodex verankerten Verpflichtungen und formulierte zusätzliche Maßnahmen zur Förderung der Herausbildung beispielhafter Praktiken in ihrer eigenen Arbeit. Es wurde Folgendes vorgesehen:
- Beschäftigung: Die Kommission wird die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um behinderten Menschen den Zugang zu einer Tätigkeit im Europäischen öffentlichen Dienst zu erleichtern (Organisation von Auswahlverfahren, Laufbahnentwicklung, administrative Unterstützung, Bereitstellung adäquat ausgestatteter Büroräume und Gebäude, Ausweisung geeigneter Stellen). Die Kommission wird ihre Mitarbeiter dazu anregen, Fortbildungskurse zur Sensibilisierung für Behindertenfragen zu besuchen.
- Zugänglichkeit der Kommissionsgebäude: Die Kommission wird sich bemühen sicherzustellen, dass die Büros und sonstigen Räumlichkeiten für ihre behinderten Mitarbeiter und für Besucher zugänglich sind.
- Information und Kommunikation: Die Kommission wird ihre Leitlinien betreffend den Zugang zu Kommissionsdokumenten abändern, um sicherzustellen, dass Veröffentlichungen und Informationen für Menschen mit Behinderungen in alternativen Formaten zugänglich sind. In ähnlicher Weise wird das Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften dafür Sorge tragen, dass die Informationen für Bürger mit Behinderungen zugänglicher gestaltet werden.
- Europäische Schulen: Die Kommission wird die Europäischen Schulen bei ihren Bemühungen um eine bessere Integration von behinderten Schülern unterstützen.
- Interne Koordinierung: Die Dienststellen der Kommission werden Auditinstrumente und Information zum Thema Behinderung erarbeiten. Sie werden sich bemühen, behinderten Menschen, die um Informationen über EU-Programme ersuchen, gezielt Hilfe zu gewähren.
Diese Maßnahmen wurden vom Europäischen Parlament begrüßt, das darüber hinaus zusätzliche Schritte forderte(6), wie etwa die Einsetzung einer interinstitutionellen Gruppe, die die Zugangsbedingungen für Menschen mit Behinderungen in den EU-Institutionen prüft (Zugänglichkeit und effektive Teilnahme an den Sitzungen, angepasste Einstellungs- und Beschäftigungsbedingungen). Das Europäische Parlament forderte außerdem, dass diese interinstitutionelle Gruppe regelmäßig öffentliche Berichte vorlegt über die zur Anwendung des Verhaltenskodex unternommenen Anstrengungen und über die beim uneingeschränkten Zugang der behinderten Personen (seien es Beschäftigte oder Besucher) zu allen Einrichtungen der Europäischen Union erzielten Fortschritte. Außerdem wurde vorgeschlagen, dass alle Institutionen der Europäischen Union regelmäßig Berichte über die Zahl der in ihren Einrichtungen beschäftigten Personen mit Behinderungen und über die von diesen Personen besetzten Stellen vorlegen.
Der Bürgerbeauftragte begrüßt das eindeutige Engagement der Kommission für Menschen, die eine der am stärksten benachteiligten Gruppen unserer Gesellschaft bilden. Der Ernst ihrer Lage gebietet es, dass die erklärten Verpflichtungen durch wirksame Maßnahmen erfüllt werden. Gute Verwaltungstätigkeit erfordert unverzügliches und wirksames Handeln zur Verwirklichung dieser Zusagen.
Da sich das Jahr 2003, das Europäische Jahr der Menschen mit Behinderungen, nun dem Ende zuneigt, hält es der Bürgerbeauftragte für sinnvoll, sich einen Überblick über die von der Kommission auf diesem Gebiet getroffenen Maßnahmen zu verschaffen und einzuschätzen, ob sie mit ihren rechtlichen Verpflichtungen und ihrem erklärten Engagement im Einklang stehen.
In Anbetracht der zentralen Rolle der Kommission innerhalb des institutionellen Rahmens der Europäischen Union und ihrer speziellen Verpflichtungen gegenüber behinderten Menschen, die sie in ihrer Mitteilung vom 10. Mai 2000 zum Ausdruck brachte, hat der Bürgerbeauftragte beschlossen, seine Untersuchungen in der gegenwärtigen Phase auf die Kommission zu beschränken. In Abhängigkeit von den Ergebnissen kann er jedoch später eine Ausdehnung der Untersuchung auf andere EU-Institutionen in Betracht ziehen.
2 Die Untersuchung
Der Bürgerbeauftragte ersucht die Kommission um Informationen zu (a) den von ihr getroffenen oder beabsichtigten Maßnahmen, mit denen sichergestellt werden soll, dass Menschen mit Behinderungen im Umgang mit ihr nicht diskriminiert werden, sowie zum (b) Zeitplan für die Annahme dieser Maßnahmen.
Ich möchte die Kommission bitten, mir ihre Stellungnahme bis zum 29. Februar 2004 zu übermitteln. Um zu gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen über diese Initiative informiert werden und ihre Ansichten dazu mitteilen können, beabsichtige ich, alle die Untersuchung betreffenden Dokumente auf meiner Website zu veröffentlichen.
Mit freundlichen Grüßen
Professor Dr. P. Nikiforos DIAMANDOUROS
Kopie: Herr Massangioli
--------------------------------------------------------------------------------
(1) Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten vom 20. Dezember 1996 zur Chancengleichheit für Behinderte; ABl. C 12 vom 13.1.1997, S. 1.
(2) Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen - Auf dem Weg zu einem Europa ohne Hindernisse für Menschen mit Behinderungen; KOM(2000) 284 endg. vom 12.5.2000.
(3) Entschließung des Europäischen Parlaments vom 4. April 2001 zur Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen - Auf dem Weg zu einem Europa ohne Hindernisse für Menschen mit Behinderungen [KOM(2000) 284 - C5-0632/2000 - 2000/2296 (COS)].
(4) Beschluss des Rates Nr. 2001/903/EG vom 3. Dezember 2001 über das Europäische Jahr der Menschen mit Behinderungen 2003; ABl. L 335 vom 19.12.2001, S. 15.
(5) Abrufbar auf der Website der Europäischen Kommission (http://ec.europa.eu/employment_social/soc-prot/disable/codehaen_en.htm).
(6) Siehe die oben genannte Entschließung des Europäischen Parlaments vom 4. April 2001, Randnr. 35.
- Export to PDF
- Get the short link of this page
- Share this page onTwitterFacebookLinkedin