- Export to PDF
- Get the short link of this page
- Share this page onTwitterFacebookLinkedin
Entscheidung des Europäischen Bürgerbeauftragten über die Beschwerde 320/97/PD gegen die Europäische Kommission
Decision
Case 320/97/PD - Opened on Monday | 30 June 1997 - Decision on Wednesday | 02 December 1998
Straßburg, 2. Dezember 1998
Sehr geehrter Herr R.,
am 15. April 1997 richteten Sie an den Europäischen Bürgerbeauftragten eine Beschwerde gegen die Europäische Kommission. Sie legten dar, daß die Vorgehensweise der Kommission bei dem Sie betreffenden Einstellungsverfahren einen Mißstand darstelle.
Am 30. Juni 1997 leitete ich die Beschwerde an den Präsidenten der Europäischen Kommission weiter. Die Kommission übermittelte ihre Stellungnahme am 27. Oktober 1997, und ich leitete diese an Sie mit der Aufforderung zur Stellungnahme weiter, falls Sie diese abzugeben wünschten. Am 8. Januar 1998 erhielt ich Ihre Anmerkungen zu der Stellungnahme der Kommission.
Am 25. März 1998 ersuchte ich die Kommission um zusätzliche Informationen. Die Kommission übermittelte am 26. Mai 1998 ihre zweite Stellungnahme, die ich ebenfalls an Sie mit der Aufforderung weiterleitete, gegebenenfalls dazu Stellung zu nehmen. Am 24. Juni 1998 erhielt ich Ihre Anmerkungen zu der zweiten Stellungnahme der Kommission.
Mit diesem Schreiben möchte ich Sie über die Ergebnisse der durchgeführten Untersuchung in Kenntnis setzen.
Ich bitte um Verständnis für die lange Bearbeitungsdauer hinsichtlich Ihrer Beschwerde.
BESCHWERDE
Der Hintergrund Ihrer Beschwerde läßt sich wie folgt zusammenfassen:
Im Juni 1994 bestanden Sie ein von der Kommission durchgeführtes Auswahlverfahren zur Erstellung einer Reserveliste für die Einstellung von Zeitbediensteten der Besoldungsgruppen A7/6 (65T/XXIII/93).
Am 23. September 1996 wurden Sie, der seinerzeit in Peru, Südamerika, berufstätig war, von Herrn José Luis Triminio von der Generaldirektion IB, angerufen, um zu erfahren, ob Sie Interesse an einer Stelle in der Abteilung Lateinamerika hätten. Sie bestätigten Ihr Interesse.
Am 4. November 1996 erhielten Sie eine Einladung von der Generaldirektion IX zu einem Vorstellungsgespräch in Brüssel und zu der erforderlichen medizinischen Untersuchung für den Fall, daß Ihnen die Stelle angeboten werden sollte. Das Gespräch und die medizinische Untersuchung fanden am 21. und 22. November 1996 statt.
Am 6. Dezember 1996 wurde Ihnen mündlich von der GD IB mitgeteilt, daß Ihnen die fragliche Stelle angeboten werde. Mit Schreiben vom 16. Dezember 1996 forderte die GD IB die GD IX auf, so bald wie möglich das Einstellungsverfahren einzuleiten.
Am 13. Januar 1997 wandten Sie sich an die GD IX, die Ihnen mitteilte, daß Ihre Einstellung als sicher gelte und daß Sie innerhalb einer Woche ein diesbezügliches Fax erhalten würden. Am 16. Januar 1997 teilte Ihnen die GD IX mit, daß das Einstellungsverfahren aufgrund eines Beschlusses, die Reserveliste, in der Sie eingetragen waren, zu schließen, blockiert sei, und daß daher eine Einstellung nicht erfolgen könne. Sie haben bis heute keine schriftliche Nachricht über die Schließung Ihrer Reserveliste erhalten.
Mit Schreiben vom 15. März 1997 teilten Sie der Kommission mit, daß Sie diese Vorgehensweise als unangemessen betrachteten.
Vor diesem Hintergrund haben Sie in Ihrer Beschwerde die Vorgehensweise der Kommission als einen Mißstand beanstandet. Ihres Erachtens werden darin mangelhafte Verwaltungsverfahren, Vernachlässigung der beruflichen Sorgfaltspflicht in den Dienststellen der Kommission, Mißachtung des Bürgers und schlechte Haushaltsführung - Ihr Hin- und Rückflugticket Lima-Brüssel wurde von der Kommission bezahlt - deutlich.
UNTERSUCHUNG
Stellungnahme der Kommission
Die Kommission hat erklärt, daß sie am 13. November 1996 einen neuen Beschluß über die Politik gegenüber den Bediensteten auf Zeit im Sinne von Artikel 2 a der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten (im folgenden der neue Beschluß) gefaßt hat. Der Annahme des Beschlusses, der am 1. Dezember 1996 in Kraft trat, gingen eingehende Konsultationen der Dienststellen und der Personalvertreter voraus. Die neuen Vorschriften sind wesentlich strenger als die vorhergehenden, da als Zeitbedienstete in den Besoldungsgruppen A7/6 nur erfolgreiche Teilnehmer an allgemeinen Auswahlverfahren, die in die Reserveliste aufgenommen wurden, oder erfolgreiche Teilnehmer an Ausleseverfahren für spezifische Fachbereiche eingestellt werden. Gemäß dem neuen Beschluß erfolgt derzeit die Einstellung von Zeitbediensteten im Regelfall in den Besoldungsgruppen A5/4, damit das Organ über hochspezialisiertes Personal verfügt. Außerdem hat die Verwaltung der Kommission beschlossen, alle bestehenden Listen von Ausleseverfahren für Bedienstete auf Zeit ab 1. Dezember 1996 zu schließen, um die Politik gegenüber Zeitbediensteten entsprechend dem neuen Beschluß auf eine neue Grundlage zu stellen. Die Generaldirektoren und die Leiter der Dienststellen wurden von diesem neuen Beschluß am 3. Dezember 1996 in Kenntnis gesetzt.
Die Kommission hat weiterhin erklärt, es treffe zu, daß während des Verfahrens zur Annahme des erwähnten Beschlusses die GD IB mit Ihnen Kontakt aufgenommen hat und daß mit Ihnen ein Einstellungsgespräch geführt wurde. Da jedoch der Einstellungsantrag der GD IB erst am 16. Dezember 1996 der GD IX übermittelt wurde, mußte die Verwaltung die neuen Vorschriften anwenden und folglich den Antrag ablehnen.
Des weiteren hat die Kommission erklärt, daß es in ihren Augen bedauerlich ist, daß Sie widersprüchliche Informationen über eine mögliche Einstellung erhielten, sie hält es dennoch für notwendig, auf folgende Punkte hinzuweisen:
- Als Sie nach Brüssel eingeladen wurden, waren die neuen Vorschriften noch nicht beschlossen, und daher konnte die Verwaltung den Antrag der GD IB, Sie zu einem Einstellungsgespräch einzuladen, nicht ablehnen.
- Die Aufnahme in eine Reserveliste begründet für den betreffenden Teilnehmer keinen Anspruch auf Einstellung. Tatsächlich ist nur der Generaldirektor der GD IX befugt, die Einstellung eines Zeitbediensteten zu beschließen, und nur die Dienststellen der GD IX sind ermächtigt, im Namen der Kommission ein Einstellungsangebot zu unterbreiten. Es steht fest, daß Sie nie ein solches Schreiben erhalten haben.
- Ihr Schreiben vom 15. März 1997 wurde beantwortet.
Bemerkungen des Beschwerdeführers
In Ihren Anmerkungen zu der Stellungnahme der Kommission haben Sie Ihre Beschwerde aufrechterhalten. Sie haben insbesondere betont, daß Ihres Erachtens die Vorgehensweise der Kommission im Widerspruch zu dem Grundsatz von Vertrauensschutz steht und daß die Tatsache, daß die Dienststellen der Kommission im Dezember und auch im Januar, d. h. nach dem Inkrafttreten des neuen Beschlusses, Ihnen gegenüber mündlich das Einstellungsangebot für den betreffenden Posten bestätigten, Sie darin bestätigt, daß die Verwaltungsverfahren der Kommission mangelhaft sind.
WEITERE UNTERSUCHUNGEN
Nach gebührender Berücksichtigung der Stellungnahme der Kommission und der Anmerkungen des Beschwerdeführers wandte sich der Europäische Bürgerbeauftragte an die Kommission. In seinem Schreiben ersuchte der Bürgerbeauftragte die Kommission, ihm eine Abschrift des Beschlusses vom 13. November 1996 zu übermitteln, und bat um Angaben zu den folgenden Punkten:
Waren in dem erwähnten Beschluß Übergangsmaßnahmen für laufende Einstellungsverfahren vorgesehen? Falls dies nicht der Fall war, was waren die Gründe dafür?
War die GD IB an den ausführlichen Konsultationen der Dienststellen beteiligt? Wann wurden die Arbeiten zu dem Beschluß abgeschlossen, und wann wurde somit das Verfahren zur Vorlage des Beschlusses zur Billigung durch die Kommission in Gang gesetzt?
Wie wurden die Dienststellen der Kommission nach der Annahme des Beschlusses darüber unterrichtet?
In ihrer Antwort übermittelte die Kommission den Beschluß vom 30. November 1996 sowie einen Vermerk der GD IX an die Generaldirektoren und die Leiter der Dienststellen der Kommission vom 3. Dezember 1996 betreffend den neuen Beschluß. Ferner übermittelte die Kommission eine Abschrift Ihres Lebenslaufes.
Der Kommission zufolge enthielt der Beschluß Übergangsmaßnahmen; in dem genannten Vermerk vom 3. Dezember 1996 wird dargelegt, daß die bestehenden Reservelisten weiterhin gültig bleiben könnten, um Einstellungen nach Maßgabe des neuen Beschlusses zu ermöglichen.
Die Kommission hat weiterhin erklärt, daß es nicht möglich war, gemäß dem neuen Beschluß Ihren Abschluß in Politologie als spezifischen Beruf zu werten. Schließlich erklärte die Kommission, daß das Verfahren zur Annahme des neuen Beschlusses unter Wahrung uneingeschränkter Transparenz durchgeführt wurde, und daß alle Dienststellen der Kommission ordnungsgemäß über die laufenden Arbeiten, z. B. in den wöchentlichen Treffen der Assistenten sowie durch den Vermerk vom 3. Dezember 1996, unterrichtet wurden.
In Ihren Anmerkungen zu der zweiten Stellungnahme der Kommission hielten Sie Ihre Beschwerde aufrecht.
ENTSCHEIDUNG
1. Zu den Grundsätzen einer guten Verwaltungspraxis gehört, daß die Verwaltung die Bürger in einer fairen und gerechten Weise behandelt. Es ist Aufgabe der Kommission, ihre Verfahren so zu organisieren, daß dieses Erfordernis erfüllt wird.
In diesem Fall ist erwiesen, daß der neue Beschluß über die Einstellung von Bediensteten auf Zeit am 1. Dezember 1996 in Kraft trat und daß der neue Beschluß die Anforderung stellte, daß der Bewerber einen spezifischen Beruf haben muß. Es ist ferner erwiesen, daß Sie diese Anforderung nicht erfüllten und Sie daher nicht eingestellt wurden.
Weiterhin ist erwiesen, daß Sie nach den alten Vorschriften erfolgreich an einem Einstellungsgespräch und der medizinischen Untersuchung teilgenommen hatten und von der zuständigen Dienststelle ausgewählt worden waren. Sie wären wohl eingestellt worden, wenn die alten Vorschriften nach dem 30. November 1996 weiterhin in Kraft geblieben wären.
Daher ist die entscheidende Frage, ob es recht und billig ist, in Ihrem Fall eine neue Anforderung zu stellen, die zum Zeitpunkt ihrer erfolgreichen Teilnahme an dem Einstellungsverfahren nicht bestand. Die Kommission hat kein übermäßiges Interesse erkennen lassen, das diese Anforderung begründen könnte. Der Bürgerbeauftragte ist der Auffassung, daß es nicht als gerecht gelten kann, an Sie eine Anforderung zu stellen, die zum Zeitpunkt Ihrer erfolgreichen Teilnahme an dem Einstellungsverfahren nicht bestand. Daraus ergibt sich, daß die Kommission den Grundsätzen einer guten Verwaltungspraxis nicht entsprochen hat. Es ist Aufgabe der Kommission, ihre Verfahren so zu organisieren, daß dieses Erfordernis eingehalten wird.
Schlussfolgerung
2. Auf Grundlage der Untersuchungen im Zusammenhang mit dieser Beschwerde erscheint es notwendig, die folgende kritische Anmerkung zu machen:
- Zu den Grundsätzen einer guten Verwaltungspraxis gehört, daß die Bürger in einer fairen und gerechten Art und Weise behandelt werden. In diesem Fall stellt sich heraus, daß ein Bewerber, der erfolgreich an einem Einstellungsgespräch und einer medizinischen Untersuchung teilgenommen hatte und von der zuständigen Dienststelle ausgewählt worden war, nicht eingestellt wurde. Der Grund hierfür war, daß die Kommission die Einstellung von einer Anforderung abhängig machte, die zum Zeitpunkt der erfolgreichen Teilnahme des Bewerbers nicht bestand. Diese Vorgehensweise der Kommission stellt einen Mißstand dar.
Da diese Aspekte des Falles Verfahren im Zusammenhang mit konkreten Ereignissen in der Vergangenheit betreffen, ist es nicht angemessen, eine gütliche Einigung der Angelegenheit anzustreben. Daher hat der Bürgerbeauftragte beschlossen, den Fall abzuschließen.
Der Präsident der Europäischen Kommission wird ebenfalls über diese Entscheidung unterrichtet.
Mit freundlichen Grüßen
Jacob SÖDERMAN
- Export to PDF
- Get the short link of this page
- Share this page onTwitterFacebookLinkedin