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Entscheidung des Europäischen Bürgerbeauftragten zum Abschluss seiner Untersuchung zur Beschwerde Nr. 491/2008/PB über den Europäischen Datenschutzbeauftragten
Decision
Case 491/2008/PB - Opened on Friday | 14 March 2008 - Decision on Tuesday | 15 December 2009
DER HINTERGRUND DER BESCHWERDE
1. Bei diesem Beschwerdefall geht es um den Vorwurf, dass der Europäische Datenschutzbeauftragte (EDSB) Schreiben nicht beantwortet und insbesondere den Zugang zu Dokumenten abgelehnt habe.
2. Der Beschwerdeführer, ein ehemaliger Beamter der Kommission, erhielt 2005/2006 Zugang zu seiner Personal- und Krankenakte bei der Europäischen Kommission, nachdem er einen Antrag auf Anerkennung einer Berufskrankheit gestellt hatte (der letztlich positiv beschieden wurde). Da er mit dem Umfang und der Art des gewährten Zugangs nicht einverstanden war, beschwerte er sich beim EDSB über die Verletzung seiner Datenrechte und beim Bürgerbeauftragten über den seiner Meinung nach vorliegenden Verstoß gegen Verordnung 1049/2001[1] über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten (Beschwerde 723/2006/(WP)PB; die betreffende Untersuchung wurde im Dezember 2007 abgeschlossen).
3. Daraufhin sandte der EDSB dem Beschwerdeführer am 30. Oktober 2006 ein Schreiben, mit dem er ihn im Wesentlichen über zwei Entscheidungen informierte. Eine diese Entscheidungen betraf eine datenschutzrechtliche Frage, die der Beschwerdeführer in einer Beschwerde über die Kommission aufgeworfen hatte; die andere betraf den Antrag des Beschwerdeführers auf Zugang zu den Akten und zur Korrespondenz im Hinblick auf zwei Beschwerden über die Europäische Kommission, die er beim EDSB eingereicht hatte. Im Dezember 2006 legte der Beschwerdeführer Teilwiderspruch gegen das Schreiben des EDSB ein. Es verging eine geraume Zeit (14 Monate), in der ihm der EDSB Zwischenbescheide, aber keine inhaltliche Antwort zukommen ließ. Daher wandte sich der Beschwerdeführer im Februar 2008 an den Bürgerbeauftragten.
4. Der Bürgerbeauftragte entnahm den Zwischenbescheiden des EDSB an den Beschwerdeführer, dass die inhaltliche Antwort Ende 2007 kurz vor der Fertigstellung stand. Daher entschied er sich für ein „telefonisches Verfahren“, um rasch in Erfahrung zu bringen, ob der EDSB dem Beschwerdeführer eine sofortige Antwort übermitteln könne. Der EDSB teilte dem Bürgerbeauftragten mit, dass dies nicht möglich sei. Daher leitete der Bürgerbeauftragte die vorliegende umfassende Untersuchung ein.
DER GEGENSTAND DER UNTERSUCHUNG
5. Die Untersuchung des Bürgerbeauftragten bezog sich auf die folgenden Vorwürfe und die folgende Forderung.
Vorwürfe:
- Die Entscheidung des EDSB C2006-0390 vom 30. Oktober 2006 habe in Bezug auf den Antrag des Beschwerdeführers auf Zugang zu Dokumenten nicht den geltenden Regeln entsprochen.
- Der EDSB habe keine stichhaltige Antwort auf den Überprüfungsantrag des Beschwerdeführers vom 10. Dezember 2006 gegeben.
- Die über einen Zeitraum von etwa 14 Monaten ausbleibende Antwort auf den Antrag des Beschwerdeführers vom 10. Dezember 2006 und das wiederholte Ausbleiben ausdrücklich zugesagter Antworten stellten Missstände dar.
Der Beschwerdeführer forderte (implizit) eine inhaltliche Antwort auf den Überprüfungsantrag, den er im Dezember 2006 beim EDSB gestellt hatte.
DIE UNTERSUCHUNG
6. Am 14. März 2008 ersuchte der Bürgerbeauftragte den EDSB, ihm bis 30. Juni 2008 eine Stellungnahme zu den genannten Vorwürfen bzw. zu der Forderung zukommen zu lassen. Am 12. September 2008 übermittelte der EDSB seine Stellungnahme, die dem Beschwerdeführer mit der Bitte um Anmerkungen zugesandt wurde. Am 15. Oktober 2008 übermittelte der Beschwerdeführer seine Anmerkungen.
DIE ANALYSE UND DIE SCHLUSSFOLGERUNGEN DES BÜRGERBEAUFTRAGTEN
Vorbemerkungen
7. In seiner Stellungnahme vertrat der EDSB die Auffassung, dass der erste Vorwurf des Beschwerdeführers unbegründet sei. Dabei verwies er auf ein Schreiben, das er am 28. Juli 2008 an den Beschwerdeführer gerichtet hatte. Die Ergebnisse der Prüfung dieses Vorwurfs und des Inhalts des genannten Schreibens des EDSB werden weiter unten erörtert.
8. Auf den zweiten und dritten Vorwurf des Beschwerdeführers eingehend, verwies der EDSB auf das erwähnte Schreiben vom 28. Juli 2008, das er dem Beschwerdeführer nach der Einleitung der vorliegenden Untersuchung übermittelt hatte. Zum dritten Vorwurf erklärte der EDSB: „Dieser Vorwurf ist im Wesentlichen zutreffend, und ich möchte für diese nicht hinzunehmenden Unterlassungen mein tiefes Bedauern und meine aufrichtige Entschuldigung zum Ausdruck bringen. Es wurden geeignete Maßnahmen getroffen, um zu verhindern, dass sich Derartiges wiederholt.“
9. Der Beschwerdeführer nahm in seinen Anmerkungen zum zweiten und dritten Vorwurf zur Kenntnis, dass ihm der EDSB letztendlich eine Antwort übermittelt und sich angemessen entschuldigt hatte. Er erklärte, dass er die Entschuldigung annehme, und teilte dem Bürgerbeauftragten mit, dass er inzwischen ordnungsgemäßen Zugang zu den betreffenden Dokumenten und Informationen erhalten habe.
10. In Anbetracht dessen gelangt der Bürgerbeauftragte zu dem Schluss, dass sich eine weitere Prüfung des zweiten und des dritten Vorwurfs und der damit zusammenhängenden Forderung erübrigt.
11. Bezüglich des ersten Vorwurfs führte der Beschwerdeführer in seinen Anmerkungen aus, dass sein besonderes und vorrangiges Interesse angesichts der obigen Entwicklungen nunmehr auf Fragen gerichtet sei, die eine vom EDSB untersuchte Praxis der Kommission betreffen. Es handele sich dabei um die bei der Kommission übliche Gepflogenheit, sensible medizinische Daten nur an einen vom betroffenen Mitarbeiter benannten Arzt weiterzugeben. Diese Praxis gehe auf Artikel 26a des Beamtenstatuts zurück, wonach der Zugang zur medizinischen Akte „gemäß den von den Organen festgelegten Modalitäten“ zu gewähren ist. Die betreffenden Modalitäten seien in der Schlussfolgerung 221/04 festgelegt worden, die vom Kollegium der Verwaltungsleiter am 19. Februar 2004 angenommen wurde. Danach ist der Zugang zu psychiatrischen oder psychologischen Berichten dem betroffenen Beamten indirekt über einen von ihm benannten Arzt zu gewähren. Mit dieser Regel solle im besten Interesse des betreffenden Beamten gehandelt werden.
12. Der Beschwerdeführer äußerte Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses „indirekten“ Zugangs. In diesem Zusammenhang möchte der Bürgerbeauftragte anmerken, dass er die erwähnte Praxis bereits früher für sinnvoll befunden hat.[2] Wenn bei einem Beamten psychologische Probleme zu vermuten sind, kann es tatsächlich in seinem besten Interesse sein, dass Berichte oder Unterlagen mit entsprechenden Schlussfolgerungen zunächst von seinem behandelnden Arzt eingesehen werden. Es deutet also nichts auf eine Unvereinbarkeit der in Schlussfolgerung 221/04 dargelegten Modalitäten mit Artikel 26a des Beamtenstatuts hin. Bestätigt wird dies auch durch die Spruchpraxis der Gemeinschaftsgerichte.[3]
13. Daher erachtet der Bürgerbeauftragte eine Untersuchung zu der obigen Fragestellung des Beschwerdeführers nicht für erforderlich oder gerechtfertigt.
A. Vorwurf hinsichtlich des Antrags auf Zugang zu Dokumenten, die sich im Besitz des EDSB befinden
Vorbemerkungen
14. In den folgenden Abschnitten prüft der Bürgerbeauftragte, ob die Entscheidung des EDSB vom 30. Oktober 2006 über die Ablehnung des Zugangs zu Dokumenten („die angefochtene Entscheidung“) mit den einschlägigen Regeln in Einklang stand. Konkret soll dabei untersucht werden, ob der EDSB die Verweigerung des Dokumentenzugangs stichhaltig und ausreichend begründete.
15. Auf die rechtlichen Grundlagen und Prinzipien eingehend, teilte der EDSB dem Beschwerdeführer zunächst mit, dass es sich bei seinem Antrag offenbar um einen Antrag auf Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten nach Verordnung 1049/2001 handele. Er verwies auf bestimmte relevante Unterschiede zwischen dem Zugangsrecht nach dieser Verordnung und nach Verordnung 45/2001 zum Schutz personenbezogener Daten[4], die für betroffene Personen ebenfalls einen Anspruch auf Zugang begründet. Ferner teilte der EDSB dem Beschwerdeführer mit, er werde den Antrag „auf die für Ihren Standpunkt günstigste Weise bearbeiten“. Bei der Beantwortung des Zugangsantrags zog er Bestimmungen beider genannter Verordnungen heran.
16. Der EDSB erläuterte dem Beschwerdeführer, dass er bei der Prüfung seines Antrags zwischen drei Kategorien von Dokumenten unterschieden habe: (a) „Schriftverkehr zwischen Ihnen und dem EDSB“; (b) „zwischen EDSB und PMO ausgetauschte Unterlagen“; und (c) „ausschließlich zur behördeninternen Verwendung beim EDSB bestimmte Unterlagen“. Er habe sich entschieden, keinen Zugang zu den Dokumenten in Kategorie (a) zu gewähren, da der Beschwerdeführer bereits in deren Besitz sei. Der Zugang zu den Kategorien (b) und (c) wurde vom EDSB aus Gründen verweigert, auf die weiter unten noch eingegangen wird.
17. Der Beschwerdeführer hat die Entscheidung des EDSB, seinen Zugangsantrag auf die geschilderte Weise zu bearbeiten, nicht konkret angefochten. Nach Ansicht des Bürgerbeauftragten wurde der Zugangsantrag des Beschwerdeführers vom EDSB ordnungsgemäß bearbeitet.
Vorbringen der Parteien
18. Der Beschwerdeführer machte im Wesentlichen geltend, dass der EDSB den Zugang zu den betreffenden Akten (AZ 2006-0120 und AZ 2005-0015, beide gehen auf Beschwerden des Beschwerdeführers zurück) ohne stichhaltige und ausreichende Begründung verweigert habe. Insbesondere habe der EDSB (a) eine Bestimmung von Verordnung 45/2001 herangezogen, die in diesem Falle nicht Belang sei, und (b) die Vorgaben über die Rechtfertigungsgründe für eine Zugangsverweigerung nach Verordnung 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten nicht eingehalten.
19. Der EDSB trug in seinen Anmerkungen im Wesentlichen vor, dass die Ablehnung des Zugangs zu Recht erfolgt und ausreichend begründet worden sei.
20. Eine konkrete und ausführliche Schilderung der Sachverhalte und der vorgetragenen Argumente folgt im Abschnitt „Die Beurteilung des Bürgerbeauftragten“.
Die Beurteilung des Bürgerbeauftragten
Vorgaben für die Anwendung von Verordnung 1049/2001
21. Wie bereits angemerkt, berief sich der EDSB bei der teilweisen Ablehnung des Zugangsantrags des Beschwerdeführers auf Bestimmungen der Verordnung 1049/2001. Der Bürgerbeauftragte begrüßt es, dass der EDSB Verordnung 1049/2001 anwandte, zumal der Beschluss über die Einrichtung seines Amtes nicht ausdrücklich besagt, dass diese Verordnung für ihn bindend ist.[5] Allerdings möchte der Bürgerbeauftragte betonen, dass sich ein Organ bzw. eine Einrichtung im Falle der Anwendung von Verordnung 1049/2001 uneingeschränkt an die darin enthaltenen Bestimmungen halten muss. Dies gilt insbesondere auch für die folgenden Regelungen.
22. Die im Rahmen der Bearbeitung eines Antrags auf Zugang zu Dokumenten erforderliche Prüfung muss konkret sein. Zum einen kann nämlich der bloße Umstand, dass ein Dokument ein durch eine Ausnahme geschütztes Interesse betrifft, nicht ausreichen, um die Anwendung der Ausnahme zu rechtfertigen. Eine solche Anwendung kann grundsätzlich nur dann gerechtfertigt sein, wenn das Organ zuvor geprüft hat, ob erstens der Zugang zu dem Dokument das geschützte Interesse tatsächlich konkret hätte verletzen können und ob zweitens - in den Fällen des Artikel 4 Absatz 2 und 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 - nicht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung bestand. Zum anderen muss die Gefahr einer Beeinträchtigung eines geschützten Interesses vernünftigerweise absehbar sein und darf nicht rein hypothetisch sein. Die Prüfung, die das Organ durchführen muss, um eine Ausnahme anzuwenden, muss daher konkret sein und aus der Begründung der Entscheidung hervorgehen.[6] Eine Prüfung von Dokumenten nach Kategorien statt nach den in diesen Dokumenten enthaltenen konkreten Informationen ist grundsätzlich unzureichend, da die Prüfung es dem Organ ermöglichen muss, konkret zu beurteilen, ob eine geltend gemachte Ausnahme auch tatsächlich für alle in diesen Dokumenten enthaltenen Informationen gilt.[7] Außerdem muss die nach Artikel 253 EG vorgeschriebene Begründung es den Betroffenen ermöglichen, die Angemessenheit der Gründe für die Entscheidung zu beurteilen, und den Bürgerbeauftragten in die Lage versetzen, im Falle einer Beschwerde seine Kontrollaufgabe wahrzunehmen.[8]
23. Im vorliegenden Fall berief sich der EDSB auf folgende Ausnahmeregelungen in Verordnung 1049/2001 (Unterstreichung hinzugefügt).
„AZ 2006-0120
[…]
b. zwischen EDSB und PMO ausgetauschte Unterlagen
Diese Unterlagen sind für die Untersuchung Ihrer Beschwerde von Belang. Zum ersten Teil Ihrer Beschwerde ist anzumerken, dass uns einige Unterlagen streng vertraulich überlassen wurden. Was den zweiten Teil Ihrer Beschwerde angeht, so dauert die Untersuchung noch an. Zu den meisten dieser Unterlagen wurde kein Zugang gewährt, weil sie entweder unter Artikel 4 Absatz 2 der Verordnung 1049/2001 fallen oder der Pflicht zur vertraulichen Behandlung unterliegen, die der Tätigkeit des EDSB nach Maßgabe von Artikel 20 Absatz 4 der Verordnung 45/2001[9] eigen ist. Diese Pflicht kommt in Artikel 45 der Verordnung 45/2001 zum Ausdruck. Eine Verbreitung würde die Aufsichtsfunktion des EDSB schwächen…
Alle sonstigen Unterlagen bzw. die relevanten Teile davon sind beigefügt und in Anhang A aufgelistet. Zu bestimmten Dokumenten haben Sie bereits Zugang erhalten; in diesen Fällen wurden die betreffenden Dokumente nicht noch einmal beigefügt.
c. Unterlagen zur internen Verwendung in meiner Dienststelle
Zu diesen Unterlagen wird kein Zugang gewährt, weil sie unter Artikel 4 Absatz 3 zweiter Unterabsatz der Verordnung 1049/2001 oder Artikel 45 der Verordnung 45/2001 fallen. Es handelt sich dabei um Dokumente mit Stellungnahmen zum internen Gebrauch im Rahmen von Beratungen und Vorgesprächen innerhalb der Einrichtung. Die jetzige oder künftige Verbreitung solcher Dokumente würde den Entscheidungsprozess ernstlich beeinträchtigen. Bitte beachten Sie jedoch, dass maßgebliche Elemente in die Endfassungen der Dokumente eingeflossen sind, die Ihnen zu einem früheren Zeitpunkt zugesandt oder jetzt zugänglich gemacht wurden.
AZ 2005-0015
Bei unserer Akte zu Ihrer Beschwerde vom 26. Januar 2005 haben wir zwischen zwei Kategorien von Dokumenten unterschieden:
[...]
b. Unterlagen zur internen Verwendung in meiner Dienststelle
Diese Dokumente sind aus ähnlichen Gründen wie oben angegeben vom Zugang ausgenommen. Bitte beachten Sie jedoch, dass maßgebliche Elemente in die Endfassungen der Dokumente eingeflossen sind, die Ihnen zu einem früheren Zeitpunkt zugesandt oder jetzt zugänglich gemacht wurden.“ (Hervorhebung hinzugefügt)
24. Die vorstehend zitierte Berufung auf die genannten Ausnahmeregelungen in Verordnung 1049/2001 entspricht nicht den in Punkt 22 dargelegten Vorgaben und ist daher unzureichend. Da sie lediglich Verweise auf die betreffenden Ausnahmeregelungen enthält, sind ihr keine konkret nachprüfbaren Gründe zu entnehmen. Eine Antwort, in der ohne weitere Angabe von Gründen lediglich auf eine (wenn auch vielleicht zutreffende) Ausnahmeregelung verwiesen wird, ist nur dann zulässig, wenn keine Begründung gegeben werden kann, ohne den Inhalt dieses Dokuments bekannt zu machen und damit die wesentliche Zweckbestimmung der Ausnahme zu verfehlen[10]. Wenn jedoch eine Institution erklärt, dass die Offenlegung des Inhalts eines Dokuments nicht möglich ist, muss sie dies in ihrer Entscheidung über die Ablehnung des Zugangs zumindest kurz erläutern.
Die Berufung auf Artikel 20 Absatz 4 und Artikel 45 der Verordnung 45/2001
25. In seinen oben zitierten Ausführungen verwies der EDSB auf die „Pflicht zur vertraulichen Behandlung, die der Tätigkeit des EDSB nach Maßgabe von Artikel 20 Absatz 4 der Verordnung 45/2001 eigen ist“. Diese Bestimmung steht mit Artikel 20 Absatz 1 der besagten Verordnung im Zusammenhang, wonach ein Datenverarbeiter bestimmte Datenschutzrechte (so auch Zugangsrechte) einschränken kann, wenn die Wahrung bestimmter konkret aufgeführter Interessen dies erfordert. Artikel 20 Absatz 4 lautet wie folgt:
„Wird eine Einschränkung nach Absatz 1 angewandt, um der betroffenen Person den Zugang zu verweigern, unterrichtet der Europäische Datenschutzbeauftragte bei Prüfung der Beschwerde die betroffene Person nur darüber, ob die Daten richtig verarbeitet wurden und, falls dies nicht der Fall ist, ob alle erforderlichen Berichtigungen vorgenommen wurden.“
26. Im vorliegenden Fall berief sich der EDSB offenbar auf diese Bestimmung, weil er der Ansicht war, dass die Kommission den Zugang zu dem vorläufigen ärztlichen Bericht eines Dr. H. (über den gesundheitlichen Zustand des Beschwerdeführers) aus Gründen des Schutzes des Beschwerdeführers abgelehnt und sich damit implizit auf den erwähnten Artikel 20 Absatz 1[11] gestützt hatte. Es hat jedoch den Anschein, dass die Fakten und der Schriftwechsel dies nicht umfassend belegen. In einem Schreiben an den EDSB vom 2. Juni 2006 (Aktenzeichen PMO.3/LP/ls D(2006) 13484), das die Beschwerde des Beschwerdeführers über die Kommission betraf, führte die Kommission als Grund für die Nichtüberlassung des fraglichen ärztlichen Berichts an den Beschwerdeführer lediglich an, dass es sich um einen vorläufigen Bericht handele. Sie nahm weder ausdrücklich noch implizit auf die einschlägigen Ausnahmeregelungen nach Artikel 20 Absatz 1 der Verordnung 45/2001 Bezug. Der Bürgerbeauftragte möchte darauf hinweisen, dass er ebenso wie der EDSB Beschwerden des Beschwerdeführers über die Kommission bearbeitet hat, die den angeblich nicht ordnungsgemäßen Zugang zu selbiger Krankenakte betrafen.[12] Den im Rahmen dieser Untersuchung vorgelegten Antworten bzw. Stellungnahmen der Kommission ist nicht zu entnehmen, dass der Zugang zu dem vorläufigen ärztlichen Bericht des Dr. H. jemals mit einem konkreten oder impliziten Verweis auf Artikel 20 Absatz 1 der Verordnung 45/2001 abgelehnt wurde.
27. In Anbetracht dessen kann nicht festgestellt werden, dass in der Entscheidung des EDSB vom 30. Oktober 2006 ausreichend erläutert wurde, warum und inwiefern die wahrgenommene Vertraulichkeitspflicht nach Artikel 20 Absatz 4 der Verordnung 45/2001 für die Verweigerung des Zugangs zu dem beim EDSB beantragten Dokument von Belang war. Es trifft zu, dass das PMO (Amt für die Feststellung und Abwicklung individueller Ansprüche, eine Dienststelle der Kommission) den EDSB in dem oben erwähnten Schreiben auch über eine gängige Praxis informierte, die bei vernünftiger Betrachtung als beabsichtigte Anwendung von Artikel 20 Absatz 1 der Verordnung 45/2001 verstanden werden könnte, nämlich die Gepflogenheit, die endgültige Fassung von Arztberichten mit sensiblen Daten einem vom betroffenen Mitarbeiter benannten Arzt zuzusenden. Wenn Artikel 20 Absatz 1 nach Ansicht der Kommission auf den endgültigen Arztbericht von Dr. H. anzuwenden war, galt er vermutlich ihrer Meinung nach auch für die vorläufige Version, so dass sie die wahrgenommene Vertraulichkeitspflicht nach Artikel 20 Absatz 4 durchaus für anwendbar erachten konnte. Wie jedoch bereits ausgeführt, hätte dies in der fraglichen Entscheidung, mit der der Zugang unter Verweis auf die Vertraulichkeitspflicht abgelehnt wurde, konkret erläutert werden müssen.
28. Ein zweiter untersuchungsbedürftiger Aspekt der Entscheidung des EDSB ist die Zulänglichkeit der Auskünfte über den Anwendungsbereich der Verpflichtung, die aus Artikel 20 Absatz 4 der Verordnung 45/2001 abgeleitet wurde.
29. Der betreffende Abschnitt der angefochtenen Entscheidung vom 30. Oktober 2006 stand unter der allgemeinen Überschrift „zwischen Ihnen und meiner Dienststelle ausgetauschte Unterlagen“ und besagte, dass „die meisten dieser Elemente vom Zugang ausgenommen wurden…“. Diese Angaben ließen nicht genau erkennen, welche Unterlagen nach Ansicht des EDSB unter die oben genannte Bestimmung fielen (bzw. generell darunter fallen). Vor allem ist nicht klar, ob der EDSB diese Bestimmung nur auf Dokumente bezog, deren Inhalt seinen Annahmen zufolge unter Artikel 20 Absatz 1 der Verordnung 45/2001 fiel. Unklar ist ferner, ob diese Bestimmung nach Ansicht des EDSB alle Dokumente erfasste, die - wie etwa seine Korrespondenz mit der Kommission über die gegen sie gerichtete Beschwerde des Beschwerdeführers – einfach nur mit der (angenommenen) Anwendung von Artikel 20 Absatz 1 der Verordnung 45/2001 in Zusammenhang standen. In seiner Stellungnahme zur vorliegenden Beschwerde gab der EDSB dazu mehr Auskünfte, indem er auf sein beigefügtes Schreiben an den Beschwerdeführer vom 28. Juli 2008 verwies. Darin hieß es, dass „der EDSB bei Prüfung des Falles nach Artikel 20 Absatz 4 nicht verpflichtet [ist], den Betroffenen über Teile der relevanten Information in Kenntnis zu setzen“. Diese Aussage gibt jedoch keinen Aufschluss über den Umfang der vom EDSB angeführten Vertraulichkeitspflicht, da es der Formulierung „der relevanten Informationen“ ganz offensichtlich an Konkretheit mangelt. In Anbetracht dessen lautet die Feststellung des Bürgerbeauftragten, dass der EDSB in seiner Antwort auf den Zugangsantrag des Beschwerdeführers auch in dieser Hinsicht keine ausreichend konkrete Begründung gab.
30. In der angefochtenen Entscheidung wurde auf Artikel 45 der Verordnung 45/2001 Bezug genommen, der die Pflicht des EDSB zur Wahrung des Berufsgeheimnisses begründet.[13] Die Berufung auf diese Bestimmung ist ebenfalls als unzureichend zu erachten, da sie nicht durch konkrete und spezifische Erläuterungen gestützt wurde.
31. In Anbetracht der in den Abschnitten 21 bis 30 dargelegten Sachverhalte und Feststellungen kann nicht davon ausgegangen werden, dass die hier untersuchte angefochtene Entscheidung den einschlägigen Vorschriften entsprach. Der Inhalt der angefochtenen Entscheidung deutet sogar darauf hin, dass der EDSB zum Zeitpunkt der Bearbeitung des Antrags des Beschwerdeführers offenbar nicht über eine klare und strukturierte Konzeption für die Behandlung von Anträgen auf Dokumentenzugang verfügte. Unter Berücksichtigung der Informationen und Meinungsäußerungen in den oben dargelegten Anmerkungen des Beschwerdeführers ist der Bürgerbeauftragte daher der Auffassung, dass die angemessenste Vorgehensweise darin besteht, den Fall mit einer weiteren Anmerkung abzuschließen.
C. Schlussfolgerungen
In Anbetracht der obigen Feststellungen vertritt der Bürgerbeauftragte die Auffassung, dass weitere Untersuchungen nicht erforderlich sind.
Dennoch hält der Bürgerbeauftragte die nachstehende weitere Anmerkung für angebracht. Entsprechend den Standardverfahren des Bürgerbeauftragten wird an den EDSB die Aufforderung ergehen, innerhalb von sechs Monaten zu dieser Anmerkung Stellung zu nehmen.
Der Beschwerdeführer und der EDSB werden von dieser Entscheidung in Kenntnis gesetzt werden.
WEITERE ANMERKUNG
Der Bürgerbeauftragte möchte darauf hinweisen, dass die Anforderung, die Verweigerung des Zugangs zu Dokumenten konkret und spezifisch zu begründen, nicht nur gewährleisten soll, dass der abgelehnte Antragsteller die Entscheidung besser versteht. Eine Begründung ist auch für die zuständigen Kontrollorgane wichtig, die mit einer Prüfung des Falles beauftragt werden könnten. In diesem Zusammenhang möchte der Bürgerbeauftragte hervorheben, dass er nur dann eine umfassende Untersuchung einleitet, wenn er sich von deren Rechtfertigung vergewissert hat. Eine solche Untersuchung wird erst durchgeführt, nachdem der Beschwerdeführer geeignete administrative Schritte bei dem betroffenen Organ oder der betroffenen Institution unternommen hat[14], und berücksichtigt folglich die bereits vorliegende Antwort des betroffenen Organs bzw. der betroffenen Institution auf die Streitfrage. In Fällen, die die Ablehnung eines Antrags auf Dokumentenzugang betreffen, wird in der Regel eine Untersuchung eingeleitet, wenn die angefochtene Entscheidung keine ausreichend konkrete und spezifische Begründung enthält.
P. Nikiforos DIAMANDOUROS
Geschehen in Straßburg am 15. Dezember 2009
[1] Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission, ABl. L 145, S. 43.
[2] Diese Feststellung traf der Bürgerbeauftragte in einer Entscheidung, die aus Gründen der Vertraulichkeit nicht veröffentlicht wurde.
[3] Siehe z. B. Urteil des Gerichts für den öffentlichen Dienst vom 13. Dezember 2006 in der Rechtssache F-17/05, Sequeira Carvalho gegen Kommission, Randnrn. 67-68 und 109.
[4] Verordnung (EG) Nr. 45/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2000 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft und zum freien Datenverkehr, ABl. L 8, S. 1.
[5] Beschluss Nr. 1247/2002/EG des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission vom 1. Juli 2002 über die Regelungen und allgemeinen Bedingungen für die Ausübung der Aufgaben des Europäischen Datenschutzbeauftragten, ABl. L 183 vom 12.7.2002, S. 1. Allerdings sei darauf hingewiesen, dass der EDSB dem fünften Erwägungsgrund dieses Beschlusses zufolge die Verordnung 1049/2001 anwenden sollte.
[6] Siehe Rechtssache T-36/04, API gegen Kommission, Urteil vom 12. September 2007, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 54 (und die darin angeführten Rechtssachen). Die allgemeine Form der Begründung für eine Zugangsverweigerung sowie ihre Kürze oder ihr stereotyper Charakter können nur dann ein Indiz dafür sein, dass keine konkrete Prüfung stattgefunden hat, wenn es objektiv möglich ist, die Gründe für die Verweigerung des Zugangs zu jedem einzelnen Dokument anzugeben, ohne den Inhalt dieses Dokuments oder eines wesentlichen Bestandteils davon bekannt zu machen und damit die wesentliche Zweckbestimmung der Ausnahme zu verfehlen. Siehe auch Randnr. 67 dieses Urteils.
[7] Siehe Rechtssache T-36/04, a. a. O., Randnr. 56.
[8] Siehe verbundene Rechtssachen T-110/03, T-150/03 und T-405/03, Sison gegen Rat, Slg. 2005, II-01429, Randnr. 59.
[9] Die Berufung auf Bestimmungen der Verordnung 45/2001 wird weiter unten geprüft.
[10] Siehe Sison gegen Rat, a. a. O., Randnr. 60.
[11] „Artikel 20, ‘Ausnahmen und Einschränkungen‘, 1. Die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft können die Anwendung von Artikel 4 Absatz 1, Artikel 11, Artikel 12 Absatz 1, Artikel 13 bis 17 und Artikel 37 Absatz 1 insoweit einschränken, als eine solche Einschränkung notwendig ist für … (c) den Schutz der betroffenen Person oder der Rechte und Freiheiten anderer Personen;“
[12] Hierbei ist vor allem Beschwerde 723/2006/(WP)PB zu nennen.
[13] „Der Europäische Datenschutzbeauftragte und sein Personal sind während ihrer Amtszeit und auch nach deren Beendigung verpflichtet, über alle vertraulichen Informationen, die ihnen bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben bekannt geworden sind, Verschwiegenheit zu bewahren.“
[14] Siehe Artikel 2 Absatz 4 des Statuts des Bürgerbeauftragten.
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