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Entscheidung des Europäischen Bürgerbeauftragten zur Beschwerde 760/2004/GG gegen die Europäische Kommission


Straßburg, den 14. Oktober 2004

Sehr geehrte Frau H.,

am 26. Juni 2003 haben Sie beim Europäischen Bürgerbeauftragten Beschwerde gegen die Europäische Kommission eingelegt; diese betraf die Entscheidung der Kommission, gewisse Ausgaben von der gemeinschaftlichen Finanzierung auszuschließen. Diese Beschwerde wurde unter der Referenznummer 1219/2003/GG registriert. Am 23. Juli 2003 haben Sie mir auf mein Ersuchen hin weitere Informationen übermittelt.

Am 25. Juli 2003 leitete ich die Beschwerde an den Präsidenten der Europäischen Kommission weiter. Die Kommission ließ mir ihre Stellungnahme am 17. November 2003 zukommen. Ich leitete diese am 26. November 2003 mit der Aufforderung an Sie weiter, mir Ihre Anmerkungen dazu mitzuteilen.

In einem Schreiben vom 28. November 2003 informierten Sie mich darüber, dass die Angelegenheit als erledigt betrachtet werden solle. In meinem Schreiben vom 12. Dezember 2003 forderte ich Sie erneut auf, mir Ihre Anmerkungen zu der Stellungnahme der Kommission zu übermitteln und räumte Ihnen hierzu eine Fristverlängerung ein. Dabei ersuchte ich Sie, bis zum 31. Dezember 2003 Kontakt mit meinem Büro aufzunehmen, sofern Sie wünschen, dieses Angebot anzunehmen. Eine solche Kontaktaufnahme erfolgte jedoch nicht.

Am 2. Februar 2004 schloss ich die Untersuchungen in der Beschwerdesache 1219/2003/GG mit einer Entscheidung ab, in der ich feststellte, dass die Beschwerde von Ihrer Seite fallen gelassen worden war.

Am 11. März 2004 kam Ihr Pressereferent nach Straßburg, um diese Angelegenheit mit meinem Büro zu besprechen. Er informierte mein Büro darüber, dass Sie wünschten, die Prüfung dieser Beschwerde wieder aufzurollen.

Ich beschloss daher, die Beschwerde unter der obengenannten Nummer erneut zu registrieren und die Prüfung fortzusetzen. Aus Gründen der Verfahrensökonomie hielt ich es für angebracht, die Prüfung da aufzunehmen, wo sie zuvor unterbrochen worden war, d.h. nach dem Eingang der Stellungnahme der Kommission und nachdem ich Ihnen die Gelegenheit gegeben hatte, Ihre Anmerkungen hierzu zu übermitteln.

Um in voller Sachkenntnis über die Beschwerde entscheiden zu können, hielt ich es für notwendig, weitere Informationen über den Zuschussantrag, der Anlass für den Disput gegeben hatte, und über die Gespräche zwischen der Kommission und den deutschen Behörden betreffend diesen Disput einzuholen. Da mich Ihr Pressereferent darüber informiert hat, dass das zuständige Ministerium in Stuttgart bereit sei, die Dokumente auf Anfrage vorzulegen, richtete ich am 7. April 2004 ein Schreiben an dieses Ministerium, in dem ich um eine Kopie dieser Dokumente ersuchte. Sie wurden dementsprechend am gleichen Tag über diesen Vorgang unterrichtet.

Am 25. Mai 2004 erhielt ich vom Ministerium in Stuttgart eine Kopie aller sachdienlichen Dokumente.

Mit diesem Schreiben möchte ich Sie nun von den Ergebnissen der durchgeführten Untersuchungen in Kenntnis setzen.


DIE BESCHWERDE

Einleitende Anmerkungen

Die Beschwerdeführerin hatte zuerst im Juni 2003 Beschwerde beim Bürgerbeauftragten eingelegt (Beschwerde 1219/2003/GG). Diese Beschwerde war zur Stellungnahme an die Kommission übermittelt worden; die Stellungnahme der Kommission war dann der Beschwerdeführerin mit der Aufforderung zugesandt worden, ihre Anmerkungen hierzu zu übermitteln. Die Antwort der Beschwerdeführerin gab dem Bürgerbeauftragten Anlass zu der Annahme, dass die Beschwerdeführerin wünschte, diese Angelegenheit als erledigt zu betrachten. Um Missverständnisse zu vermeiden, richtete der Bürgerbeauftragte ein weiteres Schreiben an die Beschwerdeführerin und forderte sie erneut auf, ihre Anmerkungen zu der Stellungnahme zu übermitteln. Da auf dieses Schreiben keine Antwort beim Bürgerbeauftragten einging, schloss dieser die Prüfung der Beschwerde mit seiner Entscheidung vom 2. Februar 2004(1) ab.

Am 11. März 2004 wurde der Bürgerbeauftragte darüber informiert, dass die Beschwerdeführerin wünsche, dass die Prüfung ihrer Beschwerde wieder aufgenommen wird.

Daher entschied der Bürgerbeauftragte, die Beschwerde erneut unter einer getrennten Referenznummer (760/204/GG) zu registrieren und die Untersuchung fortzusetzen. Aus Gründen der Verfahrensökonomie hielt es der Bürgerbeauftragte für sinnvoll, die Prüfung an der Stelle wiederaufzunehmen, an der sie unterbrochen worden war, d.h. also nach dem Eingang der Stellungnahme der Kommission und nachdem er der Beschwerdeführerin die Gelegenheit gegeben hatte, ihre Anmerkungen hierzu zu übermitteln.

Die Beschwerde

Die Verordnung (EWG) Nr. 2078/92 des Rates vom 30. Juni 1992 für umweltgerechte und den natürlichen Lebensraum schützende landwirtschaftliche Produktionsverfahren (ABl. 1992 Nr. L 215, S. 85) sah eine Beihilferegelung zur Förderung u. a. der Extensivierung der landwirtschaftlichen Produktion vor. Danach konnten Landwirte beispielsweise einen Zuschuss erhalten, wenn die „Großvieheinheiten“ (GVE) je Hektar eine bestimmte Zahl nicht überschritten (1,4). Zur Berechnung der entsprechenden Zahl bestimmte die Verordnung, dass „Equiden von mehr als 6 Monaten“ als 1,0 GVE gelten sollten. Mutterschafe und Ziegen zählten als 0,15 GVE.

Ein Landwirt aus dem Raum Karlsruhe beantragte einen Zuschuss im Rahmen der Verordnung. Seine Wirtschaftsfläche betrug 3 Hektar und er besaß 4 Pferde und einen Zwergesel. Der Landwirt ging davon aus, dass der Esel etwa die Größe eines Mutterschafes hatte. Daher berechnete er insgesamt 4,15 GVE, also einen Durchschnitt von GVE je Hektar, der knapp unter dem geltenden Grenzwert von 1,4 GVE/ha lag. Die zuständige Behörde in diesem Gebiet (das Landwirtschaftsamt Wildberg) prüfte die Angelegenheit und kam zu dem Schluss, dass 0,16 GVE für den Zwergesel angemessen seien. Damit wurde der entsprechende Grenzwert noch eingehalten.

Eine anschließende Überprüfung durch die Europäische Kommission ergab, dass dieser Ansatz nicht korrekt sei, da der Esel zu den „Equiden“ gehöre, für die eine GVE von 1,0 zu berechnen war. Deshalb wurde der an den Landwirt gezahlte Zuschuss zurückgefordert. Der Beschwerdeführerin zufolge handelte es sich dabei um einen Betrag von 240 DM.

Nach Angaben der Beschwerdeführerin (der Präsidentin des Regierungspräsidiums Karlsruhe) führt die Kommission Stichprobenkontrollen bei von den Mitgliedstaaten gewährten Agrarsubventionen durch. So werden beispielsweise von 100 000 Anträgen rund 400 überprüft. Wenn sich herausstellt, dass 40 der 400 kontrollierten Anträge nicht korrekt gewährt wurden, geht die Kommission davon aus, dass 10 % (40/400) der Gesamtsubvention nicht korrekt ausgezahlt wurden.

Nach Aussage der Beschwerdeführerin führte die Kommission im vorliegenden Fall nur eine Kontrolle durch, d. h. die bei dem oben erwähnten Landwirt. Die kontrollierten Anträge (d. h. einer) erwiesen sich damit zu 100 % als nicht korrekt bearbeitet. Die Beschwerdeführerin trägt vor, die Kommission habe daraus den Schluss gezogen, dass die gesamte dem Land Baden-Württemberg gewährte Beihilfe (927 401 €) zum darauffolgenden Jahr eingezogen werden sollte. Mehrere Einsprüche seien erfolglos geblieben.

In ihrer Beschwerde vertrat die Beschwerdeführerin im Wesentlichen den Standpunkt, dass es ungerecht und unverhältnismäßig sei, das Land wegen eines einzigen Fehlers bei einem einzigen Antrag mit fast 1 Mio. € zu bestrafen.

DIE UNTERSUCHUNG

Die Stellungnahme der Kommission

In ihrer Stellungnahme führte die Kommission Folgendes aus:

Die Beschwerde betreffe den Ausschluss von Ausgaben Deutschlands in Höhe von 927 401 € von der gemeinschaftlichen Finanzierung, der durch die Entscheidung 2003/364/EG der Kommission vom 15. Mai 2003 zum Ausschluss bestimmter von den Mitgliedstaaten zulasten des Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft (EAGFL), Abteilung Garantie, getätigter Ausgaben von der gemeinschaftlichen Finanzierung(2) festgelegt worden war. Die Entscheidung, diese Summe von der gemeinschaftlichen Finanzierung auszuschließen, sei inzwischen endgültig, da Deutschland als einzige Partei, die sie hätte anfechten können, eine Klage vor dem Gerichtshof nicht für erforderlich gehalten hatte.

Hinsichtlich der inhaltlichen Aspekte des Falles verwies die Kommission auf den Abschlussbericht, der am 22. Oktober 2002 von der Schlichtungsstelle angenommen und am 24. Oktober 2002 an die deutschen Behörden übermittelt worden war. Die Einrichtung der Schlichtungsstelle geht auf die Entscheidung 94/442/EG der Kommission vom 1. Juli 1994 zur Schaffung eines Schlichtungsverfahrens im Rahmen des Rechnungsabschlusses des EAGFL – Abteilung Garantie(3) zurück. Aufgabe dieser Stelle sei es, im Falle von Meinungsverschiedenheiten bei Entscheidungen über die Verweigerung einer gemeinschaftlichen Finanzierung im Rahmen des EAGFL – Abteilung Garantie zwischen der Kommission und einem Mitgliedstaat zu vermitteln.

Aus diesem Bericht geht hervor, dass die deutschen Behörden den Fehler, der in dem in der vorliegenden Beschwerde angeführten Einzelfall gemacht wurde, als „systematisch“ ansahen, während die Kommission der Auffassung war, dass es sich um einen „zufälligen“ Fehler handelte. Bei einem zufälligen Fehler in einer Stichprobe wird angenommen, dass er sich proportional bei allen Transaktionen fortpflanzt, aus denen die Stichprobe entnommen wurde. Im Gegensatz dazu kann ein systematischer Fehler, dessen Gründe sich ermitteln lassen, isoliert bewertet werden, da angenommen wird, dass er nur die von diesem Fehler betroffenen Transaktionen beeinflusst.

Dem Bericht der Schlichtungsstelle zufolge hatten die deutschen Behörden bei der Anhörung entgegen ihren ursprünglichen Erklärungen eingeräumt, dass der Fehler kein Einzelfall war, sondern einige ähnliche Fälle entdeckt worden waren. Nach Ansicht der Kommission bestätigte dies den „zufälligen“ Charakter des Fehlers.

Die Schlichtungsstelle kam zu dem Schluss, dass sie keinen Kompromiss zwischen den Standpunkten der beiden Parteien herbeiführen könne.

In ihrem zusammenfassenden Bericht vom 28. Februar 2003 zu den Ergebnissen der durchgeführten Kontrollen hielt die Kommission an ihrer Auffassung fest.

Die Kommission vertrat die Ansicht, dass ihre Vorgehensweise richtig gewesen sei, den Grundsätzen für die Überprüfungen entsprochen habe und ordnungsgemäß begründet worden sei. Sie betonte, dass die Schlichtungsstelle keine Unregelmäßigkeiten in Bezug auf ihre Vorgehensweise festgestellt hatte.

Die Kommission fügte hinzu, dass sich der Rechnungsabschluss zwangsläufig auf ein zurückliegendes, abgeschlossenes Haushaltsjahr beziehe. Im vorliegenden Fall gehe es um Ausgaben, die im Jahre 2000 getätigt worden waren. Die Finanzkorrektur beziehe sich daher auf die Vergangenheit, auch wenn sie erst später erfolgte. Der Rechnungsabschluss habe keine automatischen Rückwirkungen auf die gemeinschaftliche Finanzierung in den darauffolgenden Haushaltsjahren. Die in diesen darauffolgenden Jahren getätigten Ausgaben würden ihrerseits im Nachhinein überprüft.

Die Anmerkungen der Beschwerdeführerin

Die Stellungnahme der Kommission wurde der Beschwerdeführerin übermittelt, damit sie sich zur Stellungnahme der Kommission äußern könnte. In einem Schreiben vom 28. November 2003 stellte die Beschwerdeführerin fest, dass sie nicht in Frage stelle, dass die Kommission rein formal korrekt gehandelt habe, machte aber keine weiteren Anmerkungen zum Inhalt der Stellungnahme der Kommission.

Weitere Untersuchungen

Nach Wiederaufnahme der Untersuchungen hielt es der Bürgerbeauftragte für notwendig, weitere Informationen über den Zuschussantrag, der Anlass für den Disput gegeben hatte, und über die Gespräche zwischen der Kommission und den deutschen Behörden betreffend diesen Disput einzuholen. Da der Pressereferent der Beschwerdeführerin den Bürgerbeauftragten darüber informiert hatte, dass das zuständige deutsche Ministerium, nämlich das Ministerium für Ernährung und Ländlichen Raum des Landes Baden-Württemberg, bereit sei, die fraglichen Dokumente auf Anfrage vorzulegen, wandte sich der Bürgerbeauftragte am 7. April 2004 schriftlich an das Ministerium, und ersuchte um Vorlage der Kopien der entsprechenden Dokumente.

Am 25. Mai 2004 sandte das Ministerium Kopien aller relevanten Dokumente an den Bürgerbeauftragten.

Die dem Bürgerbeauftragten vorgelegten Dokumente umfassen eine Kopie des Schreibens vom 26. Februar 2004, in dem das Ministerium einem Bürger antwortete, der seine Unzufriedenheit über die Entscheidung der Kommission in der Sache des „Zwergesels“ zum Ausdruck gebracht hatte. In diesem Schreiben erklärt das Ministerium, dass der Abzug, der durch den Fehler betreffend das besagte Tier entstanden sei, sich auf 858 646 DM belaufen hatte. Dieser Fehler, sowie andere kleinere Fehler (die sonst ohne Konsequenzen geblieben wären) hätten dazu geführt, dass von der Kommission insgesamt Ausgaben in Höhe von 927 401 Euro bzw. 1 813 839 DM nicht anerkannt worden seien. Das Ministerium stellte fest, dass die Möglichkeit der Anfechtung der Entscheidung der Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof erwogen worden sei. Es wies jedoch darauf hin, dass die Kommission gemäß dem feststehenden Fallrecht des Gerichtshofs lediglich hätte nachweisen müssen, dass berechtigte Zweifel an der Korrektheit der von nationalen Behörden durchgeführten Kontrollen bestanden. Der betreffende Mitgliedstaat muss dann einen detaillierten Nachweis erbringen, um die von der Kommission festgestellten Mängel zu widerlegen. Das Ministerium wies darauf hin, dass dies in dem vorliegenden Falle fast unmöglich sei, da die Behörden des Landes 54 000 Anträge im Rahmen des einschlägigen Programms zu bearbeiten gehabt hätten. Es fügte ferner hinzu, dass daher beschlossen worden sei, nicht gegen die Entscheidung der Kommission vorzugehen. Das Ministerium wies des weiteren aber darauf hin, dass es eine Eingabe beim Bundesrat gemacht habe, mit der Bitte, die Regierung möge versuchen, die Kommission davon zu überzeugen, dass die entsprechenden Sanktionen dem Ausmaß der Irrtümer bzw. der unrechtmäßig gezahlten Beihilfen angemessen sein sollten.

DIE ENTSCHEIDUNG

1 Angeblich ungerechte Entscheidung betreffend Rechnungsabschluss

1.1 Durch ihre Entscheidung 2003/364/EG vom 15. Mai 2003 zum Ausschluss bestimmter von den Mitgliedstaaten zulasten des Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft (EAGFL), Abteilung Garantie, getätigter Ausgaben von der gemeinschaftlichen Finanzierung(4) beschloss die Europäische Kommission, Ausgaben in Höhe von 927 401 €, die Deutschland im Jahre 2000 getätigt hatte, von der gemeinschaftlichen Finanzierung auszuschließen. In ihrer Beschwerde an den Bürgerbeauftragten trug die Beschwerdeführerin (die Präsidentin des Regierungspräsidium Karlsruhe) vor, dass diese Entscheidung ungerecht und unverhältnismäßig gewesen sei, da sie auf einem einzigen Fall beruhe, bei dem es um einen Betrag von 240 DM ging.

1.2 In ihrer Stellungnahme erläuterte die Kommission die Gründe für ihre Entscheidung und äußerte die Auffassung, dass ihre Vorgehensweise richtig gewesen sei, den Grundsätzen für die Überprüfungen entsprochen habe und ordnungsgemäß begründet worden sei.

1.3 Der Bürgerbeauftragte stellt fest, dass der Streitfall, der Anlass zu der Entscheidung der Kommission gegeben hatte, die Bewilligung eines Zuschusses gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 2078/92 vom 30. Juni 1992 für umweltgerechte und den natürlichen Lebensraum schützende landwirtschaftliche Produktionsverfahren (ABl. 1992 Nr. L 215, S. 85) betraf. Diese Verordnung sah eine Beihilferegelung zur Förderung u.a. der Extensivierung der landwirtschaftlichen Produktion vor. Danach konnten Landwirte einen Zuschuss erhalten, wenn die „Vieheinheiten“ (GVE) je ha eine bestimmte Zahl nicht überschritten (1,4). Zur Berechnung der entsprechenden Zahl bestimmte die Verordnung, dass „Equiden von mehr als 6 Monaten“ als 1,0 GVE gelten sollten. Mutterschafe und Ziegen zählten als 0,15 GVE. Ein Landwirt aus dem Raum Karlsruhe beantragte einen Zuschuss im Rahmen dieser Verordnung. Seine Wirtschaftsfläche betrug 3 ha und er besaß vier Pferde und einen Zwergesel. Der Landwirt ging davon aus, dass der Esel etwa die Größe eines Mutterschafes hatte. Daher berechnete er insgesamt 4,15 GVE, also einen Durchschnitt von GVE je ha, der knapp unter dem geltenden Grenzwert von 1,4 GVE pro ha lag. Die zuständige Behörde in diesem Gebiet, das Landwirtschaftsamt Wildberg, prüfte die Angelegenheit und kam zu dem Schluss, dass 0,16 GVE für den Zwergesel angemessen seien. Damit wurde der entsprechende Grenzwert noch eingehalten. Der Fehler wurde bei einer anschließenden Überprüfung entdeckt, und der Landwirt wurde aufgefordert, den zu Unrecht erhaltenen Zuschuss zurückzuzahlen (240 DM). Die Kommission war jedoch der Auffassung, dass es sich hier um einen „zufälligen“ Fehler handelte. Bei einem zufälligen Fehler in einer Stichprobe wird angenommen, dass er sich proportional bei allen Transaktionen fortpflanzt, aus denen die Stichprobe entnommen wurde.

1.4 Der Bürgerbeauftragte ist der Auffassung, dass die Entscheidung der Kommission bei erster Betrachtung in der Tat nur schwer nachzuvollziehen ist. Dass ein Fehler betreffend einen relativ trivialen Geldbetrag dazu führen kann, dass ein ganz beträchtlicher Betrag nicht bewilligt wird (unabhängig, ob man sich hierbei auf den Gesamtbetrag von 927 401 Euro oder den Betrag von 858 646 DM bezieht, der direkt mit dem betreffenden Fehler in Verbindung steht), ist tatsächlich überraschend, zumal wohl angenommen werden darf, dass der Fehler betreffend den Zwergesel höchstwahrscheinlich der einzige seiner Art war.

1.5 Der Bürgerbeauftragte stellt jedoch fest, dass die Kommission erklärt hat, dass sie diese Angelegenheit unter einem anderen Gesichtspunkt betrachtet habe. Aus ihrer Sichtweise hatten die nationalen Behörden einen Fehler begangen. Dieser Fehler war entdeckt worden, als eine Reihe von Stichproben bezüglich der betreffenden Anträge gemacht wurden. Daher war die Kommission aus ihrer Sicht gehalten, anzunehmen, dass noch weitere Fehler vorgekommen waren. Nach Ansicht der Kommission war nicht so sehr die Tatsache von Bedeutung, dass es sich bei dem vorliegenden Fall um einen Zwergesel gehandelt habe, sondern vielmehr die Tatsache, dass überhaupt ein Fehler passiert sei.

1.6 Der Bürgerbeauftragte konstatiert, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshof die Kommission zum Nachweis eines Verstoßes gegen die Vorschriften der Gemeinsamen Agrarmarktorganisation die Unzulänglichkeit der von den nationalen Verwaltungen durchgeführten Kontrollen oder die Unrichtigkeit der von diesen mitgeteilten Zahlen nicht umfassend darlegen muss, sondern nur glaubhaft zu machen hat, dass an diesen Kontrollen oder diesen Zahlen ernsthafte und berechtigte Zweifel bestehen. Diese Erleichterung der Beweislast der Kommission beruht darauf, dass der Mitgliedstaat am besten in der Lage ist, die für den Rechnungsabschluss des EAGFL erforderlichen Angaben beizubringen und nachzuprüfen, so dass es also ihm obliegt, die Richtigkeit seiner Kontrollen und seiner Zahlen eingehend und vollständig nachzuweisen und so gegebenenfalls die Fehlerhaftigkeit der Behauptung der Kommission darzutun (vgl. u.a. Urteile in der Rechtssache C-278/98, Niederlande/Kommission, Slg. 201, I-1501, Randnr. 39 bis 41 und Rechtssache C-329/00, Spanien/Kommission, Slg. 2003, I-6103, Randnr. 68).

1.7 Der Bürgerbeauftragte stellt des weiteren fest, dass die deutschen Behörden im Verlauf der Gespräche mit der Kommission (während der Anhörung bei der Schlichtungsstelle) entgegen ihren ursprünglichen Erklärungen eingeräumt haben, dass der Fehler kein Einzelfall war, sondern dass einige ähnliche Fälle entdeckt worden seien (die allerdings nicht speziell Zwergesel betrafen). Die Beschwerdeführerin hatte in ihren Anmerkungen zu der Stellungnahme der Kommission bereits eingeräumt, dass die Kommission formal korrekt vorgegangen sei.

1.8 Unter diesen Umständen stellt der Ansatz der Kommission in diesem Fall nach Auffassung des Bürgerbeauftragten keinen Missstand in der Verwaltungstätigkeit dar.

1.9 Der Bürgerbeauftragte hält es für nützlich, darauf hinzuweisen, dass das Problem, das Anlass zu diesem Streitfall gegeben hat, aller Wahrscheinlichkeit nach hätte vermieden werden können, wenn in den einschlägigen Vorschriften berücksichtigt worden wäre, dass Antragsteller für diesen Zuschuss möglicherweise auch Zwergesel besitzen könnten. Er geht deswegen davon aus, dass die Kommission diese Tatsache bei künftigen Vorschlägen für Rechtsvorschriften in diesem Bereich berücksichtigen wird.

2 Schlussfolgerung

Aufgrund seiner Prüfung dieser Beschwerde ist der Bürgerbeauftragte zu der Auffassung gelangt, dass kein Missstand in der Verwaltungstätigkeit seitens der Kommission in dieser Angelegenheit vor. Der Bürgerbeauftragte schließt diesen Fall daher ab.

Der Präsident der Europäischen Kommission wird ebenfalls über diese Entscheidung in Kenntnis gesetzt werden.

Mit freundlichen Grüßen

 

Professor Dr. P. Nikiforos DIAMANDOUROS


(1) Die Entscheidung ist auf der Website des Bürgerbeauftragten einzusehen (http://www.ombudsman.europa.eu/)

(2) ABl. 2003 Nr. L 124, S. 45.

(3) ABl. 1994 Nr. L 182, S. 45.

(4) ABl. 2003 Nr. L 124, S. 45.