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Entscheidung des Europäischen Bürgerbeauftragten zur Beschwerde 2189/2003/(ADB)PB gegen den Rat der Europäischen Union


Straßburg, den 20. Oktober 2004

Sehr geehrter Herr M.,

am 11. November 2003 legten Sie beim Europäischen Bürgerbeauftragten Beschwerde ein gegen eine Weigerung des Rates der Europäischen Union, Zugang zum Schlussbericht der Gruppe „Extremer Fundamentalismus und Terrorismus“ zu gewähren.

Am 12. Dezember 2003 habe ich die Beschwerde an den Generalsekretär des Rates weitergeleitet. Der Rat übermittelte seine Stellungnahme am 23. Februar 2004, und ich leitete sie an Sie weiter, zusammen mit einer Aufforderung, dazu Bemerkungen vorzubringen, falls Sie dies wünschen. Mit Schreiben vom 16. April 2004 teilten Sie mir mit, Sie wollten keine Bemerkungen vorbringen.

Mit diesem Schreiben möchte ich Sie über die Ergebnisse der durchgeführten Untersuchung in Kenntnis setzen.

Dafür, dass es so lange gedauert hat, Ihre Beschwerde zu bearbeiten, möchte ich mich entschuldigen.


DIE BESCHWERDE

Am 3. September 2003 übermittelte der Beschwerdeführer einen Erstantrag auf Zugang zum Schlussbericht der Gruppe „Extremer Fundamentalismus und Terrorismus“. Der als „EU-vertraulich“ eingestufte Bericht wurde von der Gruppe „Extremer Fundamentalismus und Terrorismus“ verfasst, die sich aus persönlichen Vertretern von Außenministern zusammensetzt, die vom dänischen Ratsvorsitz im Anschluss an Erörterungen im Rat „Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen“ am 24. Oktober 2002 beauftragt wurden. In dem Bericht wurden extremer Fundamentalismus und Terrorismus analysiert. Er enthielt eine Reihe von Empfehlungen.

In seiner Antwort, die das Datum des 9. Oktober 2003 trägt, weigerte sich das Generalsekretariat des Rates unter Berufung auf Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1049/2001(1), das vorstehend genannte Dokument freizugeben, da seine Verbreitung die grundlegenden Interessen der Europäischen Union oder eines oder mehrerer Mitgliedstaaten im Rahmen der öffentlichen Sicherheit mit Blick auf den Kampf gegen Terroristen und ihre Organisationen beeinträchtigen könne.

Als Antwort auf einen vom Beschwerdeführer gestellten Zweitantrag bestätigte der Rat am 4. November 2003 die Entscheidung seines Generalsekretariats und verweigerte die Freigabe des Dokuments auf der Grundlage der Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a und 4 Absatz 3 der Verordnung Nr. 1049/2001. Nach Auffassung des Rates könne eine Verbreitung der in dem Bericht enthaltenen Informationen die Position der Europäischen Union in ihren internationalen Beziehungen schwächen und ihren Entscheidungsprozess zu dieser Frage ernstlich beeinträchtigen.

In seiner Beschwerde an den Bürgerbeauftragten erklärte der Beschwerdeführer, die Entscheidung des Rates stelle einen Verstoß gegen die Verordnung Nr. 1049/2001 dar. Er brachte folgende Argumente vor:

1. Der Bericht könne keine geheimen Informationen enthalten, da die Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung von den einzelstaatlichen Gesetzgebern beschlossen werden müssten und somit in den Mitgliedstaaten öffentlich darüber debattiert werde.

2. Das Argument des Rates, die im Bericht enthaltenen Empfehlungen seien nicht abgeschlossen, rechtfertige nicht die Verweigerung des Zugangs zu dem gesamten Dokument. Ein teilweiser Zugang könne gewährt werden, indem man die Empfehlungen lösche.

DIE UNTERSUCHUNG

Die Stellungnahme des Rates

In seiner Stellungnahme zu der Beschwerde stellte der Rat fest, er stimme grundsätzlich der Auffassung zu, dass Dokumente, die sich auf laufende Debatten beziehen, einer möglichst breiten Öffentlichkeit zugänglich sein sollten, sofern ihre Freigabe den Schutz der in Artikel 4 der Verordnung Nr. 1049/2001 aufgelisteten Interessen nicht beeinträchtige. Der Rat ging jedoch davon aus, dass das fragliche Dokument eine ausführliche Analyse und eine Bewertung des weltweiten extremen Fundamentalismus und Terrorismus einschließlich politisch sensibler Einschätzungen über eine Vielzahl von Drittstaaten enthalte und somit seine Verbreitung in den Beziehungen der Europäischen Union zu jenen Staaten voraussichtlich Komplikationen hervorrufen würde.

Der Rat stellte fest, der Bericht enthalte Empfehlungen zur Verstärkung bestehender Maßnahmen zur Verhinderung und/oder Bekämpfung rechtswidriger und gewalttätiger extremistischer Organisationen. Deren Verbreitung würde nach Ansicht des Rates potenziellen Attentätern vergleichende Beurteilungen der Effizienz vorhandener Strukturen in den betreffenden Mitgliedstaaten bzw. Drittstaaten liefern. Hierdurch könnten die gemeinsamen Anstrengungen, konstruktive Lösungen für die Kernaspekte dieser Herausforderungen an die internationale Gemeinschaft zu finden, ernstlich beeinträchtigen. Der Rat gehe daher davon aus, dass die Ausnahmeregel von Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a Spiegelstrich 3 (Schutz des öffentlichen Interesses im Hinblick auf die internationalen Beziehungen) zutreffe.

Der Rat bezog sich auch auf seine Tagung in Thessaloniki am 19./20. Juni 2003, wo der Europäische Rat den Bericht zur Kenntnis genommen und erklärt hatte, dieser werde weiter erörtert, um aus den Empfehlungen des Berichts entsprechende Folgerungen zu ziehen. Die Diskussionen über das Dokument in den zuständigen Gruppen des Rates befanden sich zur Zeit dieser Untersuchung noch in einem Anfangsstadium. Der Rat vertrat die Auffassung, eine Freigabe des Dokuments würde die Mitgliedstaaten in ihrer Fähigkeit, ihre Verhandlungspositionen anzupassen, einschränken und somit den Entscheidungsprozess des Rates ernstlich beeinträchtigen. Daher ging der Rat davon aus, dass auch die Ausnahmebestimmung von Artikel 4 Absatz 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 zutreffe.

Ferner erklärte der Rat, er habe geprüft, ob gemäß Artikel 4 Absatz 6 der Verordnung ein teilweiser Zugang zu dem Dokument gewährt werden könne. In dieser Hinsicht seien die Analysen und Empfehlungen im Bericht als einheitliches, unteilbares Arbeitsdokument zu betrachten. Daraus zog der Rat den Schluss, dass die genannten Ausnahmebestimmungen das gesamte Dokument beträfen.

Die Bemerkungen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer teilte dem Bürgerbeauftragten mit, er beabsichtige nicht, Bemerkungen vorzubringen.

DIE ENTSCHEIDUNG

1 Angeblicher Verstoß gegen Verordnung Nr. 1049/2001

1.1 Der Beschwerdeführer behauptete, die Antwort des Rates vom 4. November 2003 auf seinen Zweitantrag auf Zugang zum Schlussbericht der Gruppe „Extremer Fundamentalismus und Terrorismus“ stelle einen Verstoß gegen die Verordnung Nr. 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission dar. Der Rat hatte den Zugang auf der Grundlage der in Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a Spiegelstrich 3 und Artikel 4 Absatz 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 enthaltenen Ausnahmebestimmungen verweigert, weil nach Auffassung des Rates eine Verbreitung der in dem Bericht enthaltenen Informationen die Position der Europäischen Union in ihren internationalen Beziehungen schwächen und den Entscheidungsprozess des Rates zu dieser Frage ernstlich beeinträchtigen könne.

Der Beschwerdeführer argumentierte wie folgt:

1. Der Bericht könne keine geheimen Informationen enthalten, da die Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung von den einzelstaatlichen Gesetzgebern beschlossen werden müssten und somit in den Mitgliedstaaten öffentlich darüber debattiert werde.

2. Das Argument des Rates, die im Bericht enthaltenen Empfehlungen seien nicht abgeschlossen, rechtfertige nicht die Verweigerung des Zugangs zu dem gesamten Dokument. Ein teilweiser Zugang könne gewährt werden, indem man die Empfehlungen lösche.

1.2 In seiner Stellungnahme bestätigte der Rat seine Antwort vom 4. November 2003 auf den Zweitantrag des Beschwerdeführers. Ferner stellte der Rat fest, er habe geprüft, ob gemäß Artikel 4 Absatz 6 der Verordnung ein teilweiser Zugang zu dem Dokument gewährt werden könne. Diesbezüglich seien die Analysen und Empfehlungen im Bericht als einheitliches, unteilbares Arbeitsdokument zu betrachten. Daraus zog der Rat den Schluss, dass die genannten Ausnahmebestimmungen das gesamte Dokument beträfen.

1.3 Der Bürgerbeauftragte merkt an, dass eine Verweigerung des Zugangs unter Berufung auf eine der in der Verordnung Nr. 1049/2001 enthaltenen Ausnahmebestimmungen stichhaltig und spezifisch begründet werden muss.

1.4 Bezüglich der Ausnahmebestimmung in Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a Spiegelstrich 3 hat der Rat erläutert, dass der Bericht eine ausführliche Analyse und eine Bewertung des weltweiten extremen Fundamentalismus und Terrorismus einschließlich politisch sensibler Einschätzungen über eine Vielzahl von Drittstaaten enthalte. Somit würde nach seiner Auffassung eine Verbreitung voraussichtlich Komplikationen in den Beziehungen der Europäischen Union zu jenen Staaten hervorrufen. Ferner erläuterte der Rat, auf die im Bericht enthaltene Analyse folgten Empfehlungen zur Verstärkung bestehender Maßnahmen zur Verhinderung und/oder Bekämpfung rechtswidriger und gewalttätiger extremistischer Organisationen. Deren Verbreitung würde nach seiner Ansicht potenziellen Attentätern vergleichende Beurteilungen der Effizienz vorhandener Strukturen in den betreffenden Mitgliedstaaten bzw. Drittstaaten liefern. Hierdurch könnten die gemeinsamen Anstrengungen, konstruktive Lösungen für die Kernaspekte dieser Herausforderungen an die internationale Gemeinschaft zu finden, ernstlich beeinträchtigt werden.

Hinsichtlich der Ausnahmebestimmung in Artikel 4 Absatz 3 hat der Rat erklärt, der Europäische Rat habe beschlossen, den Bericht weiter zu erörtern, um aus den Empfehlungen des Berichts entsprechende Folgerungen zu ziehen. Die Diskussionen über das Dokument in den zuständigen Gruppen des Rates befänden sich zur Zeit dieser Untersuchung noch in einem Anfangsstadium. Der Rat vertritt die Auffassung, eine Freigabe des Dokuments würde die Mitgliedstaaten in ihrer Fähigkeit, ihre Verhandlungspositionen anzupassen, einschränken und dadurch den Entscheidungsprozess des Rates ernstlich beeinträchtigen.

1.5 Der Bürgerbeauftragte gelangt zu der Auffassung, dass die vom Rat vorgebrachten Gründe im Rahmen der Verordnung Nr. 1049/2001 stichhaltig und in ausreichendem Maße spezifisch sind.

1.6 Was die Möglichkeit anbelangt, im Sinne von Artikel 4 Absatz 6 der Verordnung Nr. 1049/2001 teilweisen Zugang zu gewähren, hat der Rat festgestellt, die im Bericht enthaltenen Analysen und Empfehlungen seien als einheitliches, unteilbares Arbeitsdokument zu betrachten und die genannten Ausnahmebestimmungen beträfen das gesamte Dokument.

Im Lichte der Sachvorlagen und der Erkenntnisse unter den vorstehenden Ziffern 1.3 bis 1.5 erscheint die Auffassung des Rates, dass die Ausnahmebestimmungen von Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a und Artikel 4 Absatz 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 das gesamte Dokument betreffen, angemessen.

2 Schlussfolgerung

Aufgrund der Untersuchungen des Bürgerbeauftragten zu dieser Beschwerde scheint im Verhalten des Rates der Europäischen Union kein Missstand vorzuliegen. Folglich schließt der Bürgerbeauftragte die Beschwerdesache ab.

Der Generalsekretär des Rates der Europäischen Union wird ebenfalls über diese Entscheidung unterrichtet werden.

Mit freundlichen Grüßen

 

Professor Dr. P. Nikiforos DIAMANDOUROS


(1) Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission, ABl. L 145 vom 31.5.2001, S. 43.