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Entscheidung des Europäischen Bürgerbeauftragten zur Beschwerde 1086/96/VK, 1092/96/VK, 1095/96/VK, 1097/96/VK, 1104/96/VK, 1112/96/VK, 1113/96/VK, 1124/96/VK, 1134/96/VK, 1135/96/VK, 1139/96/VK, 1/97/VK, 4/97/VK, 9/97/VK, 12/97/VK, 13/97/VK, 28/97/VK, 34/97/VK, 43/97/VK, 58/97/VK, 72/97/VK, 88/97/VK, 161/97/VK gegen die Europäische Kommission


Straßburg, 16. Juli 1998

Sehr geehrte Frau X, sehr geehrter Herr X,
am (datum), haben Sie eine Beschwerde beim Europäischen Bürgerbeauftragten betreffend ein Schreiben von Kommissionsmitglied Karel Van Miert an den deutschen Wirtschaftsminister, Herrn Rexrodt, in dem er die Bundesregierung bat, ihre Politik betreffend das deutsche Gesetz über erneuerbare Energien - das Stromeinspeisungsgesetz - zu überprüfen, eingereicht.
Am 27. Februar 1997 habe ich Ihre Beschwerde dem Präsidenten der Europäischen Kommission übermittelt. Die Kommission übersandte ihre Stellungnahme am 15. Mai 1997, die ich Ihnen mit der Aufforderung übermittelt habe, hierzu gegebenenfalls Bemerkungen zu machen. Ich habe Ihre Bemerkungen zu der Stellungnahme der Kommission am (datum) 1997 erhalten.
Ich möchte Ihnen nun die Ergebnisse der auf Ihre Beschwerde hin durchgeführten Nachforschungen mitteilen. Ihre Beschwerde ist eine von vielen, die ich in dieser Angelegenheit erhalten habe. Um sie so effektiv und rasch wie möglich zu bearbeiten, habe ich sie zusammen mit den anderen behandelt, die am Ende dieses Schreibens aufgelistet sind.
Um Mißverständnisse zu vermeiden, sei daran erinnert, daß der Europäische Bürgerbeauftragte nach dem EG-Vertrag nur befugt ist, Untersuchungen über mögliche Mißstände bei der Tätigkeit der Organe oder Institutionen der Gemeinschaft durchzuführen. Im Statut des Europäischen Bürgerbeauftragten ist ausdrücklich vorgesehen, daß Handlungen anderer Behörden oder Personen ... nicht Gegenstand von Beschwerden beim Bürgerbeauftragten sein können.
Meine Untersuchungen hinsichtlich des Schreibens von Kommissionsmitglied Van Miert zum Stromeinspeisungsgesetz betrafen deshalb die Frage, ob es Mißstände bei der Tätigkeit der Europäischen Kommission gab.
Der Fall Stromeinspeisungsgesetz ist auch Gegenstand von Petitionen beim Europäischen Parlament. Eine Petition kann jede Angelegenheit betreffen, die in den Tätigkeitsbereich der Gemeinschaft fällt. In der Regel befaßt sich der Bürgerbeauftragte nicht mit Angelegenheiten, die im Petitionsausschuß des Europäischen Parlaments behandelt werden, es sei denn, daß der Ausschuß sie mit Zustimmung des Petenten auf den Bürgerbeauftragten überträgt. Im vorliegenden Fall hat der Bürgerbeauftragte allerdings auch viele Beschwerden von Bürgern erhalten, die keine Petition an das Parlament gerichtet haben.

DER HINTERGRUND DER BESCHWERDE


Am 1. Januar 1991 trat das Stromeinspeisungsgesetz in Kraft. Nach dem Gesetz sind die Energieversorgungsunternehmen (EVU) nicht nur zur Abnahme von Strom aus erneuerbaren Energien, sondern auch zur Zahlung einer garantierten Mindestvergütung an die Erzeuger erneuerbarer Energien verpflichtet, deren Höhe von der Art des Energieträgers abhängig ist. Nach § 3 Absatz 2 des Stromeinspeisungsgesetzes beträgt die Vergütung für Strom aus Windkraft mindestens 90% des Durchschnitterlöses je kWh/Stunde, den die EVU im vorvergangenen Kalenderjahr erzielen konnten. Das Gesetz wurde der Kommission 1990 gemäß den Vorschriften für staatliche Beihilfen nach Artikel 93 Absatz 3 EG-Vertrag notifiziert und gemäß Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe c) EG-Vertrag genehmigt.
Seit Juli 1995 hat die Kommission verschiedene Beschwerden von deutschen EVU im Zusammenhang mit der Förderung von Windstrom erhalten. Die Beschwerdeführer führten an, daß die Vergütungen für Windstrom nicht länger gerechtfertigt seien; ihnen würden beträchtliche Verluste entstehen, sofern die Vergütung für Windstrom beibehalten und die Absicht der deutschen Länder, die Windstromkapazität bis auf 4.000 MW im Jahr 2005 auszuweiten, weiterverfolgt würde.
Im November 1995 bat die Kommission die Bundesregierung um eine Stellungnahme in der Angelegenheit. Die Bundesregierung übermittelte einen Bericht des Wirtschaftsministeriums, in dem festgestellt wird, daß aufgrund der erheblichen Zunahme von Windstrom Probleme im Bereich der Windkraft auftreten.
Im Frühjahr und Sommer 1996 fanden mehrere Sitzungen mit allen Beteiligten statt. Windstromerzeuger teilten der Kommission mit, daß es keinen Grund gäbe, das Vergütungssystem zu ändern, da der Marktanteil erneuerbarer Energien gering sei (unter 1% der gesamten Stromerlöse in Deutschland). Die Windstromerzeuger wären ohne die Vergütung nach dem Stromeinspeisungsgesetz vom Bankrott bedroht.
Vor diesem Hintergrund sandte Kommissionsmitglied Van Miert am 25. Oktober 1996 besagtes Schreiben an Minister Rexroth. In seinem ausführlichen Schreiben bat er den Minister um Prüfung, ob das Stromeinspeisungsgesetz in einer Weise geändert werden könne, die sowohl das Bedürfnis der Windenergieproduzenten nach weiterer Förderung berücksichtigt, als auch weniger wettbewerbsverzerrend wirkt. U.a. schlug er eine Reduzierung der Windvergütung von 90% pro kWh/Stunde auf höchstens 75% pro kWh/Stunde als einfachen und schnellen Weg vor, die derzeitige Situation zu ändern.
Dieses Schreiben von Kommissionsmitglied Van Miert an Minister Rexrodt war der Grund für die Beschwerde der deutschen Windenergieproduzenten beim Europäischen Bürgerbeauftragten.

DIE BESCHWERDE


Alle beim Bürgerbeauftragten eingegangenen Beschwerden enthalten im wesentlichen zwei Argumente:
  • Kommissionsmitglied Van Miert sei nicht befugt gewesen, ein derartiges Schreiben zu verfassen, in dem er eine Änderung des Stromeinspeisungsgesetzes und eine Reduzierung der Windstromvergütung von 90% auf 75% forderte, weil das Stromeinspeisungsgesetz von der Kommission durch eine abschließende Entscheidung gemäß Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe c) des EG-Vertrags genehmigt worden ist. Die Beschwerdeführer sehen in dem Inhalt des Schreibens eine Änderung der Entscheidung der Kommission, was nur durch eine neue Entscheidung der Kommission möglich sei.
  • Kommissionsmitglied Van Miert habe die rechtliche und wirtschaftliche Lage von Windenergieproduzenten in Deutschland falsch eingeschätzt, weil das Kommissionsmitglied offensichtlich seine Argumentation ausschließlich auf Daten und Zahlen stützte, die die deutschen EVU ihm geliefert haben, ohne zu überprüfen, ob diese Zahlen korrekt sind. Die Beschwerdeführer führen an, daß die Ausführung des Vorschlags des Kommissionsmitglieds für die Windenergieproduzenten katastrophale Folgen hätte, da die Reduzierung der Vergütungen nach dem Stromeinspeisungsgesetz die Windenergieanlagen und mit ihnen die derzeitige Beschäftigungslage bedrohen würde. Auch die Forschung in diesem Bereich würde darunter leiden, was zu negativen Auswirkungen auf die Entwicklung im Umweltbereich und auf technischem Gebiet führen würde. Der Wettbewerb würde dann tatsächlich verzerrt, und es käme zu einer Monopolbildung.

DIE UNTERSUCHUNGEN


Die Stellungnahme der Kommission
In ihrer Stellungnahme zu den Beschwerden führt die Kommission folgendes aus:
  • Das Schreiben von Kommissionsmitglied Van Miert an Minister Rexrodt hat keinerlei rechtliche Folgen für die Bundesregierung. Es ist eine unverbindliche Empfehlung zur Änderung des Gesetzes. Es wurde davon ausgegangen, daß eine rechtlich unverbindliche Maßnahme die beste Lösung sei, da hierdurch die Bundesregierung das Wettbewerbsproblem intern lösen könne. Das Schreiben fällt in jeder Hinsicht in den Bereich der Maßnahmen, die die Kommission gemäß Artikel 93 des EG-Vertrags ergreifen kann.
  • Die Daten über die Anzahl der Windkraftanlagen, ihre Kapazität und die Stromerzeugung, die von der GD IV zugrundegelegt wurden, wurden der Kommission von der Bundesregierung übermittelt. Darüber hinaus erhielt die Kommission Informationen aus einer Anhörung im Deutschen Bundestag mit Vertretern beider Seiten, sowohl der Windenergieproduzenten als auch der größten EVU. Zusätzlich fanden verschiedene Treffen mit allen beteiligten Parteien statt. Die Kommission hat die Stellungnahmen aller Parteien berücksichtigt.
    Die Kommission hielt es für erforderlich, die derzeitige Lage neu zu bewerten, nachdem sie Beschwerden in dieser Angelegenheit erhalten hatte. Es zeigte sich, daß sich sowohl die tatsächlichen als auch die rechtlichen Bedingungen seit 1990, dem Zeitpunkt der Genehmigung des Stromeinspeisungsgesetzes durch die Kommission, bis zum Oktober 1996 geändert hatte. Das Fördersystem der Windenergie durch das Stromeinspeisungsgesetz hat zu einem erheblichen Anstieg der Windstromerzeugung, insbesondere in den deutschen Küstengebieten geführt. Seit dem Inkrafttreten des Stromeinspeisungsgesetzes stieg sowohl die Anzahl der Anlagen als auch ihre Kapazität erheblich an, was dazu führte, daß den EVU Mehrkosten entstanden.
    Ein weiterer Umstand für die neue Einschätzung durch die Kommission war die Tatsache, daß die Technologie für neue Windkraftanlagen verbessert werden konnte. Neue Anlagen sind deshalb effizienter, und die Windenergieproduktion weniger kostspielig.

Die Bemerkungen des Beschwerdeführers
Aus den dem Bürgerbeauftragten zugegangenen Bemerkungen ist ersichtlich, daß die Beschwerden aufrechterhalten werden. Sie äußerten scharfe Kritik an den Bemerkungen der Kommission.

DER BESCHLUSS


1. Der erste Vorwurf der Beschwerdeführer
1.1 Die Beschwerdeführer werfen der Kommission im wesentlichen vor, daß sie den Vertrag durch die Anwendung eines falschen Verfahrens verletzt habe. Nach Ansicht der Beschwerdeführer stellte das Schreiben an die Bundesregierung eine Änderung der Entscheidung der Kommission gemäß Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe c) des EG-Vertrags dar, mit der sie das Stromeinspeisungsgesetz als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar eingestuft hat. Sie behaupten, daß eine derartige Änderung rechtmäßig nur durch eine erneute Entscheidung der Kommission vorgenommen werden könne.
1.2 Nach den Bestimmungen des EG-Vertrags über staatliche Beihilfen ist ein Mitgliedstaat, der die Einführung von Beihilfen beabsichtigt, verpflichtet, die Kommission zu unterrichten, die dann entscheidet, ob sie die Beihilfe als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erachtet. Das Stromeinspeisungsgesetz wurde im Jahr 1990 in diesem Verfahren genehmigt und wurde so zu einer bestehenden Beihilferegelung.
1.3 Nach Artikel 93 EG-Vertrag stehen der Kommission zwei Verfahren zur Verfügung, um eine Änderung von bestehenden Beihilferegelungen zu erwirken. Im ersten Verfahren werden dem betreffenden Mitgliedstaat gemäß Artikel 93 Absatz 1 Maßnahmen vorgeschlagen. Derartige Vorschläge sind nicht verbindlich. Im zweiten Verfahren geht dem betreffenden Mitgliedstaat gemäß Artikel 93 Absatz 2 eine abschließende Entscheidung zu, durch die er verpflichtet wird, die Beihilfe aufzuheben oder umzugestalten.
1.4 Das Argument, daß das Verfahren gemäß Artikel 93 Absatz 1 nicht in Fällen anwendbar sei, in denen die Kommission zu einem früheren Zeitpunkt eine Beihilfe gemäß Artikel 92 Absatz 3 genehmigt hatte, ist rechtlich nicht haltbar.
1.5 In dem in Rede stehenden Schreiben wird weder der Eindruck erweckt, daß sein Inhalt für den Mitgliedstaat verbindlich sei, noch daß die Entscheidung der Kommission aus dem Jahr 1990 zum Stromeinspeisungsgesetz geändert werde. Deshalb deutet nichts in dem Schreiben darauf hin, daß die Kommission die ihr gemäß Artikel 93 Absatz 1 eingeräumten Kompetenzen überschritten hätte.
1.6 Die Untersuchung des ersten Vorwurfs der Beschwerdeführer durch den Bürgerbeauftragten ergab somit keinen Mißstand.
2. Der zweite Vorwurf der Beschwerdeführer
2.1 Die Beschwerdeführer werfen der Kommission darüber hinaus im wesentlichen vor, die rechtliche und wirtschaftliche Lage der Windenergieproduzenten falsch eingeschätzt zu haben, da sie sich auf nicht überprüfte Daten der deutschen Elektrizitätsindustrie gestützt habe.
2.2 Artikel 93 Absatz 1 enthält keine besonderen Anforderungen an die Zusammenarbeit der Kommission mit den Mitgliedstaaten bei ihrer fortlaufenden Überprüfung bestehender Beihilferegelungen. Allerdings sollte die Kommission im Sinne einer ordnungsgemäßen Verwaltungspraxis ihre technische und wirtschaftliche Einschätzung auf genaue Informationen stützen um sicherzustellen, daß die Möglichkeit zu einer kritischen Bewertung der einschlägigen Daten besteht, so weit dies erforderlich ist, und daß verschiedene Meinungen gehört werden.
2.3 Die Stellungnahme der Kommission enthält eine Aufzählung ihrer Aktivitäten, die von den Beschwerdeführern nicht bestritten wurde. Nach Angaben der Kommission unterrichtete sie die Bundesregierung über Beschwerden, die ihr hinsichtlich der Beihilferegelung für Windenergie zugegangen waren, und bat sie um Stellungnahme. Nachdem im Bundestag eine Anhörung stattgefunden hatte, um die Notwendigkeit eventueller Gesetzesänderungen zu erörtern, erhielt die Kommission zahlreiche Stellungnahmen von Beteiligten, u.a. von Vertretern der Landesregierungen, der EVU und Verbänden, die erneuerbare Energien unterstützen. Darüber hinaus fanden mehrere Sitzungen mit allen Beteiligten, einschließlich der Windstromerzeuger statt.
2.4 Aufgrund der obigen Darlegungen ist davon auszugehen, daß die Kommission zweckdienliche Schritte unternommen hat um sicherzustellen, daß die technische und wirtschaftliche Einschätzung auf der Grundlage von genauen Informationen erfolgte, daß es ferner möglich war, eine kritische Bewertung der einschlägigen Daten vorzunehmen, und daß verschiedene Meinungen gehört wurden. Die Untersuchung des zweiten Vorwurfs der Beschwerdeführer durch den Bürgerbeauftragten ergab somit keinen Mißstand.
3. Schlußfolgerung
Die Untersuchung dieser Beschwerde durch den Europäischen Bürgerbeauftragten hat keinerlei Mißstände bei der Tätigkeit der Europäischen Kommission ergeben. Der Bürgerbeauftragte hat daher beschlossen, den Fall abzuschließen.
Mit freundlichen Grüßen,
Jacob Söderman
Kopien an:
Herrn Santer, Präsident der Europäischen Kommission
Herrn Eeckhout, Generalsekretär der Europäischen Kommission