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Entscheidung des Europäischen Bürgerbeauftragten zum Abschluss der Untersuchung zur Beschwerde 387/2008/BEH gegen die Europäische Kommission

HINTERGRUND DER BESCHWERDE

1.         Am 12. April 2007 schrieb der Beschwerdeführer, ein deutscher Staatsbürger, eine E-Mail an die Kommission, in der er sich über ein Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg beschwerte. Dabei bezog er sich konkret auf folgende Passage des Urteils:

In der Bundesrepublik Deutschland wird niemand durch die Pflicht, sein Vermögen der Finanzbehörde zu erklären, und durch das Recht der Behörde, die Einhaltung dieser Pflicht zu überprüfen, daran gehindert, sein Kapital in anderen Mitgliedstaaten der EG oder in Drittländern anzulegen. Der Auffassung von Russ/Ukrow (in Grabitz/Hilf, Das Recht der EU, Art. 58 Rz 30), wonach der Transfer von Kapital durch Ermittlungsmaßnahmen „eingefroren" werden könnte, kann jedenfalls für solche Ermittlungen im Einzelfall nicht gelten."

2.         Dem Beschwerdeführer zufolge verletzt die zitierte Passage die Kapitalverkehrsfreiheit (Artikel 58 Absatz 1 EG-Vertrag), weil damit die Kapitalverkehrsfreiheit unter den Vorbehalt der uneingeschränkten Kontrolle der Finanzbehörden gestellt und Missbrauch als Regel unterstellt werde. Darüber hinaus verletze das Urteil Artikel 58 Absatz 1 Buchstabe b) EG-Vertrag, der den Mitgliedstaaten das Recht auf „unerlässliche Maßnahmen" zugestehe, um den Verstoß gegen nationale Rechtsvorschriften zu verhindern. Nach Ansicht des Beschwerdeführers könne die uneingeschränkte Kontrolle von Auslandstransfers im Einzelfall ohne Vorliegen eines konkreten steuerrechtlichen Anfangsverdachts nicht zu den „unerlässlichen Maßnahmen" gehören. Außerdem verstoße das Urteil des Finanzgerichts gegen Artikel 58 Absatz 3 EG-Vertrag, da die Ausführungen eine willkürliche Diskriminierung des Auslandsverkehrs darstellten und eine verschleierte Beschränkung desselben seien. Darüber hinaus führte der Beschwerdeführer an, dass Kontrollmaßnahmen ohne Beschränkung nicht notwendig und daher unverhältnismäßig seien. Abschließend machte er geltend, dass das Finanzgericht Baden-Württemberg beim Europäischen Gerichtshof (im Folgenden „der Gerichtshof") keinen Antrag auf Vorabentscheidung gestellt habe, obwohl es gemäß Artikel 234 EG-Vertrag dazu verpflichtet gewesen wäre.

3.         Nach Bestätigung des Eingangs der Korrespondenz des Beschwerdeführers teilte ihm die Kommission mit Schreiben vom 1. Juni 2007 ihre Absicht mit, den Fall abzuschließen, da vor dem Hintergrund der zur Verfügung gestellten Information keine Verletzung des Gemeinschaftsrechts zu erkennen sei. Die Kommission führte insbesondere aus, dass im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs eine Nichterfüllung von Pflichten seitens eines Mitgliedstaats nur durch einen hinreichend dokumentierten und detaillierten Nachweis der der nationalen Verwaltung und/oder den nationalen Gerichten vorgeworfenen Praxis dargetan werden könne. Abgesehen davon, dass ein Urteil in einem Einzelfall keine ausreichende Grundlage darstelle, um eine verfestigte und allgemeine Praxis geltend zu machen, wies die Kommission darauf hin, dass es für sie keinen Grund gebe, das Urteil des Finanzgerichts inhaltlich anzufechten. Was den Verstoß gegen Artikel 234 EG-Vertrag betrifft, so stellte die Kommission fest, dass die vom Beschwerdeführer vorgelegten Informationen nicht auf einen Verstoß hindeuteten.

4.         Am 9. Juli 2007 reichte der Beschwerdeführer eine Beschwerde beim Bürgerbeauftragten ein, in der er im Wesentlichen ausführte, dass die Kommission sein Schreiben vom 12. April 2007  nicht ordnungsgemäß behandelt habe (Beschwerde 1829/2007/(RF)BEH). Da der Beschwerdeführer nicht von seinem Recht Gebrauch gemacht hatte, der Kommission Anmerkungen zu übermitteln[1], war der Bürgerbeauftragte der Auffassung, dass er noch nicht die geeigneten administrativen Schritte bei der Kommission unternommen habe, die nach Artikel 2 Absatz 4 des Statuts des Europäischen Bürgerbeauftragten erforderlich sind, bevor er sich mit einer Beschwerde befassen kann. Daher wurde die Beschwerde 1829/2007/(RF)BEH für unzulässig erklärt.

5.         Im Anschluss an den nachfolgenden Schriftwechsel zwischen dem Beschwerdeführer und der Kommission, von dem der Bürgerbeauftragte keine Kopien erhielt, richtete der Beschwerdeführer am 6. Dezember 2007 ein Schreiben an die Kommission, in dem er auf mehrere Entscheidungen verschiedener deutscher Finanzgerichte verwies. Seiner Ansicht nach stellten diese Entscheidungen eine verfestigte und allgemeine Praxis der deutschen Gerichte dar, im Einzelfall eine uneingeschränkte Kontrolle von Auslandstransfers für rechtmäßig anzusehen. Darüber hinaus wies er darauf hin, dass gemäß der Rechtsprechung des Gerichtshofs isolierte Entscheidungen nationaler Gerichte bei Vertragsverletzungsverfahren ebenfalls zu berücksichtigen seien, sofern sie eine signifikante richterliche Auslegung enthielten, die nicht von einem obersten Gericht verworfen worden sei. Ferner führte er aus, dass ausschließlich der grenzüberschreitende Charakter der Transaktionen Kontrollen und Ermittlungen nach sich gezogen habe, die einen diskriminierenden und einfrierenden Charakter hätten.

6.         In ihrer Antwort erläuterte die Kommission im Wesentlichen, dass in keinem der ihr zur Kenntnis gebrachten Fälle ein Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht habe festgestellt werden können, da die Ermittlungsmaßnahmen nicht ausschließlich auf dem grenzüberschreitenden Charakter der betreffenden Transaktionen beruht hätten.

7.         Am 6. Februar 2008 reichte der Beschwerdeführer beim Bürgerbeauftragten die vorliegende Beschwerde ein.

GEGENSTAND DER UNTERSUCHUNG

8.        In seiner Beschwerde an den Bürgerbeauftragten brachte der Beschwerdeführer folgende Behauptungen vor:

Die Kommission habe seine Vertragsverletzungsbeschwerde nicht ordnungsgemäß behandelt. Dabei habe sie vor allem folgende Aspekte nicht berücksichtigt:

(a) die Praxis deutscher Gerichte bezüglich Kapitaltransfers ins Ausland führt zu einer Einschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit;

(b) die Ermittlungen der nationalen Steuerbehörden beruhen ausschließlich auf dem grenzüberschreitenden Charakter der Transaktionen und stellen daher eine Diskriminierung dar;

(c) die nationalen Behörden unterstellen bei Auslandstransfers generell eine Steuerhinterziehungsabsicht, was unverhältnismäßig sei und eine verschleierte Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit darstelle und

(d) für Tatsachen, die den einschlägigen Bescheiden und Urteilen der nationalen Behörden und Gerichte zugrundeliegen, gilt ein Verwertungsverbot vor Gericht.

DIE UNTERSUCHUNG

9.         Die Beschwerde wurde mit der Aufforderung zur Stellungnahme an den Präsidenten der Kommission weitergeleitet. Am 19. Juni 2008 übermittelte die Kommission ihre Stellungnahme, die mit der Bitte um Anmerkungen an den Beschwerdeführer weitergeleitet wurde. Daraufhin übermittelte der Beschwerdeführer am 29. Juli 2008 seine Anmerkungen.

ANALYSE UND SCHLUSSFOLGERUNGEN DES BÜRGERBEAUF-TRAGTEN

Einleitende Bemerkungen

10.       Um Missverständnissen vorzubeugen, sei daran erinnert, dass der Bürgerbeauftragte laut Artikel 195 EG-Vertrag befugt ist, möglichen Missständen bei der Tätigkeit der Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft nachzugehen. Im Statut des Bürgerbeauftragten ist ausdrücklich festgelegt, dass Handlungen anderer Behörden oder Personen nicht Gegenstand von Beschwerden beim Bürgerbeauftragten sein können. Daher ist der Bürgerbeauftragte nicht befugt, Beschwerden gegen andere Einrichtungen oder Organe wie nationale Steuerbehörden oder Gerichte zu untersuchen. Aus diesem Grund wird in dieser Entscheidung ausschließlich die Beschwerde gegen die Kommission behandelt.

11.       In der vorliegenden Beschwerde an den Bürgerbeauftragten ging der Beschwerdeführer nicht auf die Frage der Verpflichtung des Finanzgerichts Baden-Württemberg ein, um eine Vorabentscheidung zu ersuchen. Dennoch äußerte sich die Kommission in ihrer Stellungnahme zu dieser Frage und führte dazu aus, dass nichts darauf hinweise, dass es sich bei dem Finanzgericht um ein „einzelstaatliches Gericht" handele, „dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können." Gemäß Artikel 234 Absatz 3 EG-Vertrag sind nur nationale Gerichte der letzteren Kategorie verpflichtet, Fragen zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts dem Gerichtshof vorzulegen, wenn für ihr Urteil eine Entscheidung in dieser Frage erforderlich ist. In seinen Anmerkungen erläuterte der Beschwerdeführer, dass die Kommission nicht berücksichtigt habe, dass eine Anrufung des Bundesfinanzhofs im vorliegenden Fall nicht gestattet worden war. Da somit das Finanzgericht Baden-Württemberg als letztinstanzliches Gericht entschieden habe, wäre es verpflichtet gewesen, dem Gerichtshof eine Frage vorzulegen.

12.      In seiner Beschwerde an den Bürgerbeauftragten hat der Beschwerdeführer die Einhaltung von Artikel 234 Absatz 3 EG-Vertrag seitens des Finanzgerichts Baden-Württemberg nicht infrage gestellt, weswegen dieser Aspekt nicht in die Untersuchung des Bürgerbeauftragten aufgenommen wurde. Die Kommission führte in ihrer Stellungnahme aus, dass sie vor dem Hintergrund der in der Beschwerde zur Verfügung gestellten Informationen keine Verpflichtung des besagten Gerichts erkennen könne, um eine Vorabentscheidung zu ersuchen. Gemäß Artikel 2 Absatz 4 des Statuts des Europäischen Bürgerbeauftragten müssen einer an ihn gerichteten Beschwerde die geeigneten administrativen Schritte bei dem betroffenen Organ vorausgegangen sein. Offenbar hat der Beschwerdeführer die Kommission nicht auf diese Aspekte hingewiesen, die ihm zufolge darauf hindeuten, dass das Finanzgericht Baden-Württemberg als letztinstanzliches Gericht im Sinne von Artikel 234 Ansatz 3 EG-Vertrag gehandelt hat. Daher ist der Bürgerbeauftragte nicht berechtigt, sich in dieser Entscheidung mit diesem Aspekt zu befassen.

A. Zur Behauptung des Beschwerdeführers

Die Darlegungen vor dem Bürgerbeauftragten

13.      In seiner Beschwerde machte der Beschwerdeführer geltend, dass die Kommission seine Vertragsverletzungsbeschwerde nicht ordnungsgemäß behandelt habe. Dabei habe sie vor allem folgende Aspekte nicht berücksichtigt:

(a)   die Praxis deutscher Gerichte bezüglich Kapitaltransfers ins Ausland führt zu einer Einschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit;

(b) die Ermittlungen der nationalen Steuerbehörden beruhen ausschließlich auf dem grenzüberschreitenden Charakter der Transaktionen und stellen daher eine Diskriminierung dar;

(c) die nationalen Behörden unterstellen bei Auslandstransfers generell eine Steuerhinterziehungsabsicht, was unverhältnismäßig sei und eine verschleierte Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit darstelle und

(d) für Tatsachen, die den einschlägigen Bescheiden und Urteilen der nationalen Behörden und Gerichte zugrundeliegen, gilt ein Verwertungsverbot vor Gericht.

Bezüglich des letzten Aspekts vertrat der Beschwerdeführer die Auffassung, dass gewisse Tatsachen trotz des Verwertungsverbots bei nationalen Gerichtsverfahren herangezogen worden seien.

14.      In ihrer Stellungnahme merkte die Kommission an, dass der Beschwerdeführer zur Stützung seiner Behauptung, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstoßen habe, auf eine Passage in einem Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg verwies[2]. Zur Bekräftigung ihres Standpunkts, den sie bereits in ihren Schreiben vom 1. Juni 2007 und 24. Januar 2008 vertreten hatte, machte die Kommission geltend, dass es sich bei dem zitierten Urteil um eine Entscheidung in einem Einzelfall gehandelt habe, die als solche formal keine ausreichende Grundlage darstelle, um eine verfestigte und allgemeine Praxis anzunehmen.

15.      Was die vom Beschwerdeführer herangezogenen Urteile betrifft, mit denen er die Existenz einer verfestigten und allgemeinen Praxis deutscher Gerichte darlegen wollte, so stellte die Kommission fest, dass diese Urteile von verschiedenen deutschen Finanzgerichten stammen und sich alle auf objektiv unterschiedliche Einzelfälle beziehen. Daher hatte die Kommission Zweifel, ob mit diesen Urteilen tatsächlich eine Praxis deutscher Gerichte verdeutlicht wird, die in bestimmtem Grad verfestigt und allgemein ist. Zugleich wies die Kommission darauf hin, dass es nur relevant sei, eine solche Praxis uneingeschränkt festzustellen, wenn die genannten Urteile als Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht angesehen werden könnten.

16.      Die Kommission äußerte sich zu jedem der vom Beschwerdeführer zitierten Urteile und wies darauf hin, dass in keinem der Fälle - und auch in keiner anderen, ähnlichen an sie gerichteten Beschwerde - festgestellt werden konnte, dass die Ermittlungsmaßnahmen ausschließlich auf dem grenzüberschreitenden Charakter der betreffenden Transaktionen beruhten, wie vom Beschwerdeführer behauptet wurde. Neben dem grenzüberschreitenden Charakter der Transaktionen hätten in allen Fällen weitere Aspekte vorgelegen, wie etwa die Höhe des Betrags und der Zeitpunkt der Übertragung der Wertpapiere, konkrete Hinweise auf Steuerdelikte oder der wirtschaftlich nachteilige Charakter des Transfers. Somit habe nichts auf eine Praxis deutscher Finanzgerichte hingedeutet, die gegen die Anforderungen des Gemeinschaftsrechts verstößt. Vor allem habe keine allgemeine Praxis der uneingeschränkten Kontrolle ohne Vorliegen eines konkreten steuerrechtlichen Anfangsverdachts festgestellt werden können.

17.      Zum Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg merkte die Kommission an, dass es dem Beschwerdeführer zufolge gegen Artikel 58 Absatz 3 EG-Vertrag verstoßen habe, da seinem Verständnis nach grenzüberschreitende Transaktionen willkürlich diskriminiert worden seien und so die Kapitalverkehrsfreiheit unter den Vorbehalt der uneingeschränkten Kontrolle der Finanzbehörden gestellt werde. Vor diesem Hintergrund wies die Kommission darauf hin, dass es nach Artikel 58 Absatz 1 Buchstabe a) EG-Vertrag den Mitgliedstaaten ausdrücklich gestattet sei, die einschlägigen Vorschriften ihres Steuerrechts anzuwenden, die Steuerpflichtige mit unterschiedlichem Kapitalanlageort unterschiedlich behandeln. Eine derartige Unterscheidung sei also keine diskriminierende Behandlung oder willkürliche Diskriminierung im Sinne von Artikel 58 Absatz 3 EG-Vertrag. Im Einklang mit Artikel 58 Absatz 1 Buchstabe a) EG-Vertrag sehe das deutsche Recht vor, dass ein Steuerzahler, der Auslandseinkünfte bezieht, eine gesteigerte Pflicht zur Zusammenarbeit mit den Steuerbehörden hat. Wie in ihren früheren Schreiben wies die Kommission auch hier auf ihre „Mitteilung zur Wegzugsbesteuerung und die Notwendigkeit einer Koordinierung der Steuerpolitiken der Mitgliedstaaten"[3] hin, um darzulegen, dass es angemessen sei, dem Steuerzahler die Pflicht aufzuerlegen, sein Vermögen im grenzüberschreitenden Kontext entsprechend offenzulegen. Darüber hinaus merkte sie an, dass Artikel 58 Absatz 1 Buchstabe b) EG-Vertrag es den Mitgliedstaaten ausdrücklich gestatte, die unerlässlichen Maßnahmen zu treffen, um Zuwiderhandlungen gegen innerstaatliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften, insbesondere auf dem Gebiet des Steuerrechts, zu verhindern. Dies schließe auch Ermittlungsmaßnahmen im Hinblick auf die Verpflichtung des Steuerzahlers mit ein, die sich aus der gesteigerten Pflicht zur Zusammenarbeit mit den Steuerbehörden ergeben.

18.      Folglich kam die Kommission zu dem Schluss, dass die Behauptung falsch sei, dass durch Ermittlungsmaßnahmen der Steuerbehörden die Ausübung der durch die Gemeinschaftsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich oder zumindest übermäßig erschwert werde. Vor diesem Hintergrund stellten die in Punkt 1 genannten Ausführungen des Finanzgerichts Baden-Württemberg keine Diskriminierung hinsichtlich grenzüberschreitender Transaktionen dar. Ferner komme die Verpflichtung, den deutschen Steuerbehörden Auslandseinkünfte offenzulegen, keinem absoluten Verbot grenzüberschreitender Transaktionen gleich und könne in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs[4] daher nicht als unverhältnismäßig angesehen werden. Des Weiteren könne keine Praxis der uneingeschränkten Kontrolle ohne Vorliegen eines konkreten steuerstrafrechtlichen Anfangsverdachts festgestellt werden.

19.      Was die Frage der Unverwertbarkeit bestimmter Dokumente betrifft, so kam die Kommission erneut zu dem Schluss, dass keine einschlägige Praxis der deutschen Finanzgerichte bestehe, die als Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht angesehen werden könne. Es gebe keinen Grund zu der Annahme, dass für die den Beschwerdeführer betreffenden Bescheide und Urteile der nationalen Behörden und Gerichte ein Verwertungsverbot besteht, wonach es untersagt ist, sie vor Gericht als Nachweise heranzuziehen.

20.      In seinen Anmerkungen führte der Beschwerdeführer aus, dass die Kommission nicht berücksichtigt habe, dass gemäß einem Beschluss des Landgerichts Freiburg ein Verwertungsverbot bezüglich bestimmter Tatsachen ausgesprochen worden sei. Dennoch habe sich das Finanzgericht Baden-Württemberg in dem fraglichen Urteil auf Tatsachen gestützt, für die ein Verwertungsverbot bestanden habe. Dies komme nach Ansicht des Beschwerdeführers einer verschleierten Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit und einem Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gleich.

21.      Der Beschwerdeführer wiederholte, dass es in Deutschland eine verfestigte und allgemeine Praxis gebe, die gegen das Gemeinschaftsrecht verstoße. Sie bestehe, weil getroffene Ermittlungsmaßnahmen ausschließlich auf dem grenzüberschreitenden Charakter eines Transfers beruhten. Seiner Ansicht nach würden absurde Behauptungen wie der wirtschaftlich nachteilige Charakter eines Transfers ausreichen, um Ermittlungsmaßnahmen auszulösen, ohne dass allerdings ein konkreter Hinweis vorliege, der auf eine Steuerhinterziehung in einem Einzelfall hindeute. Ferner merkte der Beschwerdeführer an, dass im Zweifelsfall von einer Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit ausgegangen werden müsste. Er wiederholte seine Argumente zur willkürlichen Diskriminierung, zur verschleierten Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit und zum Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Seiner Ansicht nach ermögliche die Praxis der deutschen Gerichte uneingeschränkte Kontrollen aller Auslandstransfers, die weit über das gesetzlich tolerierte Maß hinausgingen. Hierzu habe die Kommission seiner Meinung nach nicht Stellung bezogen.

Die Beurteilung des Bürgerbeauftragten

22.      Vorab möchte der Bürgerbeauftragte anmerken, dass die Kommission nur dann gemäß Artikel 226 EG-Vertrag den Gerichtshof mit einem Fall befassen kann, wenn sie der Ansicht ist, dass ein Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht vorliegt. Nach Auffassung des Bürgerbeauftragten ist die Kommission in ihrer Stellungnahme detailliert auf die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Punkte eingegangen. Ferner vertritt der Bürgerbeauftragte die Ansicht, dass die von der Kommission in ihren Schreiben an den Beschwerdeführer und in ihrer Stellungnahme vorgebrachten Argumente ihre Auffassung untermauerten, dass kein Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht festgestellt wurde. Vor diesem Hintergrund erscheint der Standpunkt der Kommission nachvollziehbar.

23.      Der Bürgerbeauftragte stellt fest, dass der Beschwerdeführer in seinen Anmerkungen seine Auffassung bekräftigt hat, dass die Ermittlungen ausschließlich auf dem grenzüberschreitenden Charakter der betreffenden Transaktionen beruht hätten, die uneingeschränkt kontrolliert worden seien. Vor dem Hintergrund der von der Kommission vorgelegten Informationen ist der Bürgerbeauftragte jedoch nicht der Überzeugung, dass dies der Fall ist. Anhand der Stellungnahme der Kommission sieht der Bürgerbeauftragte keine Grundlage für die Auffassung des Beschwerdeführers, dass dem Erfordernis zusätzlicher Elemente, die die deutschen Gerichte offenbar verlangen, um die Rechtmäßigkeit von Ermittlungsmaßnahmen im Falle von Auslandstransfers zu akzeptieren, durch absurde Erklärungen nachzukommen ist.

24.      Was die Frage der Unverwertbarkeit bestimmter Dokumente betrifft, so stellt der Bürgerbeauftragte fest, dass die Kommission wiederholt ausgeführt hat, dass ein Urteil eines nationalen Gerichts in einem Einzelfall nicht ausreiche, um von einer verfestigten und allgemeinen Praxis auszugehen.

25.      Daher kommt der Bürgerbeauftragte zu dem Schluss, dass der Beschwerdeführer seine Behauptung, die Kommission habe seine Vertragsverletzungsbeschwerde nicht ordnungsgemäß behandelt, nicht belegt hat.

26.      Angesichts dieser Umstände stellt der Bürgerbeauftragte in Bezug auf die Behauptung des Beschwerdeführers keinen Missstand in der Verwaltungstätigkeit der Kommission fest.

B. Schlussfolgerungen

Auf der Grundlage seiner Untersuchungen zu dieser Beschwerde ist der Bürgerbeauftragte zu der Auffassung gelangt, dass kein Missstand in der Verwaltungstätigkeit der Kommission vorlag. Der Bürgerbeauftragte schließt den Fall daher ab.

Der Beschwerdeführer und der Präsident der Kommission werden von dieser Entscheidung in Kenntnis gesetzt.

Professor Dr. P. Nikiforos DIAMANDOUROS

Geschehen zu Straßburg am 10. Dezember 2008


[1] Dieses Recht ist in Punkt 10 der Mitteilung der Kommission über die Beziehungen zum Beschwerdeführer bei Verstößen gegen das Gemeinschaftsrecht (KOM(2002) 141) verankert, der Folgendes vorsieht: „Außer in besonderen dringlichen Fällen wird der Beschwerdeführer von der zuständigen Kommissionsdienststelle unterrichtet, wenn diese beabsichtigt, die Einstellung des Beschwerdeverfahrens vorzuschlagen. Sie übermittelt dem Beschwerdeführer ein entsprechendes Schreiben, in dem sie die Einstellung des Verfahrens begründet und den Beschwerdeführer auffordert, binnen vier Wochen etwaige Bemerkungen mitzuteilen." (Hervorhebung durch den Bürgerbeauftragten).

[2] Siehe Punkt 1.

[3] KOM(2006) 825 endg., S. 6, Ziffer 5.

[4] Siehe Rechtssache C-478/98, Kommission gegen Belgien, Slg. 2000, I-7587, Randnr. 45.