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Entscheidung des Europäischen Bürgerbeauftragten zur Beschwerde 341/2003/GG gegen die Europäische Kommission


Straßburg, 11. November 2003

Sehr geehrter Herr G.,

am 10. Februar 2003 legten Sie eine Beschwerde gegen die Europäische Kommission ein, die die Bearbeitung einer von Ihnen bei der Kommission eingereichten Beschwerde gegen die Bundesrepublik Deutschland betraf.

Am 21. Februar 2003 leitete der Europäische Bürgerbeauftragte die Beschwerde an den Präsidenten der Europäischen Kommission weiter.

Mit Schreiben vom 24. Februar 2003 übermittelten Sie dem Bürgerbeauftragten weitere Informationen im Hinblick auf Ihre Beschwerde, die der Bürgerbeauftragte am 6. März 2003 an die Kommission weiterleitete.

In einem Schreiben vom 7. Mai 2003 baten Sie mich um eine baldige Entscheidung über Ihre Beschwerde bzw. um den Erlass einstweiliger Maßnahmen. In meiner Erwiderung vom 8. Mai 2003 erklärte ich, dass die Kommission ersucht worden sei, bis spätestens 31. Mai 2003 zu Ihrer Beschwerde Stellung zu nehmen, und dass diese Stellungnahme so bald wie möglich an Sie weitergereicht würde. Ferner wies ich Sie darauf hin, dass der Bürgerbeauftragte nicht befugt ist, rechtsverbindliche Anordnungen an andere Behörden zu erlassen oder einstweilige Verfügungen zu erlassen. Eine Kopie Ihres Schreibens vom 7. Mai 2003 und meiner Erwiderung darauf wurden der Kommission zur Kenntnisnahme zugeleitet.

Am 23. Mai 2003 übermittelte die Kommission ihre (vom 13. Mai 2003 datierte) Stellungnahme. Diese leitete ich am 28. Mai 2003 an Sie weiter und bot Ihnen an, sich dazu zu äußern.

Am 30. Mai 2003 übersandten Sie mir eine weitere Beschwerde gegen die Bundesrepublik Deutschland, die an die Kommission gerichtet war. Am 5. Juni 2003 bestätigte ich den Erhalt dieses Schreibens und äußerte die Auffassung, dass es mir zur Kenntnisnahme übermittelt worden sei. In Ihrer Erwiderung vom 11. Juni 2003 baten Sie mich, Ihr Schreiben vom 30. Mai 2003 an die Kommission weiterzuleiten. Dies tat ich am 20. Juni 2003.

Am 30. Juni 2003 übermittelten Sie mir Ihre Anmerkungen zur Stellungnahme der Kommission. Am 23. Juli 2003 übersandten Sie zusätzliche Anmerkungen.

Mit diesem Schreiben möchte ich Ihnen die Ergebnisse der durchgeführten Untersuchungen mitteilen.


DIE BESCHWERDE

Der Beschwerdeführer, ein deutscher Staatsbürger, übertrug Wertpapiere von seinem Depot bei der Volksbank Freiburg (einer deutschen Bank) auf eine Schweizer Bank. Nach seiner Aussage handelte es sich um ein bankübliches Geschäft, das offen und unter seinem eigenen Namen abgeschlossen wurde. Der Übertrag sei erfolgt, weil die Wertpapiere zur Absicherung von Krediten der Schweizer Bank benötigt wurden; weitere Gründe seien die günstigeren Produkte, die bessere Wertpapierberatung, bessere Serviceleistungen und eine schnellere und zuverlässigere Geschäftsabwicklung als bei der deutschen Bank sowie die Sicherheit des Kontos bei der Schweizer Bank.

Im Rahmen von Ermittlungen bei der Volksbank Freiburg auf der Grundlage eines Durchsuchungsbeschlusses vom 22. April 1998 fand das Finanzamt Freiburg-Land auch Unterlagen über die besagten Auslandstransfers. Nach Ansicht des Beschwerdeführers überschritt die Steuerfahndung damit ihr Mandat, das sich auf die Untersuchung anonymisierter Transaktionen beschränkte. Das Finanzamt Freiburg-Land übersandte die betreffenden Unterlagen an das für den Beschwerdeführer zuständige Finanzamt Stuttgart I. Dieses leitete daraufhin eine eigene Steuerfahndung ein, bei der die Wohnung und der Arbeitsplatz des Beschwerdeführers durchsucht wurden. Im Ergebnis dieser Untersuchung erließ das Finanzamt Stuttgart I geänderte Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1989 bis 1999 und erhöhte die Vorauszahlungen für 2001. Der Beschwerdeführer beantragte beim Finanzgericht Baden-Württemberg die Aussetzung der Vollziehung dieser Bescheide. Mit seinen Beschlüssen vom 16. April 2002 lehnte das Finanzgericht diese Anträge ab. Ein Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung einer Beschwerde beim Bundesfinanzhof wurde vom Finanzgericht am 30. Juli 2002 abgewiesen. Außerdem wurde gegen den Beschwerdeführer aufgrund der Sachverhalte ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Der Beschwerdeführer vertrat die Ansicht, dass die von ihm vorgenommenen Transfers in den Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit fallen. Somit könnten sie keinen Anfangsverdacht einer Steuerhinterziehung begründen. Die deutschen Steuerbehörden hielten jegliche Auslandsüberweisungen per se für verdächtig. Solche Maßnahmen könnten eine abschreckende Wirkung („chilling effect“) auf die Ausübung des Rechts auf freien Kapitalverkehr haben. Die nationalen Behörden müssten das Gemeinschaftsinteresse an der ungehinderten Freiheit des grenzüberschreitenden Transfers von Kapital berücksichtigen. Dies hätten die Steuerbehörden und das Finanzgericht in seinem Fall nicht getan. Das Finanzgericht habe die Wertpapiertransfers mit der Begründung beanstandet, dass sie ohne wirtschaftlichen Grund erfolgt seien. Nach Ansicht des Beschwerdeführers stellte das Erfordernis eines wirtschaftlichen Grundes für eine Auslandsüberweisung eine verschleierte Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit dar. Außerdem liege eine Diskriminierung vor, da für einen Transfer zu einer inländischen Bank kein wirtschaftlicher Grund verlangt werde und da nicht-wirtschaftliche Gründe außer Acht gelassen würden. Abschließend erklärte der Beschwerdeführer, dass die Eingriffe der deutschen Steuerbehörden unverhältnismäßig seien, da das Amtsgericht Freiburg in seinem Beschluss über die Durchsuchung der Volksbank Freiburg betont habe, dass sich die Untersuchung auf Transaktionen beschränken hätte müssen, die anonymisiert oder unter Angabe von Phantasie- oder Aliasnamen durchgeführt wurden. Somit habe sogar ein absolutes Verwertungsverbot hinsichtlich der bei dieser Durchsuchung gefundenen Informationen zu seinem Transfer bestanden.

Am 2. September 2002 legte der Beschwerdeführer bei der Kommmission eine Beschwerde ein (Az. 2002/5041), in der er geltend machte, dass die Entscheidung des Finanzgerichts vom 30. Juli 2002 die Bestimmungen des EG-Vertrags über den freien Kapital- und Zahlungsverkehr verletze. Er regte die Einleitung eines Verfahrens nach Artikel 226 durch die Kommission an. In ihrer Erwiderung vom 19. November 2002 führte die Kommission aus: „In diesem Zusammenhang ist nicht ersichtlich, dass das Finanzamt einen konkreten Anfangsverdacht für eine Steuerhinterziehung in Ihrem Fall damit begründet, dass kein wirtschaftlicher Grund für einen Wertpapiertransfer vorliege oder gar grundsätzlich ein Erfordernis eines wirtschaftlichen Grundes für Auslandstransfers formuliert.“ Nach Ansicht der Kommission hatte das deutsche Gericht lediglich befunden, dass ein solcher Anfangsverdacht nachvollziehbar sei, wenn sich der entsprechende Auslandstransfer als unwirtschaftlich darstellt. Die Kommission teilte dem Beschwerdeführer mit, dass sie daher die Einstellung des Falles beabsichtige, wenn der Beschwerdeführer keine neue Informationen übermitteln könne.

Der Beschwerdeführer vertrat die Auffassung, dass die Kommission in ihrem Schreiben vom 19. November 2002 die Aussagen des Finanzgerichts verfälscht habe, indem sie sie durch eine Stellungnahme des Antragsgegners (Finanzamt Stuttgart I) ersetzte, die das Finanzgericht gerade nicht übernommen habe.

Der Beschwerdeführer erhob in mehreren weiteren Schreiben Einwände gegen die Haltung der Kommission. In ihren Erwiderungen vom 13. Januar und 3. Februar 2003 blieb die Kommission jedoch bei ihrem Standpunkt.

In seiner Beschwerde an den Bürgerbeauftragten ficht der Beschwerdeführer 1) die Weigerung der Kommission an, ein Verfahren nach Artikel 226 einzuleiten, und behauptet 2), dass die Kommission die Tatsachen verfälscht habe.

DIE UNTERSUCHUNG

Die Stellungnahme der Kommission

In ihrer Stellungnahme führte die Kommission Folgendes aus:

1. Hintergrund des Falles

Nach deutschem Recht seien steuerliche Ermittlungen nur dann begründet, wenn ein ausreichender steuerstrafrechtlicher Anfangsverdacht vorliegt. Laut Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 6. Februar 2001 liege eine Verletzung des durch Artikel 56 EG-Vertrag geschützten Rechts auf Kapitalverkehrsfreiheit vor, wenn eine Steuerfahndung ausschließlich damit begründet wird, dass ein grenzüberschreitender Vermögenstransfer von einer inländischen zu einer ausländischen Bank stattgefunden hat.

In einer vorausgegangenen Beschwerde an die Kommission vom 3. September 2001 (Az. 2001/5037) habe der Beschwerdeführer das Vorgehen gegen seine Bank und gegen ihn selbst (d. h. Durchsuchung und Beschlagnahme von Unterlagen) als rechtswidrig bezeichnet. Da sich jedoch kein Hinweis auf einen Verstoß gegen Artikel 56 EGV gefunden habe, sei der Fall von der Kommission am 25. Januar 2002 eingestellt worden.

Daraufhin habe der Beschwerdeführer eine weitere Beschwerde eingelegt (Az. 2002/5041), in der er die Entscheidungen des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 16. April 2002 und insbesondere die Entscheidung des Finanzgerichts vom 30. Juli 2002 anfocht, mit der sein Antrag auf Aufhebung der Entscheidungen vom 16. April 2002 abgewiesen wurde. Aus der Entscheidung vom 30. Juli 2002 habe der Beschwerdeführer den Schluss gezogen, dass nach Auffassung des Gerichts grenzüberschreitende Wertpapierübertragungen generell nur aus wirtschaftlichen Gründen zulässig seien und dass dies eine verschleierte Beschränkung gemäß Artikel 58 Absatz 3 EGV darstelle.

2. Verfahrensstand

Die Beschwerde (Az. 2002/5041) sei vom Beschwerdeführer am 2. September 2002 eingereicht worden. Am 27. September 2002 sei der Beschwerdeführer aufgefordert worden, weitere Unterlagen vorzulegen. Diese habe er am 8. Oktober 2002 übermittelt. Eine Prüfung durch die Kommissionsdienstellen habe ergeben, dass nichts auf eine willkürliche Diskriminierung von Auslandstransfers im Sinne von Artikel 58 Absatz 3 EGV schließen ließ. Am 19. November 2002 sei dem Beschwerdeführer mit Zustimmung des Juristischen Dienstes der Kommission mitgeteilt worden, dass die Kommission die Einstellung des Verfahrens beabsichtigte. Nach weiteren Darlegungen des Beschwerdeführers vom 28. November 2002 und 23. Dezember 2002 habe ihn die Kommission erneut über die beabsichtigte Einstellung des Verfahrens informiert.

3. Stellungnahme der Kommission zu den Argumenten des Beschwerdeführers

In seiner Beschwerde an den Bürgerbeauftragten habe sich der Beschwerdeführer auf Einwände bezogen, welche die Rechtmäßigkeit verschiedener Durchsuchungsbeschlüsse betrafen. Alle diese Einwände seien Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen gewesen. Der Durchsuchungsbeschluss gegen die Bank des Beschwerdeführers in Freiburg sei durch Entscheidung des Landgerichts Freiburg vom 26. Januar 2000 aufgehoben worden. Was die Behauptung des Beschwerdeführers angehe, dass dies ein absolutes Verwertungsverbot bedingt, sei darauf hinzuweisen, dass es im deutschen Recht keine eindeutige Bestimmung gebe, die eine Verwertung nicht rechtmäßig erhaltener Informationen ausschließe (Doktrin „Frucht vom vergifteten Baum“), und dass sich Hinweise darauf lediglich im Fallrecht fänden. Der Beschwerdeführer habe beim Landgericht Stuttgart eine Beschwerde gegen die gegen ihn eingeleitete Steuerfahndung eingereicht. Das Gericht habe diese Beschwerde am 19. Januar 2001 abgewiesen. Die Rechtmäßigkeit der Beschlagnahme der Unterlagen des Beschwerdeführers sei durch eine Entscheidung des Amtsgerichts Stuttgart vom 23. Januar 2001 bestätigt worden.

Gemäß Artikel 2 Absatz 7 des Statuts des Bürgerbeauftragten sei die Beschwerde unzulässig, soweit es dabei um Fragen gehe, die Gegenstand dieser abgeschlossenen Gerichtsverfahren sind.

In Bezug auf die Einwände des Beschwerdeführers gegen die Weigerung der Kommission, ein Verfahren gemäß Artikel 226 EGV einzuleiten, sei darauf hinzuweisen, dass in Übereinstimmung mit dem Fallrecht des Gemeinschaftsgerichte es im Ermessen der Kommission liege, ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten.

Der Beschwerdeführer habe behauptet, dass das Finanzgericht in seiner Entscheidung vom 30. Juli 2002 den Anfangsverdacht eines Steuervergehens ungerechtfertigterweise mit der Begründung aufrecht erhalten habe, dass der Wertpapiertransfer ohne wirtschaftlichen Grund erfolgt sei. Der einschlägige Passus in der Entscheidung des Gerichts habe folgenden Wortlaut:

„Ausschlaggebend für die Entscheidung des Senats [in seinen Beschlüssen vom 16.4.2002] war, dass der Transfer der Wertpapiere auf eine ausländische Bank ohne wirtschaftlichen Grund erfolgte. … Da jedoch tragend für die Entscheidung des Senats das Fehlen von wirtschaftlichen Gründen für den Transfer war, ist es nicht erheblich, dass nur ein Teil des Depots transferiert worden war.“

Dies habe sich auf die vorangegangenen Entscheidungen des Finanzgerichts vom 16. April 2002 bezogen, die folgenden einheitlichen Wortlaut haben:

„Im Übrigen entspricht es nach Auffassung des Senates keineswegs banküblichem Auslandsverkehr, wenn ein bestehendes Depot insgesamt ohne erkennbaren wirtschaftlichen Grund auf eine ausländische Bank transferiert wird. Denn Schuldner und Gläubiger der Kapitalforderungen bleiben identisch, lediglich die Verwaltung der Forderungen wechselt. Vielmehr bejaht der Senat bei diesem Sachverhalt den Anfangsverdacht einer Steuerhinterziehung.“

Was „ohne erkennbaren wirtschaftlichen Grund“ und „Fehlen von wirtschaftlichen Gründen“ in diesem Kontext bedeutet, werde deutlich, wenn man Abschnitt I der Begründung der Entscheidungen vom 16.4.2002 heranziehe, der folgenden Wortlaut hat:

„[Das Finanzamt Stuttgart I] trägt zur Begründung vor, die Ermittlungen der Steuerfahndung beruhten auf rechtmäßigen Ermittlungshandlungen: Der [Beschwerdeführer] habe ein eigenes Depot mit festverzinslichen Wertpapieren ins Ausland transferiert. Dafür gebe es keinerlei wirtschaftliche Gründe, da die Kosten für dieses Depot im Ausland höher seien.“

Aus dem Sachverhalt gehe dabei nicht hervor, dass das Finanzgericht einen Anfangsverdacht einer Steuerhinterziehung in diesem Fall damit begründete, dass es keine wirtschaftlichen Gründe für einen Wertpapiertransfer gegeben habe oder dass das Gericht sogar ein allgemeines Erfordernis wirtschaftlicher Gründe für grenzüberschreitende Transfers aufgestellt habe. Eine eingehende Analyse aller vorgelegten Gerichtsentscheidungen führe eindeutig zu dem Schluss, dass das Gericht einen Anfangsverdacht der Steuerhinterziehung aufrechterhält, wenn der grenzüberschreitende Transfer wirtschaftlich nachteilig ist. Das Finanzamt habe in dem betroffenen Verfahren die unbestrittene Behauptung aufgestellt, dass die Kosten für das ausländische Depot höher seien. Entgegen den Behauptungen des Beschwerdeführers seien die Untersuchungsmaßnahmen gegen den Beschwerdeführer daher auf den Umstand, dass der Transfer wirtschaftlich nachteilig gewesen sei, nicht jedoch auf den Umstand, dass keine wirtschaftlichen Gründe vorgelegen hätten.

Der Beschwerdeführer behaupte, dass er für den Transfer wirtschaftliche und nicht-wirtschaftliche Gründe gehabt habe. Zum Zeitpunkt der Entstehung des Anfangsverdachts seien jedoch solche möglichen Gründe unbekannt gewesen.

Gemäß Artikel 58 Absatz 1 EGV werde durch die Bestimmungen von Artikel 56 über den freien Kapital- und Zahlungsverkehr nicht das Recht der Mitgliedstaaten berührt, die unerlässlichen Maßnahmen zu treffen, um Zuwiderhandlungen gegen innerstaatliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften, insbesondere auf dem Gebiet des Steuerrechts, zu verhindern. Nach den der Kommission vorliegenden Informationen gebe es keine Hinweise darauf, dass die Steuerbehörden oder das Finanzgericht den Anfangsverdacht auf Steuerhinterziehung lediglich auf den vorgenommenen Auslandstransfer von Wertpapieren gründeten. Die Fahndung sei vielmehr deshalb eingeleitet worden, weil der vom Beschwerdeführer vorgenommene Auslandstransfer zum damaligen Zeitpunkt wirtschaftlich nachteilig erschien und der Beschwerdeführer sich geweigert hatte, weitere Informationen vorzulegen.

Es liege im Ermessen der Kommission, ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten. In dem vom Beschwerdeführer vorgetragenen Fall liege der Entscheidung keine Tatsachenverfälschung zu Grunde, sondern vielmehr eine Bewertung der vom Beschwerdeführer gelieferten Informationen.

Die Anmerkungen des Beschwerdeführers

In seinen Anmerkungen erhielt der Beschwerdeführer seine Beschwerde aufrecht und machte folgende weitere Ausführungen:

Nach der Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 6. Februar 2001 seien steuerliche Ermittlungen nur dann zulässig, wenn ein hinreichender steuerstrafrechtlicher Anfangsverdacht besteht. Somit könne eine Steuerfahndung ausschließlich damit begründet werden, dass ein anonymer Vermögenstransfer von einer inländischen zu einer ausländischen Bank stattgefunden hat. Auf die Frage, ob für den Auslandstransfer ein wirtschaftlicher Grund bestand bzw. ob der Transfer wirtschaftlich nachteilig erschien, komme es nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nicht an.

Einem Schreiben des Finanzamts Freiburg-Land an das Finanzamt Stuttgart zufolge sei die steuerrechtliche Ermittlung in diesem Falle eingeleitet worden, weil “die Übertragung festverzinslicher Wertpapiere auf ein eigenes (!) ausländisches Depot keinen wirtschaftlichen Sinn ergibt und die Übertragung in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Einführung des Zinsabschlages [in Deutschland] stand. Die Unterlagen wurden als Zufallsfunde behandelt, weil sie wegen der richterlichen Beschränkung nicht vom [Durchsuchungsbeschluss] gedeckt waren.“

Am 4. September 1998 habe das Amtsgericht Freiburg den Antrag des Finanzamts Freiburg-Land, die Beschlagnahem dieser Dokumente zu bestätigen, abgelehnt, weil die im Durchsuchungsbeschluss vom 22. April 1998 aufgenommene richterliche Beschränkung sonst gegenstandslos würde. Das Landgericht Freiburg habe diese Entscheidung am 4. März 1999 bestätigt. Dessen ungeachtet seien die Unterlagen am 9. August 1999 an das Finanzamt Stuttgart I übersandt worden. Schon in der Übersendung der Unterlagen liege eine Verletzung des Rechts auf freien Kapitalverkehr.

Nachdem das Landgericht Freiburg am 26. Januar 2000 den Durchsuchungsbeschluss vom 22. April 1998 aufgehoben hatte, seien die betreffenden Vorgänge an die Volksbank Freiburg zurückgegeben worden. Dabei sei offensichtlich übersehen worden, dass bereits Kopien der Unterlagen an das Finanzamt Stuttgart übersandt worden waren. Auch darin liege ein rechtswidriger Eingriff in die Kapitalverkehrsfreiheit des Beschwerdeführers.

Am 14. November 2000 habe das Finanzamt Stuttgart gleichwohl einen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss beantragt und den Anfangsverdacht mit der Übertragung von Wertpapieren auf ein Konto bei einer schweizerischen Bank begründet.

Die Frage, ob dieser Transfer wirtschaftlich nachteilig war, sei zum Zeitpunkt der Beschlagnahme der Unterlagen am 26. Juni 1998 überhaupt nicht geprüft worden. Diese Frage sei erst in den Verfahren vor dem Finanzgericht Ende 2001 und 2002 erheblich geworden, da das Finanzamt Stuttgart I mit dem aus seiner Sicht fehlenden wirtschaftlichen Sinn dieser Übertragung argumentierte. Es sei nicht zulässig, diese Frage auf das Jahr 1998 zurückzuprojizieren. Der Beschwerdeführer habe diese Frage 2001/2002 zunächst nicht beantwortet, weil sie nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes und des Bundesverfassungsgerichts für das Vorliegen eines Anfangsverdachts keine Rolle spielte.

Das Erfordernis eines wirtschaftlichen Grundes bzw. eines nicht wirtschaftlich nachteiligen Transfers stelle eine willkürliche Diskriminierung sowie eine verschleierte Beschränkung des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs im Sinne von Artikel 58 Absatz 3 EG-Vertrag dar.

DIE ENTSCHEIDUNG

1 Einleitende Bemerkungen

1.1 Der Beschwerdeführer, ein deutscher Staatsbürger, übertrug Wertpapiere von seinem Depot bei der Volksbank Freiburg (einer deutschen Bank) auf eine Schweizer Bank. Nach seiner Aussage handelte es sich um ein bankübliches Geschäft, das offen und unter seinem eigenen Namen abgeschlossen wurde. Im Rahmen von Ermittlungen bei der Volksbank Freiburg auf der Grundlage eines Durchsuchungsbeschlusses vom 22. April 1998 fand das Finanzamt Freiburg-Land auch Unterlagen über die besagten Auslandstransfers. Nach Ansicht des Beschwerdeführers überschritt die Steuerfahndung damit ihr Mandat, das sich auf die Untersuchung anonymisierter Transaktionen beschränkte. Das Finanzamt Freiburg-Land übersandte die betreffenden Unterlagen in der Folge an das für den Beschwerdeführer zuständige Finanzamt Stuttgart I. Dieses leitete daraufhin eine eigene Steuerfahndung ein, bei der die Wohnung und der Arbeitsplatz des Beschwerdeführers durchsucht wurden. Im Ergebnis dieser Untersuchung erließ das Finanzamt Stuttgart I geänderte Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1989 bis 1999 und erhöhte die Vorauszahlungen für 2001. Der Beschwerdeführer beantragte beim Finanzgericht Baden-Württemberg die Aussetzung der Vollziehung dieser Bescheide. Mit seinen Beschlüssen vom 16. April 2002 lehnte das Finanzgericht diese Anträge ab. Ein Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung einer Beschwerde beim Bundesfinanzhof wurde vom Finanzgericht am 30. Juli 2002 abgewiesen. Am 2. September 2002 wandte sich der Beschwerdeführer an die Europäische Kommission. Diese teilte ihm jedoch mit Schreiben vom 19. November 2002 mit, dass sie keinen Anlass zum Eingreifen sehe. In weiteren Schreiben vom 13. Januar und 3. Februar 2003 hielt die Kommission an diesem Standpunkt fest.

1.2 In seiner Beschwerde an den Bürgerbeauftragten trägt der Beschwerdeführer vor, dass die Europäische Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren nach Artikel 226 EG-Vertrag hätte einleiten sollen. Er vertritt die Auffassung, dass die deutschen Steuerbehörden und das Finanzgericht in seinem Falle die Bestimmungen über den freien Kapitalverkehr verletzt hätten.

1.3 Um etwaige Zweifel auszuschließen, sei daran erinnert, dass der Europäische Bürgerbeauftragte laut Artikel 195 EG-Vertrag befugt ist, Beschwerden über Missstände bei der Tätigkeit der Organe oder Institutionen der Gemeinschaft, mit Ausnahme des Gerichtshofs und des Gerichts erster Instanz in Ausübung ihrer Rechtsprechungsbefugnisse, entgegenzunehmen. Somit erstreckt sich das Mandat des Europäischen Bürgerbeauftragten nicht auf die Untersuchung von Beschwerden gegen andere Organe oder Einrichtungen wie beispielsweise nationale Steuerbehörden und Gerichte. Daher bezieht sich die vorliegende Entscheidung ausschließlich auf die Beschwerde gegen die Europäische Kommission.

1.4 Die Kommission weist in ihrer Stellungnahme darauf hin, dass alle Einwände des Beschwerdeführers bezüglich der Rechtmäßigkeit verschiedener Durchsuchungsbeschlüsse Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen gewesen seien. Gemäß Artikel 2 Absatz 7 des Statuts des Bürgerbeauftragten(1) sei die Beschwerde daher unzulässig, soweit es dabei um Fragen gehe, die Gegenstand dieser abgeschlossenen Gerichtsverfahren sind.

1.5 Anzumerken ist, dass der Europäische Bürgerbeauftragte gemäß Artikel 1 Absatz 3 und Artikel 2 Absatz 7 des Statuts des Bürgerbeauftragten nicht die Rechtmäßigkeit einer gerichtlichen Entscheidung in Frage stellen darf und dass er eine Beschwerde für unzulässig erklären muss, wenn die behaupteten Sachverhalte bereits Gegenstand eines Gerichtsverfahrens waren. Die vorliegende Beschwerde betrifft jedoch die Entscheidung der Kommission, kein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland einzuleiten. Da diese Entscheidung offensichtlich nicht Gegenstand eines Gerichtsverfahrens gewesen ist, sind die Zweifel der Kommission an der Zulässigkeit unbegründet.

1.6 Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass der Beschwerdeführer bei seiner Argumentation davon ausgeht, dass Entscheidungen deutscher Steuerbehörden, die offenbar Gegenstand von Gerichtsverfahren waren, sowie letztlich auch Entscheidungen eines deutschen Gerichts gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßen hätten. Diese Tatsache wird bei der Untersuchung der Vorwürfe des Beschwerdeführers Berücksichtigung finden (siehe 2.3).

2 Verweigerung der Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens

2.1 Der Beschwerdeführer erhebt Einwände gegen die Weigerung der Kommission, gegen die Bundesrepublik Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren nach Artikel 226 EG-Vertrag einzuleiten. Seiner Meinung nach fällt der von ihm vorgenommenen Transfer in den Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit. Somit könnte er keinen Anfangsverdacht einer Steuerhinterziehung begründen. Die Steuerbehörden und das Finanzgericht hätten das Gemeinschaftsinteresse an einer ungehinderten Freiheit des grenzüberschreitenden Transfers von Kapital nicht berücksichtigt. Das Finanzgericht habe den Wertpapiertransfer mit der Begründung beanstandet, dass er ohne wirtschaftlichen Grund erfolgt sei. Nach Ansicht des Beschwerdeführers stellt ein solches Vorgehen eine verschleierte Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit dar. Außerdem liege eine Diskriminierung vor, da für einen Transfer zu einer inländischen Bank kein wirtschaftlicher Grund verlangt werde und da nicht-wirtschaftliche Gründe außer Acht gelassen würden. Abschließend erklärte der Beschwerdeführer, dass die Eingriffe der deutschen Steuerbehörden unverhältnismäßig seien, da das Amtsgericht Freiburg in seinem Beschluss über die Durchsuchung der Volksbank Freiburg betont habe, dass sich die Untersuchung auf Transaktionen beschränken hätte müssen, die anonymisiert oder unter Angabe von Phantasie- oder Aliasnamen durchgeführt wurden. Somit habe sogar ein absolutes Verwertungsverbot hinsichtlich der bei dieser Durchsuchung gefundenen Informationen zu seinem Transfer bestanden.

2.2 Die Kommission führt in ihrer Stellungnahme aus, dass die Einwände des Beschwerdeführers hinsichtlich der Rechtmäßigkeit verschiedener Durchsuchungsbeschlüsse Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen gewesen seien. Der Durchsuchungsbeschluss gegen die Bank des Beschwerdeführers in Freiburg sei durch eine Entscheidung des Landgerichts Freiburg aufgehoben worden. Nach Ansicht der Kommission gibt es jedoch im deutschen Recht keine eindeutige Bestimmung, die eine Verwertung nicht rechtmäßig erhaltener Informationen ausschließt (Doktrin „Frucht vom vergifteten Baum“), sondern lediglich Hinweise darauf im Fallrecht. Aus dem Sachverhalt gehe nicht hervor, dass das Finanzgericht einen Anfangsverdacht einer Steuerhinterziehung in diesem Fall damit begründete, dass es keine wirtschaftlichen Gründe für einen Wertpapiertransfer gegeben habe oder dass das Gericht sogar ein allgemeines Erfordernis wirtschaftlicher Gründe für grenzüberschreitende Transfers aufgestellt habe. Nach den der Kommission vorliegenden Informationen gebe es keine Hinweise darauf, dass die Steuerbehörden und das Finanzgericht den Anfangsverdacht auf Steuerhinterziehung lediglich auf den vorgenommenen Auslandstransfer von Wertpapieren gegründet hätten. Die Fahndung sei vielmehr deshalb eingeleitet worden, weil der vom Beschwerdeführer vorgenommene Auslandstransfer zum damaligen Zeitpunkt wirtschaftlich nachteilig erschien und der Beschwerdeführer sich geweigert habe, weitere Informationen vorzulegen.

2.3 Zunächst ist anzumerken, dass die Europäische Kommission den Gerichtshof gemäß Artikel 226 EG-Vertrag nur dann anrufen kann, wenn ihrer Meinung nach ein Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht vorliegt. Der Bürgerbeauftragte hält die geschilderten Argumente, mit denen die Kommission ihre Auffassung begründet, dass keine Vertragsverletzung vorliegt, für einleuchtend. Insbesondere hat seiner Ansicht nach die Kommission die Beschlüsse des Finanzgerichts richtig ausgelegt. Der Bürgerbeauftragte weist darauf hin, dass der Beschwerdeführer in seinen Anmerkungen zur Stellungnahme der Kommission erklärt, dass die Frage des fehlenden wirtschaftlichen Sinns der betreffenden Übertragung erst 2001/2002 in den Verfahren vor dem Finanzgericht aufgeworfen worden sei und es nicht zulässig sei, diese Frage auf das Jahr 1998 zurückzuprojizieren, in dem die erste Ermittlung durchgeführt wurde. Mit diesem Argument stellt der Beschwerdeführer faktisch die Rechtmäßigkeit der Beschlüsse des Finanzgerichts vom 16. April 2002 und 30. Juli 2002 in Frage. Wie jedoch schon in Punkt 1.5 betont wurde, darf der Bürgerbeauftragte die Rechtmäßigkeit einer gerichtlichen Entscheidung nicht in Frage stellen. Folglich hat der Beschwerdeführer seinen Vorwurf hinsichtlich der Weigerung der Kommission, ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten, nicht belegt.

2.4 In Anbetracht dessen ergeben sich keine Anhaltspunkte für einen Missstand in der Verwaltungstätigkeit der Europäischen Kommission, was die erste Behauptung anbelangt.

3 Tatsachenverfälschung

3.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, dass folgender Passus im Schreiben der Kommission vom 19. November 2002 eine Tatsachenverfälschung darstelle: „In diesem Zusammenhang ist nicht ersichtlich, dass das Finanzamt einen konkreten Anfangsverdacht für eine Steuerhinterziehung in Ihrem Fall damit begründet, dass kein wirtschaftlicher Grund für einen Wertpapiertransfer vorliege oder gar grundsätzlich ein Erfordernis eines wirtschaftlichen Grundes für Auslandstransfers formuliert.“ Dem Beschwerdeführer zufolge hat die Kommission die Aussagen des Finanzgerichts durch eine Stellungnahme des Finanzamts Stuttgart I ersetzt, die das Finanzgericht gerade nicht übernommen habe.

3.2 Nach Ansicht der Kommission lag ihrer Entscheidung, kein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten, keine Tatsachenverfälschung zu Grunde.

3.3 Wie bereits ausgeführt (siehe 2.3), hat die Kommission die Beschlüsse des Finanzgerichts offenbar richtig ausgelegt.

3.4 In Anbetracht dessen ergeben sich keine Anhaltspunkte für einen Missstand in der Verwaltungstätigkeit der Europäischen Kommission, was die zweite Behauptung anbelangt.

4 Schlussfolgerung

Die Untersuchungen des Bürgerbeauftragten ergaben keine Anhaltspunkte für einen Missstand in der Verwaltungstätigkeit der Europäischen Kommission. Der Bürgerbeauftragte schließt den Fall daher ab.

Der Präsident der Europäischen Kommission wird ebenfalls über diese Entscheidung in Kenntnis gesetzt werden.

Mit freundlichen Grüßen

 

Professor Dr. P. Nikiforos DIAMANDOUROS


(1) Beschluss 94/262 des Europäischen Parlaments vom 9. März 1994 über die Regelungen und allgemeinen Bedingungen für die Ausübung der Aufgaben des Bürgerbeauftragten, ABl. 1994 L 113, S. 15.