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Entscheidung des Europäischen Bürgerbeauftragten zur Beschwerde 926/99/VK gegen die Europäische Kommission
Decision
Case 926/99/VK - Opened on Tuesday | 05 October 1999 - Decision on Tuesday | 28 November 2000
Straßburg, 28. November 2000
Sehr geehrter Herr W.,
am 19. Juli 1999 reichten Sie beim Europäischen Bürgerbeauftragten eine Beschwerde gegen den Obersten Rat der Europäischen Schulen ein im Zusammenhang mit dem Versäumnis, besondere Bestimmungen für behinderte Lehrkräfte vorzusehen.
Aufgrund der Art der Behauptung und der Tatsache, dass die Europäische Kommission im Obersten Rat der Europäischen Schulen vertreten ist und einen Großteil der Gesamtausgaben dieser Schulen finanziert, wurde die Beschwerde zwecks Abgabe einer Stellungnahme an die Kommission weitergeleitet.
Am 5. Oktober 1999 leitete ich die Beschwerde an den Präsidenten der Europäischen Kommission weiter. Am 31. Januar 2000 erhielt ich die Stellungnahme der Kommission. Diese leitete ich an Sie weiter mit der Aufforderung, Bemerkungen dazu zu machen, die ich am 13. März 2000 erhielt.
Nun möchte ich Ihnen die Ergebnisse der durchgeführten Untersuchungen mitteilen.
BESCHWERDE
Der Beschwerdeführer ist eine Lehrkraft, die seit dem Jahre 1988 aufgrund der Folgen eines Autounfalls schwerbehindert ist. Seit September 1993 ist der Beschwerdeführer vom niedersächsischen Kultusminister, Deutschland, als Lehrkraft an die Europäische Schule in Luxemburg abgeordnet.
Im Oktober 1998 reichte der Beschwerdeführer beim Obersten Rat der Europäischen Schulen eine Beschwerde ein im Zusammenhang mit der Tatsache, dass in dem Statut des abgeordneten Personals der Europäischen Schulen keine besondere Bestimmungen für behinderte Lehrkräfte vorgesehen sind. Er machte darauf aufmerksam, dass diese Bestimmungen insbesondere im Lichte der Regierungserklärung im Anhang des Vertrags von Amsterdam, die feststellt, dass „die Organe der Gemeinschaft ….. den Bedürfnissen von Personen mit einer Behinderung Rechnung tragen"(1) vorgesehen sein müssten. Der Beschwerdeführer verweist ferner auf den Umstand, dass sein ursprünglicher Arbeitgeber, das Land Niedersachsen, behinderten Lehrkräften in Form einer Stundenreduzierung, so, wie in einer Verordnung über die Arbeitszeit der Lehrkräfte vorgesehen, eine besondere Anerkennung zuteil werden lässt.
In seiner Antwort auf die Beschwerde stellte der Oberste Rat fest, dass in dem Statut des abgeordneten Personals der Europäischen Schulen keine besonderen Bestimmungen für behinderte Lehrkräfte, beispielsweise in Form einer Stundenreduzierung, vorgesehen sind. Das Statut könne jedoch abgeändert werden. Ein entsprechender Antrag müsse entweder von der nationalen Delegation im Obersten Rat oder vom Personalausschuss eingereicht werden. Dem Beschwerdeführer wurde außerdem mitgeteilt, dass nationale Rechtsvorschriften, wie beispielsweise die des Landes Niedersachsens, keinen Einfluss auf die im Statut der Europäischen Schulen festgelegten Bestimmungen haben.
Vor diesem Hintergrund reichte der Beschwerdeführer eine Beschwerde beim Europäischen Bürgerbeauftragten ein. Er führte an, dass er als behinderte Lehrkraft anerkannt werden müsste und dass somit im Statut des abgeordneten Personals der Europäischen Schulen für behinderte Lehrkräfte besondere Bestimmungen, wie beispielsweise eine Stundenreduzierung, vorgesehen sein müssten.
UNTERSUCHUNG
Stellungnahme der Kommission
In ihrer Stellungnahme erklärte die Kommission Folgendes:
Nach dem Abkommen vom 12. April 1957 obliege die Verwaltung der Europäischen Schulen einem Obersten Rat. In diesem zwischenstaatlichen gemeinschaftsexternen Organ seien die Vertragsparteien durch ihre Minister für Bildung und/ oder kulturelle Beziehungen zum Ausland vertreten.
Nach dem Abkommen zwischen dem Obersten Rat und der EGKS vom 11. Dezember 1957 beteiligte sich die Europäische Gemeinschaft, die einen Sitz im Obersten Rat hat, lediglich mit einem jährlichen Zuschuss an den Betriebskosten der Schulen.
Nach den vom Obersten Rat beschlossenen Regelungen würden die Lehrkräfte von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten an die Schulen abgestellt oder abgeordnet. Während dieser Zeit gelten für sie die Bestimmungen des Statuts. Dieses sehe weder Ausgleichszahlungen noch eine Stundenreduzierung für behinderte Lehrkräfte vor. Für alle Tätigkeiten, deren Ausführung sich wegen einer Behinderung schwierig gestalten könnten, stellten die Schulen selbstverständlich Hilfen bereit.
Demnach sei die Kommission nicht befugt, tätig zu werden:
- im Zusammenhang mit der Abordnung und Abstellung von Lehrkräften; die Zuständigkeit hierfür liegt ausschließlich bei den nationalen Behörden und den Direktoren der jeweiligen Schulen;
- im Zusammenhang mit der Regelung der Beschäftigungsbedingungen, die Teil des Arbeitsverhältnisses zwischen der Schule und dem Lehrpersonal sind;
- im Zusammenhang mit Streitigkeiten, die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergeben, wenn diese administrative oder rechtliche Fragen betreffen, für die der Vertreter des Obersten Rates beziehungsweise die Beschwerdekammer zuständig sind.
Gleichwohl habe die Kommission mit den zuständigen Stellen der Europäischen Schule in Luxemburg Kontakt aufgenommen und um weitere Auskünfte in dieser Angelegenheit gebeten. Nach den Auskünften des Vertreters des Obersten Rates und der Leitung der Europäischen Schule in Luxemburg sei der Beschwerdeführer im September 1993 von den deutschen Behörden an die Europäische Schule in Luxemburg abgestellt worden. Der Unfall, der zu der Behinderung des Beschwerdeführers führte, habe sich vor dessen Abstellung zur Europäischen Schule ereignet. In dem Vorstellungsgespräch habe der Beschwerdeführer sein Einverständnis mit der Aufnahme einer Lehrtätigkeit nach den im Statut festgelegten Bedingungen erklärt.
Die vom Beschwerdeführer eingereichte Verwaltungsbeschwerde gemäß Artikel 79 des Statuts betreffend die Anerkennung seiner Forderungen im Zusammenhang mit seiner Behinderung sei am 21. Oktober 1999 von dem Vertreter des Obersten Rates abgelehnt worden. Die Ablehnung sei damit begründet worden, dass die Europäischen Schulen nicht verpflichtet sind, den in einzelnen Mitgliedstaaten geltenden Vorschriften für Behinderte Rechnung zu tragen. Vielmehr seien sie an das vom Verwaltungsrat beschlossene Statut gebunden, dass dem Beschwerdeführer zum Zeitpunkt seiner Benennung bekannt war und dessen Bestimmungen er akzeptiert hatte.
Nach Maßgabe von Artikel 80 des Statuts könne der Beschwerdeführer binnen drei Monaten bei der Beschwerdekammer Klage gegen diese Entscheidung des Vertreters des Obersten Rates erheben. Dieses Organ besitze die erst- und letztinstanzlich ausschließliche Zuständigkeit für alle Streitigkeiten zwischen den Verwaltungsorganen der Schule und dem Personal im Zusammenhang mit der Rechtmäßigkeit von Handlungen, durch die ein Personalmitglied Schaden erleidet.
Bemerkungen des Beschwerdeführers
In seinen Bemerkungen erhielt der Beschwerdeführer seine Beschwerde aufrecht.
Der Beschwerdeführer bestätigte, dass er sich mit den Bedingungen des Statuts des abgeordneten Personals der Europäischen Schule in Luxemburg einverstanden erklärt hatte. Des Weiteren verwies er darauf, dass er mit diesem Einverständnis jedoch zu keiner Zeit auf sein Recht verzichtete, Veränderungen dieses Statuts zu initiieren.
ENTSCHEIDUNG
1 Das mutmaßliche Versäumnis, den Beschwerdeführer als behinderte Lehrkraft an den Europäischen Schulen anzuerkennen
1.1 Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, dass das Statut des abgeordneten Personals der Europäischen Schulen, in dem das Arbeitsverhältnis zwischen der Schule und dem Lehrpersonal geregelt ist, die besonderen Bedürfnisse der behinderten Lehrkräfte anerkennen sollte und somit besondere Bestimmungen in dem Statut des abgeordneten Personals der Europäischen Schulen vorgesehen sein sollten, wie beispielsweise eine Stundenreduzierung für behinderte Lehrkräfte.
1.2 Aufgrund der Art der Behauptung und der Tatsache, dass die Europäische Kommission im Obersten Rat der Europäischen Schulen vertreten ist und einen Großteil der Gesamtausgaben der Schulen finanziert, wurde die Beschwerde zwecks Abgabe einer Stellungnahme an die Kommission weitergeleitet.
1.3 Die Kommission verwies darauf, dass die Zuständigkeit für die im Statut der Schulen verankerten Beschäftigungsbedingungen für das Lehrpersonal an den Schulen ausschließlich beim Obersten Rat liege, einem zwischenstaatlichen gemeinschaftsexternen Organ.
1.4 Der Bürgerbeauftragte erinnert daran, dass sich die Kommission an den Betriebskosten der Schulen beteiligt und einen Sitz im Obersten Rat hat.
1.5 Der Oberste Rat beschließt das Statut des abgeordneten Personals der Europäischen Schulen, in dem die für das abgeordnete Lehrpersonal geltenden Beschäftigungsbedingungen geregelt sind. Dieses Statut sieht keine besonderen Bestimmungen für behindertes Lehrpersonal vor.
1.6 Die Europäische Union wird nach dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit und dessen allgemeinen Prinzipien regiert. Einer dieser Grundwerte soll die Chancengleichheit aller Mitglieder der Gesellschaft gewährleisten. Die Gemeinschaft hat sich zum Ziel gesetzt, den Bedürfnissen behinderter Menschen Rechnung zu tragen. Das Europäische Parlament(2) und der Wirtschafts- und Sozialausschuss haben die Europäische Kommission aufgefordert, weitere Schritte zur Bekämpfung der Diskriminierung in diesem Bereich zu unternehmen. In ihrem Weißbuch zur europäischen Sozialpolitik vertritt die Kommission die Auffassung, dass bei der nächsten Gelegenheit, die sich für eine Überarbeitung der Verträge bietet, "die Einführung einer ausdrücklichen Erwähnung der Bekämpfung der Diskriminierung aufgrund von (…) Behinderung ernsthaft erwogen werden muss"(3). In diesem Zusammenhang hat sich die Kommission dazu verpflichtet, weitere Maßnahmen zu ergreifen, um die Bedeutung dieses Aspekts hervorzuheben.
1.7 Aus diesem Grund ist der Bürgerbeauftragte der Ansicht, dass es im Sinne guter Verwaltungspraxis wäre, die notwendigen Schritte zur Änderung des Statuts des abgeordneten Personals der Europäischen Schulen einzuleiten und besondere Bestimmungen für behindertes Personal einzuführen. Der Bürgerbeauftragte wurde davon in Kenntnis gesetzt, dass die Kommission Vorschläge zur Änderung des Statuts des abgeordneten Personals der Europäischen Schulen vorgelegt hat, damit der Oberste Rat die Einführung von Bestimmungen zugunsten des behinderten Personals in Erwägung zieht.
Die Untersuchungen des Bürgerbeauftragten ergaben, dass der Europäischen Kommission in diesem Fall kein Missstand in der Verwaltungstätigkeit vorzuwerfen ist.
2 Schlußfolgerung
Auf der Grundlage der vom Europäischen Bürgerbeauftragten zu dieser Beschwerde durchgeführten Untersuchungen ist kein Missstand in der Verwaltungstätigkeit der Europäischen Kommission zu erkennen. Der Bürgerbeauftragte hat daher den Fall abgeschlossen.
Der Präsident der Kommission wird von dieser Entscheidung ebenfalls unterrichtet werden.
Mit freundlichen Grüßen
Jacob SÖDERMAN
(1) Erklärung Nr. 22 zu Personen mit einer Behinderung im Anhang des Vertrags von Amsterdam
(2) ABl. C 17/96 vom 22. Januar 1996
(3) Weißbuch zur europäischen Sozialpolitik, 17. Juli 1994, KOM(94)333 endgültig, S. 40
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