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Sonderbericht des Europäischen Bürgerbeauftragten an das Europäische Parlament im Anschluss an den Empfehlungsentwurf an die Europäische Kommission in der Beschwerde 289/2005/(WP)/GG

(vorgelegt gemäß Artikel 3 Absatz 7 des Europäischen Bürgerbeauftragten[1])

Einleitung

Der Bürgerbeauftragte ist der Ansicht, dass der vorliegende Fall eine wichtige Grundsatzfrage aufwirft, und zwar die Frage, ob die Kommission berechtigt ist, die Bearbeitung von Beschwerden über die Verletzung des Gemeinschaftsrechts durch einen Mitgliedstaat aus dem Grund auf unbestimmte Zeit hinauszuzögern, dass sie nicht in der Lage ist, zu einer politischen Einigung über das weitere Vorgehen zu kommen. Der Bürgerbeauftragte ist der Ansicht, dass die Kommission, obwohl sie in Vertragsverletzungsverfahren über ein Ermessen verfügt, verpflichtet ist, eine Vertragsverletzungsbeschwerde innerhalb angemessener Frist zu bearbeiten. Im vorliegenden Fall hat sich die Kommission im Wesentlichen auf die Feststellung beschränkt, (i) dass sie die Beschwerde für eine "politisch höchst sensible" Angelegenheit halte und (ii) dass eine Entscheidung zur Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens die Zustimmung des Kollegiums der Kommissionsmitglieder erfordere und die Kommission bisher nicht in der Lage gewesen sei, eine solche Entscheidung zu treffen. Nach der Ansicht des Bürgerbeauftragten entbinden diese Erwägungen die Kommission nicht von ihrer Pflicht, solche Beschwerden ordnungsgemäß zu bearbeiten. Der Bürgerbeauftragte vertritt daher die Auffassung, dass die Angelegenheit dem Europäischen Parlament vorgelegt werden sollte.

Die Beschwerde

Der Beschwerdeführer war in Niedersachsen (Deutschland) als Anbieter von Sportwetten tätig. Im Januar 2005 reichte er über seinen Anwalt eine Beschwerde beim Bürgerbeauftragten ein, in der er vortrug, dass ihm die deutschen Behörden das weitere Anbieten von Sportwetten verboten und ihn somit an der Gewerbeausübung gehindert hätten. Nach Ansicht des Beschwerdeführers stellte dieses Verhalten der deutschen Behörden einen Verstoß gegen das EU-Recht im Allgemeinen und gegen die Dienstleistungsfreiheit im Besonderen dar.

Der Beschwerdeführer erklärte, dass sein Anwalt am 20. Februar 2004 bei der Vertretung der Europäischen Kommission in Berlin eine Vertrags-verletzungsbeschwerde gegen die Bundesrepublik Deutschland und deutsche Behörden eingereicht habe. Auf seine Nachfrage sei ihm schließlich mitgeteilt worden, dass der Vorgang weder bearbeitet noch nach Brüssel weitergegeben worden war. Daraufhin habe sein Anwalt die Beschwerde direkt an die Kommission geschickt, wo sie unter dem Aktenzeichen 2004/4463 registriert wurde.

Mit Schreiben vom 30. November 2004 erkundigte sich der Anwalt des Beschwerdeführers nach dem Stand der Untersuchung. Nach Aussage des Beschwerdeführers erhielt er keine Antwort.

In seiner Beschwerde an den Bürgerbeauftragten erhob der Beschwerdeführer im Wesentlichen den Vorwurf, dass die Kommission seine Vertragsverletzungsbeschwerde nicht ordnungsgemäß bearbeitet habe. Er erklärte, dass eine schnelle Reaktion der Kommission dringend geboten sei, da ihm schwerer Schaden entstehe, weil er in seinem Gewerbe behindert werde.

Die Untersuchung

Die Stellungnahme der Kommission

In ihrer Stellungnahme führte die Kommission Folgendes aus:

Bislang (Juni 2005) habe sie sieben Beschwerden über Deutschland in Bezug auf Glücksspieltätigkeiten registriert (2003/4350, 2003/5288, 2004/4054, 2004/4463, 2004/4899, 2004/4685 und 2005/4017). Diese Beschwerden beträfen nationale Beschränkungen hinsichtlich der Veranstaltung von Glücksspielen, der Werbung für Glücksspiele und der Gründung von entsprechenden Unternehmen.

Die erste Beschwerde eines Anbieters von Sportwetten sei im April 2003 eingegangen. Die Kommission habe kein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, da ein EuGH-Urteil in einem ähnlich gelagerten, Italien betreffenden Vorabentscheidungsverfahren ausstand, das als entscheidend für die Bewertung dieser Beschränkung galt. Das EuGH-Urteil vom 6. November 2003 in der Rechtssache C-243/01 (Gambelli u. a.) habe der Kommission dann tatsächlich eine Richtschnur für die Bewertung solcher Beschwerden geliefert.

Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH habe die Kommission seither die Begründetheit und die Verhältnismäßigkeit mehrerer nationaler Verbote von Dienstleistungen im Zusammenhang mit Sportwetten überprüft und am 30. März 2004 in einem Verfahren gegen Dänemark erstmals eine formelle Aufforderung zur Äußerung verschickt.

Was jedoch Beschränkungen vergleichbar denen anbelange, die der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde an die Kommission ansprach, so habe die Kommission auf ihren Sitzungen am 13. Oktober und 14. Dezember 2004 beschlossen, die Entscheidung über die eventuelle Einleitung von Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland (2003/4350), Italien (2003/4616) und die Niederlande (2002/5443) zurückzustellen. Diese Beschwerden seien nach wie vor anhängig.

Die Vertragsverletzungsbeschwerde des Beschwerdeführers sei am 26. April 2004 eingegangen. Mit Schreiben vom 27. Mai 2004 habe die Kommission den Anwalt des Beschwerdeführers über die Registrierung der Beschwerde informiert.

Per Fax vom 30. November 2004 habe der Beschwerdeführer von der Kommission Kopien ihres Schriftwechsels mit den deutschen Behörden erbeten. Die Kommission habe indes weder bezüglich Sportwetten im Allgemeinen noch bezüglich eines Einzelfalls Kontakt mit deutschen Behörden gehabt.

Die Kommission prüfe nach wie vor bestimmte Aspekte in der Beschwerde des Beschwerdeführers. Am 30. Mai 2005 habe sie dem Anwalt des Beschwerdeführers ein Schreiben übermittelt, worin sie sich zum Stand der Dinge äußerte und um eine Kopie der Buchmacherlizenz des Beschwerdeführers bat.

Zu der Forderung des Beschwerdeführers, die Kommission müsse zügig handeln, sei festzustellen, dass die Kommission nicht befugt sei, in Verfahren einzugreifen oder diese zu beenden oder strafrechtliche Ermittlungen eines Mitgliedstaates zu behindern.

In ihrer „Mitteilung an das Europäische Parlament und den Europäischen Bürgerbeauftragten über die Beziehungen zum Beschwerdeführer bei Verstößen gegen das Gemeinschaftsrecht" (KOM(2002) 141 endg., ABl. C 244 vom 10.10.2002, S. 5) habe die Kommission darauf hingewiesen, dass sie in der Regel binnen eines Jahres ab dem Zeitpunkt der Eintragung der Beschwerde entscheiden wolle, ob eine Aufforderung zur Äußerung versandt oder ob der Vorgang eingestellt wird. Indes habe sie vorausgesehen, dass diese Bestimmung nicht immer eingehalten werden könne. Dies gelte insbesondere dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Begründetheit der nationalen Maßnahme oder deren Verhältnismäßigkeit (mit Blick auf die Erhaltung der öffentlichen Ordnung) schwierig zu beurteilen seien. Die Kommission habe sich verpflichtet, den Beschwerdeführer in solchen Fällen schriftlich zu unterrichten. Dies sei mit dem Schreiben vom 30. Mai 2005 geschehen.

Die Kommission übermittelte eine Kopie ihres Schreibens vom 30. Mai 2005. Darin nahm sie Bezug auf die Vertragsverletzungsbeschwerde des Beschwerdeführers, die nach ihren Angaben am 5. April 2004 eingereicht wurde, sowie auf weitere Schreiben des Beschwerdeführers bzw. seines Anwalts vom 15. Juni 2004, 30. November 2004 und 18. April 2005. Die Kommission erklärte, dass sie sich „intensiv" mit der Beschwerde des Beschwerdeführers sowie anderen Beschwerden in Bezug auf Sportwetten in Deutschland befasse. Zum zeitlichen Rahmen hieß es in dem Schreiben, "dass wegen der besonderen Verfahrensfristen für Untersuchungen der Kommission in Bezug auf Vertragsverletzungen in naher Zukunft wohl noch keine Festlegung des Standpunktes zu erwarten ist".

Die Anmerkungen des Beschwerdeführers

In seinen Anmerkungen trug der Beschwerdeführer vor, dass die Stellungnahme der Kommission hinsichtlich der Zeiten falsch und unvollständig sei, da er bereits am 20. Februar 2004 die Beschwerde an die Vertretung der Kommission in Berlin gesandt habe. Diese Beschwerde sei weder bearbeitet noch weitergeleitet worden. Erst auf telefonische Nachfrage bei der Vertretung habe der Anwalt des Beschwerdeführers erfahren, dass die Beschwerde noch in Berlin lag. Damit sei wertvolle Zeit verloren gegangen. Im Übrigen sei nicht zu erkennen, wie die Kommission weiter verfahren und wann sie endlich Deutschland zu einer Stellungnahme auffordern wolle.

Der Beschwerdeführer fügte Kopien zweier Schreiben an die Kommission vom 5. April 2004 und 4. Juli 2005 bei. In seinem Schreiben an die Kommission vom 5. April 2004 wies der Anwalt des Beschwerdeführers darauf hin, dass er die Beschwerde an die Vertretung der Kommission in Berlin bereits am 20. Februar 2004 eingereicht habe.

Der Empfehlungsentwurf Bürgerbeauftragten

Der Empfehlungsentwurf

Am 27. Juli 2005 unterbreitete der Bürgerbeauftragte der Kommission gemäß Artikel 3 Absatz 6 seines Statuts folgenden Empfehlungsentwurf:

"Die Kommission sollte die Vertragsverletzungsbeschwerde des Beschwerdeführers sorgfältig und ohne ungebührliche Verzögerung bearbeiten."

Dieser Empfehlungsentwurf beruhte auf folgenden Erwägungen:

1 Einleitende Bemerkung

1.1 In seiner Beschwerde an den Bürgerbeauftragten machte der Beschwerdeführer geltend, dass er seine Vertragverletzungsbeschwerde bereits am 20. Februar 2004 über seinen Anwalt an die Vertretung der Kommission in Berlin gesandt habe. Auf seine Nachfrage habe er erfahren, dass der Vorgang weder bearbeitet noch nach Brüssel weitergegeben wurde. Daraufhin habe er die Beschwerde mit Schreiben vom 5. April 2004 direkt an die Kommission geschickt.

1.2 Die Kommission ging in ihrer Stellungnahme nicht auf die Aussage des Beschwerdeführers ein, dass seine Vertragsverletzungsbeschwerde bereits am 20. Februar 2004 eingereicht, doch zunächst nicht bearbeitet worden war.

1.3 Der Bürgerbeauftragte stellte fest, dass der Vorwurf, die Kommission habe das Schreiben, das der Beschwerdeführer nach seinen Angaben an ihre Vertretung in Berlin gesandt hatte, nicht ordnungsgemäß bearbeitet, in der an ihn gerichteten Beschwerde vom Januar 2005 deutlich zum Ausdruck gebracht wurde. Daher war dem Bürgerbeauftragten unverständlich, warum sich die Kommission in ihrer Stellungnahme nicht zu dieser Frage geäußert hatte. Eine diesbezügliche Klärung hätte allerdings weitere Untersuchungen erfordert. Dadurch wäre es unweigerlich zu einer nochmaligen Verzögerung in einer Angelegenheit gekommen, die der Beschwerdeführer als dringend bezeichnet hatte. In Anbetracht der Schlussfolgerungen zu den anderen Aspekten der Beschwerde (siehe Ziffer 2) hielt der Bürgerbeauftragte es daher für das Beste, die genannte Frage von der Untersuchung auszunehmen, um sich so rasch wie möglich dem Kern des Problems zuwenden zu können. Natürlich stand es dem Beschwerdeführer frei, den Bürgerbeauftragten durch eine separate Beschwerde erneut damit zu befassen.

2 Vorwurf der Nichtbearbeitung der Vertragsverletzungsbeschwerde

2.1 Der Beschwerdeführer trug vor, dass die Kommission seine Vertragsverletzungsbeschwerde 2004/4463 nicht ordnungsgemäß bearbeitet habe. Er betonte, dass er sich mit Schreiben vom 30. November 2004 nach dem Bearbeitungsstand erkundigt, jedoch keine Antwort erhalten habe.

2.2 Die Kommission erklärte in ihrer Stellungnahme, dass sie bislang (Juni 2005) sieben Beschwerden gegen Deutschland in Bezug auf Glücksspieltätigkeiten registriert habe (2003/4350, 2003/5288, 2004/4054, 2004/4463, 2004/4899, 2004/4685 und 2005/4017). Die erste Beschwerde eines Anbieters von Sportwetten sei im April 2003 eingegangen; sie habe jedoch kein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, da ein EuGH-Urteil in einem ähnlich gelagerten, Italien betreffenden Vorabentscheidungsverfahren ausstand, das als entscheidend für die Bewertung dieser Beschränkung galt. Das EuGH-Urteil vom 6. November 2003 in der Rechtssache C-243/01 (Gambelli u. a.) habe der Kommission dann tatsächlich eine Richtschnur für die Bewertung solcher Beschwerden geliefert.

Ferner führte die Kommission aus, sie habe vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH seither die Begründetheit und die Verhältnismäßigkeit mehrerer nationaler Verbote von Dienstleistungen im Zusammenhang mit Sportwetten überprüft und am 30. März 2004 in einem Verfahren gegen Dänemark erstmals eine formelle Aufforderung zur Äußerung verschickt.

Was jedoch Beschränkungen vergleichbar denen anbelange, die der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde an die Kommission ansprach, so habe die Kommission auf ihren Sitzungen am 13. Oktober und 14. Dezember 2004 beschlossen, die Entscheidung über die eventuelle Einleitung von Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland (2003/4350), Italien (2003/4616) und die Niederlande (2002/5443) zurückzustellen. Diese Beschwerden seien nach wie vor anhängig.

Per Fax vom 30. November 2004 habe der Beschwerdeführer von der Kommission Kopien ihres Schriftwechsels mit den deutschen Behörden erbeten. Die Kommission habe indes weder bezüglich Sportwetten im Allgemeinen noch bezüglich eines Einzelfalls Kontakt mit deutschen Behörden gehabt.

Die Kommission prüfe nach wie vor bestimmte Aspekte in der Beschwerde des Beschwerdeführers. Am 30. Mai 2005 habe sie dem Anwalt des Beschwerdeführers ein Schreiben übermittelt, worin sie sich zum Stand der Dinge äußerte und um eine Kopie der Buchmacherlizenz des Beschwerdeführers bat.

In ihrer „Mitteilung an das Europäische Parlament und den Europäischen Bürgerbeauftragten über die Beziehungen zum Beschwerdeführer bei Verstößen gegen das Gemeinschaftsrecht" (KOM(2002) 141 endg., ABl. C 244 vom 10.10.2002, S. 5) habe die Kommission darauf hingewiesen, dass sie in der Regel binnen eines Jahres ab dem Zeitpunkt der Eintragung der Beschwerde entscheiden wolle, ob eine Aufforderung zur Äußerung versandt oder ob der Vorgang eingestellt wird. Dies schließe jedoch nicht die Möglichkeit aus, dass eine Untersuchung länger dauern könne. Dies gelte insbesondere dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Begründetheit der nationalen Maßnahme oder deren Verhältnismäßigkeit (mit Blick auf die Erhaltung der öffentlichen Ordnung) schwierig zu beurteilen seien. Die Kommission habe sich verpflichtet, den Beschwerdeführer in solchen Fällen schriftlich zu unterrichten. Dies sei mit dem Schreiben vom 30. Mai 2005 geschehen.

2.3 Es entspricht guter Verwaltungspraxis, dass Schreiben von Bürgern innerhalb einer angemessenen Frist beantwortet werden. Im vorliegenden Fall beantwortete die Kommission das Schreiben des Beschwerdeführers vom 30. November 2004 am 30. Mai 2005, das heißt nach sechs Monaten. Der Bürgerbeauftragte stellte fest, dass für diese erhebliche Verzögerung keine Erklärung oder Entschuldigung vorgebracht worden war. Somit stellte das Versäumnis der Kommission, das Schreiben des Beschwerdeführers vom 30. November 2004 innerhalb einer angemessenen Frist zu beantworten, einen Missstand in der Verwaltungspraxis dar.

2.4 Der Bürgerbeauftragte wies darauf hin, dass sich die Kommission in ihrer „Mitteilung" aus dem Jahre 2002 verpflichtet hatte, binnen eines Jahres ab dem Zeitpunkt der Eintragung der Beschwerde zu entscheiden, ob eine Aufforderung zur Äußerung versandt oder ob der Vorgang eingestellt wird. Die dabei verwendete Formulierung („in der Regel") lässt klar erkennen, dass eine Untersuchung auch länger als ein Jahr dauern kann, sofern dafür stichhaltige Gründe vorliegen, was insbesondere dann der Fall ist, wenn es bei einer Beschwerde um schwierige oder vielschichtige Fragen geht. Wie die Kommission ganz richtig anmerkte, sieht die „Mitteilung" von 2002 vor, dass der Beschwerdeführer in solchen Fällen schriftlich unterrichtet wird.

Allerdings war die Unterrichtung des Beschwerdeführers nach Ansicht des Bürgerbeauftragten nur dann wirklich sinnvoll, wenn zumindest eine Begründung dafür gegeben wurde, warum die Jahresfrist bei der Bearbeitung der Beschwerde nicht eingehalten werden konnte.

In ihrem Schreiben an den Beschwerdeführer vom 30. Mai 2005 erklärte die Kommission jedoch einfach nur, "dass wegen der besonderen Verfahrensfristen für Untersuchungen der Kommission in Bezug auf Vertragsverletzungen in naher Zukunft wohl noch keine Festlegung des Standpunkts der Kommission zu erwarten ist".

Nach Ansicht des Bürgerbeauftragten war diese „Erklärung" offensichtlich unzureichend, da keine konkreten Rechtfertigungsgründe für die Überschreitung der Jahresfrist angegeben wurden, die entsprechend der „Mitteilung" von 2002 „in der Regel" eingehalten werden sollte. Somit stellte es einen Missstand in der Verwaltungstätigkeit dar, dass die Kommission keine hinreichende Begründung dafür angegeben hatte, warum sie ihre Untersuchung zur Vertragsverletzungsbeschwerde des Beschwerdeführers nicht binnen eines Jahres abschließen konnte.

2.5 Zur Bearbeitung der Vertragsverletzungsbeschwerde an sich war zu sagen, dass eine solche Beschwerde entsprechend den Grundsätzen der guten Verwaltungspraxis sorgfältig und ohne ungebührliche Verzögerung zu prüfen ist. Der Bürgerbeauftragte stellte fest, dass die Kommission in ihrer Stellungnahme angegeben hatte, bestimmte Aspekte in der Beschwerde des Beschwerdeführers nach wie vor zu prüfen. Ferner stellte er fest, dass die Kommission in ihrem Schreiben an den Beschwerdeführer vom 30. Mai 2005 geltend gemacht hatte, dass sie sich „intensiv" mit der Beschwerde des Beschwerdeführers sowie anderen Beschwerden in Bezug auf Sportwetten in Deutschland befasse.

Der Bürgerbeauftragte war der Auffassung, dass die ihm übermittelten Informationen diese Angaben nicht bestätigten.

Zunächst war auf die Aussage der Kommission hinzuweisen, dass ihr das Urteil des Gerichtshof vom 6. November 2003 in der Rechtssache C-243/01 (Gambelli u. a.) tatsächlich eine Richtschnur für die Bewertung von Beschwerden wie der des Beschwerdeführers geliefert habe. Dieses Urteil war aber schon vor mehr als anderthalb Jahren erlassen worden. Ferner hatte die Kommission erklärt, die Vertragsverletzungsbeschwerde des Beschwerdeführers betreffe einen Fall, in dem die Begründetheit der nationalen Maßnahme oder deren Verhältnismäßigkeit (mit Blick auf die Erhaltung der öffentlichen Ordnung) schwierig zu beurteilen sei. Der Bürgerbeauftragte stellte jedoch fest, dass die Kommission in ihrer Stellungnahme selbst eingeräumt hatte, bislang weder bezüglich Sportwetten im Allgemeinen noch bezüglich eines Einzelfalls Kontakt mit deutschen Behörden gehabt zu haben. Es war schwer nachvollziehbar, wie die Kommission die Begründetheit oder Verhältnismäßigkeit der entsprechenden Bestimmungen des deutschen Rechts beurteilen könnte, ohne zumindest die deutschen Behörden um Informationen und Erläuterungen zu ihren Erwägungen hinsichtlich der „öffentlichen Ordnung" zu ersuchen.

2.6 Unter diesen Umständen war der Bürgerbeauftragte der Auffassung, dass die Kommission die Vertragsverletzungsbeschwerde des Beschwerdeführers nicht ordnungsgemäß bearbeitet hatte.

Die begründete Stellungnahme der Kommission

Nachdem sie den Empfehlungsentwurf erhalten hatte, übermittelte die Kommission am 5. Januar 2006 eine begründete Stellungnahme gemäß Artikel 3 Absatz 6 des Statuts des Europäischen Bürgerbeauftragten.

In ihrer begründeten Stellungnahme führte die Kommission Folgendes aus:

Der Beschwerdeführer sei nicht im Besitz der in Deutschland erforderlichen Lizenz, er wolle jedoch seine Dienstleistungen Online-Dienstleistern anbieten, die im Rahmen einer Lizenz in einem anderen Mitgliedstaat tätig seien (als Vermittler auftreten und Dienstleistungen anbieten). Von April 2003 bis Januar 2005 habe die Kommission im Zusammenhang mit Glücksspieltätigkeiten sieben Beschwerden gegen Deutschland registriert (diejenige des Beschwerdeführers eingeschlossen). Diese Beschwerden bezögen sich auf die gleichen Beschränkungen. Daher habe die Kommission beschlossen (Beschlüsse vom 16. März und 2. September 2005), alle diese Beschwerden gebündelt zu behandeln.

Bei Beschwerden in Bezug auf Dienstleistungen im Zusammenhang mit Sportwetten handle es sich um "politisch höchst sensible Angelegenheiten", die (trotz der bestehenden einschlägigen Rechtsprechung) umstritten seien. Beschwerden gegen Deutschland wegen Beschränkungen von Sportwettenaktivitäten seien auf drei internen Sitzungen über Vertragsverletzungsfälle behandelt worden (13. Oktober 2004, 14. Dezember 2004 und 16. März 2005). Bisher sei die Kommission nicht in der Lage gewesen, den erforderlichen Beschluss zu fassen.

Die Kommission räumte ein, dass sie auf das Schreiben des Beschwerdeführers vom 30. November 2004 nicht geantwortet habe, was sie bedaure. Sie räumte auch ein, dass die "Erklärung" in ihrem Schreiben vom 30. Mai 2005 unzureichend gewesen sei. Sie hätte darauf hinweisen können, dass sie damit befasst sei, eine Reihe von Beschwerden gegen Deutschland zu untersuchen, und dass diese Beschwerden im Rahmen von vier internen Sitzungen über Vertragsverletzungsfälle (13. Oktober 2004, 14. Dezember 2004, 16. März 2005 und 5. Juli 2005) behandelt worden seien. Sie bedaure, dass sie nicht in der Lage gewesen sei, innerhalb eines Jahres nach der Registrierung der Beschwerde zu einer Entscheidung in dieser politisch sensiblen Angelegenheit zu kommen. Allerdings sei sie der Auffassung, dass die Verbreitung weiterer Einzelheiten über interne Erörterungen die Behandlung der Beschwerde nicht beschleunigen würde.

Dessen ungeachtet habe die Kommission dem Beschwerdeführer ein weiteres Schreiben gesandt, das nähere Informationen über den Stand der Angelegenheit enthielt. In diesem Schreiben vom 10. Oktober 2005 teilte die Generaldirektion Binnenmarkt und Dienstleistungen ("DG Markt") den Beschwerdeführer mit, dass sie beschlossen habe, mehrere ähnlich gelagerte Beschwerden zu dieser Angelegenheit gemeinsam zu behandeln, und erklärte, dass die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland vom Kollegium der Kommissionsmitglieder mehrheitlich beschlossen werden müsse. Die DG Markt wies darauf hin, dass ein solcher Beschluss bisher nicht zustande gekommen sei und dass die Beschwerden weiter geprüft würden.

Die Anmerkungen des Beschwerdeführers

Vom Beschwerdeführer gingen keine Anmerkungen ein.

Die Beurteilung der begründeten Stellungnahme der Kommission durch den Bürgerbeauftragten

Der Bürgerbeauftragte ist der Ansicht, dass die begründete Stellungnahme der Kommission keine Annahme seines Empfehlungsentwurfs darstellt. Obwohl die Kommission einräumt, dass sie das Schreiben des Beschwerdeführers vom 30. November 2004 nicht innerhalb angemessener Frist beantwortet habe und dass sie nicht hinreichend begründet habe, warum die Untersuchung des Falls mehr als ein Jahr in Anspruch nehmen würde, hat die Kommission nicht nachgewiesen, dass die Vertragsverletzungsbeschwerde nunmehr sorgfältig und ohne ungebührliche Verzögerung bearbeitet werden wird, wie der Bürgerbeauftragte empfohlen hatte.

Stattdessen hat die Kommission darauf hingewiesen, dass sie Beschwerden über Dienstleistungen im Zusammenhang mit Sportwetten für politisch höchst sensible und umstrittene Angelegenheiten hält. Sie hat auch erklärt, dass diese Beschwerden auf vier internen Sitzungen über Vertragsverletzungsfälle behandelt worden seien (13. Oktober 2004, 14. Dezember 2004, 16. März 2005 und 5. Juli 2005), aber dass sie bisher nicht in der Lage gewesen sei, den erforderlichen Beschluss zu fassen. In einem Schreiben an den Beschwerdeführer vom 10. Oktober 2005, auf das in der begründeten Stellungnahme hingewiesen wurde, erklärte die DG Markt darüber hinaus, dass eine Entscheidung zur Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland einen Mehrheitsbeschluss des Kollegiums der Kommissionsmitglieder erfordere und dass bisher kein solcher Mehrheitsbeschluss zustande gekommen sei.

Der Bürgerbeauftragte begrüßt die Offenheit, mit der die Kommission eingestanden hat, dass die Verzögerung bei der Bearbeitung der Vertragsverletzungsbeschwerde des Beschwerdeführers auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass die Kommission offenbar aus politischen Gründen nicht in der Lage ist, über ihr weiteres Vorgehen in diesem Fall (und mehreren ähnlich gelagerten Fällen) zu entscheiden. Er ist jedoch der Ansicht, dass diese Tatsache keinen stichhaltigen Grund dafür darstellt, diese Vertragsverletzungsbeschwerde nicht innerhalb angemessener Frist zu behandeln.

Der Bürgerbeauftragte ist sich der Tatsache bewusst, dass die Kommission im Vertragsverletzungsverfahren über ein Ermessen verfügt. Es sollte jedoch berücksichtigt werden, dass der vorliegende Fall die Verwaltungsphase dieses Verfahrens betrifft. Der Bürgerbeauftragte ist der Ansicht, dass es guter Verwaltungspraxis entspricht, wenn die Kommission Vertragsverletzungsbeschwerden innerhalb angemessener Frist behandelt, und dass die Kommission daher nicht berechtigt ist, ihre Entscheidung über eine ihre vorliegende Vertragsverletzungsbeschwerde auf unbestimmte Zeit hinauszuzögern. Im vorliegenden Fall hat die Kommission die Angelegenheit offenbar auf vier internen Sitzungen über Vertragsverletzungsfälle behandelt (13. Oktober 2004, 14. Oktober 2004, 16. März 2005 und 5. Juli 2005), ohne zu einer Entscheidung über die weitere Vorgehensweise zu gelangen. Darüber hinaus hat die Kommission in ihrer begründeten Stellungnahme, die sie am 5. Januar 2006 übermittelt hat, keinerlei Anhaltspunkte dafür geliefert, wann eine Entscheidung zu erwarten ist.

Die Empfehlung des Bürgerbeauftragten

In Anbetracht des Vorstehenden richtet der Bürgerbeauftragte seinen Empfehlungsentwurf nunmehr in Gestalt folgender Empfehlung an die Kommission:

Die Kommission sollte die Vertragsverletzungsbeschwerde des Beschwerdeführers sorgfältig und ohne ungebührliche Verzögerung bearbeiten.

Das Europäische Parlament könnte erwägen, die Empfehlung als Entschließung anzunehmen.

Straßburg, den

Professor Dr. P. Nikiforos DIAMANDOUROS


[1] Beschluss 94/262 des Europäischen Parlaments vom 9. März 1994 über die Regelungen und allgemeinen Bedingungen für die Ausübung der Aufgaben des Bürgerbeauftragten, ABl. 1994 L 113, S. 15.